Das ist eine besondere Ehre. und zugleich eine Herausforderung. Fritz Hauser erschien dieser Titel zunächst zu gross. Er empfand ihn wie wie ein Kleidungsstück, das zu weit aussieht, wenn man es auf dem Bügel betrachtet. Inzwischen hat er es übergezogen und siehe da: Es passt!
Eisbrecher-Funktion
«Naja», begründet Hauser seine zögerliche Zusage zur unerwarteten Funktion, «ich stand schon mal als ‘artiste étoile’ zur Diskussion. Das hätte mir gefallen, eine Plattform, um zwei, drei Stücke zu präsentieren. Dann aber hiess es ‘composer in residence’, da habe ich erst mal gezögert. Wenn ich sehe, welch grosse Namen da in Luzern auf dem Pantheon stehen: Helmut Lachenmann etwa oder Pierre Boulez ... da sehe ich mich eigentlich nicht.» Die Leitung von Lucerne Festival sah das aber anders und konnte Hauser überzeugen, dass es wichtig ist, auch die Form des «composers in residence» zu öffnen und zu erweitern. «Jetzt habe ich ein bisschen eine Eisbrecher-Funktion und es ist schon spannend, nur schon bei den Proben zu erleben, was mit der Musik in diesem Saal geschieht. Das ist super!»
Nun sitzen wir im World Cafe im KKL. Es ist morgens um 9 Uhr, Handwerker und Lieferanten gehen im KKL ein und aus, Materialkisten werden reingeschoben, die Stimmung ist umtriebig und geschäftig. In einer Stunde will Fritz Hauser mit der Probe beginnen.
Am Anfang war das Schlagzeug
Ist er denn nun eher Schlagzeuger oder Komponist? «Genau in dieser Reihenfolge», sagt er. «Mit Schlagzeug habe ich angefangen, aber Komponieren hat mich auch schon sehr früh interessiert.» Angefangen hat alles in der Schule. «Kollegen hatten eine Band gegründet. Einer hat Gitarre gespielt, der andere Bass, aber ein Schlagzeug hat gefehlt, da haben sie mich gefragt. Hmmm …, dachte ich, mal sehen … dann habe ich es ausprobiert und es hat mir sehr gefallen. Es ist ein Instrument mit einer erstaunlichen Dynamik, man kann sich austoben, es hat mit Bewegungsabläufen zu tun, für einen jungen Menschen ist es einfach spannend, auszuprobieren, was alles geht.»
Natürlich kam dann auch die fundierte Ausbildung und zwar im Konservatorium. Dort öffneten sich nach Pop, Rock und Rhythm’n Blues mit der Klassik auch ganz neue musikalische Welten. Hauser hat die Erfahrung gemacht, dass man beim Schlagzeug nie auslernt. «Es braucht viel Zeit und viel Geduld. Es ist aber auch ein grossartiges Musik-Erleben, dass man seinen Beruf üben kann, bevor man ihn ausübt. Das ist wie beim Sport: Die tägliche Beschäftigung mit dem Körper, mit dem Geist, dazu die meditative Komponente, es hat mit Konzentration zu tun, mit Geschicklichkeit, mit Geduld … und das hört nie auf. Es geht immer weiter und wird immer komplexer, weil mehr Erfahrung dazu kommt, weil man einen anderen Einblick hat und weil man auf gewisse Vorgänge sensibler wird und genauer sieht, was man sich vornimmt. Ich find’s lässig!»
Der Goalie im Team
Fritz Hauser kommt richtig in Fahrt, wenn er von seiner Tätigkeit schwärmt und von seinem Schlagzeug. Seine Begeisterung springt einen geradezu an. Ja, denkt man da, der Schlagzeuger ist doch irgendwie der Wichtigste, er sitzt am Gashebel, gibt das Tempo vor, den Takt und den Drive … «Das sagen Sie jetzt …», winkt Hauser ab. «Aber wir Schlagzeuger haben immer darunter gelitten, dass man uns nicht als Musiker bezeichnet hat, sondern eben als Schlagzeuger.» Und er fügt noch einen Vergleich an. «Viele meiner Kollegen haben in der Jugend Fussball gespielt und die meisten standen im Goal. Der Goalie ist das Rückgrat der Mannschaft. Wenn er einen Fehler macht, gibt es ein Goal. Wenn ein anderer einen Fehler macht, gibt’s noch lang kein Goal. Man ist schon in einer speziellen Position.» Und dies auch als Schlagzeuger.
Die spezielle Position beschert ihm aber auch Freiheiten, die ein anderer Musiker nicht in diesem Ausmass hätte. So trommelt sich Fritz Hauser nicht nur durch die verschiedenen Säle des Lucerne Festivals in und ausserhalb des KKL, er benutzt gleich das ganze KKL als Instrument! Und dieses «Instrument» spielt er nicht alleine, sondern mit 300 Mitwirkenden jeden Alters. «Schraffur» nennt sich das und es findet am traditionellen «Erlebnistag» des Lucerne Festivals statt. Fritz Hauser bespielt zusammen mit ehemaligen und gegenwärtigen Studenten der Lucerne Festival Academy Wände, den Boden und das Mobiliar des gesamten KKLs, inklusive des Konzertsaales. Jeder hat zwei Drumsticks und «schraffiert» damit die jeweiligen Gegenstände. Wie das klingt? Tja, dafür muss man am Sonntag, 26. August um 9.45 Uhr ins KKL gehen, dann hört man’s.
Komplexe Geräuschwelt
Was ist denn – aus Fritz Hausers Sicht – überhaupt «Musik»? Was unterscheidet Musik vom Strassenlärm? «Das ist ein fliessender Übergang», sagt Hauser. «Was man früher als ‘Klangkunst’ bezeichnete, hat sich inzwischen etwas verwaschen. Die Welt, die wir akustisch aufnehmen, ist extrem komplex geworden und extrem laut. Wir haben uns mit diesen Geräuschen anfreunden müssen, denn es gibt ständig eine Maschine, ein Rauschen, ein Surren, und wenn man dem nicht eine gewisse Qualität abgewinnen kann, dreht man durch.»
Es sei eine extrem vielfältige Welt, die akustisch auf uns zukommt, sagt Hauser. Diese Welt mitgestalten und beeinflussen zu können, Entscheidungen zu treffen, in welcher Form «sein» Publikum etwas hört, das gefällt ihm. «Ich kann das Publikum sozusagen an die Hand nehmen und führen, damit es Geräusche anders hört.» Sein Ziel ist es, rhythmische Zusammenhänge hörbar zu machen, das Visuelle ins Akustische mit einzubeziehen und dadurch das Publikum zu sensibilisieren. «Wenn man in einem Konzert dann das Gefühl hat, die Leute hören mehr, dann ist das schon ein wichtiger Schritt.»
Nun ist aber Fritz Hauser auch Komponist. Und interessanterweise denkt er dabei weniger an sich als an andere. «Ich habe meine Kompositionen eigentlich fast immer für andere geschrieben, sei’s für Solisten, Duo oder Quartett. Eine Komposition ist eine klare Aufgabe wie ein Auftrag an einen Architekten, ein kleines oder ein hohes Haus zu bauen. Man steckt sich seinen Rahmen ab, überlegt, was können die Musiker, was nicht, wo ist das Frustrations-Potential, kann das Stück auch später weiterleben oder nur, wenn ein bestimmter Solist es spielt. Es gibt viele Aspekte. Ich bin da wie ein Schneider, der auf Mass anfertigt.» Manchmal spiele er seine Kompositionen auch selbst. «Aber teilweise kann ich das gar nicht, weil sie zu schwierig sind. Ein Komponist muss nicht alles spielen können, was er komponiert hat! Aber es muss so geschrieben sein, dass es grundsätzlich interpretiert werden kann. Von wem auch immer …»
«This is your piece»
Dass das nicht immer ganz einfach ist, hat Hauser selbst erfahren. John Cage hatte ein Stück für ihn komponiert. «Da war ich bei einigen Stellen nicht sicher mit der Interpretation und habe ihn selbst gefragt und noch einmal persönlich getroffen. ‘Fritz, this is your piece!’, sagte er mir, und da habe ich gemerkt, dass es jetzt ‘mein’ Stück ist und nun in meiner Verantwortung liegt. Ich habe es dann gespielt und John Cage hat es gefallen.»
Nach einer Stunde geht Hauser zur Probe ins KKL. Techniker und Beleuchter sind am Einrichten, zwei weitere Schlagzeuger kommen hinzu. Es wird geschraubt, gedreht, gehämmert, gezogen, geredet und gelacht. Fritz Hauser setzt auch sein Schlagzeug zusammen und probt schon mal das Solo innerhalb all dieser Arbeits-Alltags-Geräusche, die fast schon ein Übergang sind zur Musik.
Fritz Hauser am Lucerne Festival:
Verschiedene Konzerte vom 18. August bis 16. September