Die gleichen politischen Kreise, die unentwegt nach weniger staatlicher Regulierung, mehr Eigenverantwortung, tieferen Steuern, Abbau von Subventionen und rigoroser Ausgabenbremse rufen, handeln – wenn es um ihre Stammwählerschaft, die Bauern geht – gegenteilig. Diese Scheinheiligkeit hat System, ist aber weder eine schweizerische Tugend noch zukunftskompatibel. SVP, CVP und FDP sind dafür verantwortlich.
Milliardensubventionen nur ein Teil des Ganzen
Gemäss Agrarbericht 2014-2017 erhalten unsere Bauern jährlich 3,457 Milliarden Franken, aufgeteilt in Direktzahlungen (81,4%), Produktion/Absatz (12,8%), Grundlagenverbesserung und Sozialmassnahmen (5,8%). Das entspricht zehn Millionen Franken – täglich. Doch damit hat sich’s bei weitem noch nicht.
Zuverlässige Schätzungen gehen davon aus, dass weitere rund 2,2 Milliarden Franken jährlich dazukommen über indirekte Subventionierung (z.B. exorbitante Einfuhrzölle auf Agrarprodukten, geschlossene Grenzen für Agrarimporte), mit anderen Worten überhöhten Detailhandelspreisen, die wir Konsumenten zu berappen haben.
Unheilige Bauernallianz im Parlament
Dass unsere Bauern die dreistesten und besten Lobbyisten im Bundeshaus beschäftigen, darüber bestehen seit Jahrzehnten keine Zweifel. Der Geldregen, der jährlich über unsere Bauernhöfe niederprasselt, ist weltrekordverdächtig. Pro Hektar Agrarfläche 3’500 Franken Subventionen – in Österreich sind es 680 Franken.
Nun, da sich dunkle Wolken am Finanzhorizont der Schweiz auftürmen und grosse finanzielle Löcher im Bundeshaushalt sichtbar werden, muss gespart werden. Alle Departemente sind deshalb gefordert, würde man meinen. Natürlich ist dem nicht so. Die Bauern werden geschont. So wurde denn in der Wintersession im Budget 2016 der Agrarbereich um 92,8 Millionen Franken aufgestockt. Schon vor jener Debatte hatte die damalige Finanzministerin vergeblich darauf hingewiesen, dass die für 2014-2017 gültigen Subventionen auf einer Jahresteuerung von 1,1 Prozent basierten. Tatsächlich kennen wir aber seit drei Jahren überhaupt keine Teuerung mehr (2015: minus 1,1%).
Im gleichen Takt geht es weiter: Für den jährlichen Budgetrahmen 2017-2021 sollen gemäss Bundesrat die 53‘000 Bauernbetriebe „nur“ 2,75 (statt 2,80) Milliarden Franken erhalten, da der Rotstift überall angesetzt werden muss. Mit der üblichen verqueren Optik jaulen SVP und Bauernverband sofort auf und jammern, dass einmal mehr einseitig bei der Landwirtschaft gespart werden solle.
Das Märchen von der Ernährungssicherheit
Bereits steht mit der scheinheiligen Initiative „für Ernährungssicherheit“ ein weiterer Coup der Bauernlobby in Vorbereitung. Vordergründig und explizit verlangt der Initiativtext, dass der Bund die „Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln aus vielfältiger und nachhaltiger einheimischer Produktion“ stärkt. Im Hintergrund, gut getarnt, stehen die Bemühungen des Bauernverbands und der SVP, das agrarpolitische Rad zurückzudrehen.
Mal abgesehen davon, dass die Parole Ernährungssicherheit gut tönt – sie ist eine Fiktion. Warum konnten die Schweizer Bauern in den letzten Jahren ihre Produktion ständig ausweiten, obwohl immer mehr Kulturland überbaut wurde und so der Landwirtschaft verloren ging? Natürlich weil aus dem Ausland Kraftfutter in rauen und rasch steigenden Mengen importiert wird. Tatsächlich ist die Schweizer Landwirtschaft (TV-Werbung: „natürlich aus der Schweiz“) in ausgeprägtem Masse von Importen aus dem Ausland abhängig.
Der „Fall Parmelin“
Gewinne aus dem Verkauf von Baulandreserven land- und forstwirtschaftlicher Betriebe sollen künftig wieder von der Bundessteuer befreit werden. Dieser Entscheid führt zu einer steuerlichen Ungleichbehandlung und widerspricht klar dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
Verkäufer solcher Parzellen haben vorher während Jahren Zehntausende von Franken Subventionen dafür kassiert, dass sie darauf Kühe weiden liessen. Und nun sollen sie jetzt also nachträglich noch steuerlich geschont werden bei den happigen Verkaufsgewinnen eben dieses Landes!
Fatales Spiel mit unseren Steuern
Neben dem „grossen Brocken“, den die Agrarsubventionen von unserem Steuern beanspruchen, ist es das wiederkehrende Spiel mit „kleinen“ Pflästerchen, die eine Mehrheit im Parlament den Bauern zuschanzt, das nachdenklich stimmen muss. Beispiele:
- Sinkt der Weltmarktpreis für Zucker, erhöht der Bundesrat rückwirkend die Subventionen – diesmal von 1600 auf 1800 Franken pro Hektare für den Anbau von Zuckerrüben – dies, nachdem er diesen Beitrag letztes Jahr von 1400 auf 1600 Franken angehoben hatte. (Ein Bauer gibt für den Anbau zwei- bis dreimal so viel aus, wie er dafür bekommt).
- Laut Konsumentenzeitschrift „Saldo“ erhalten Bauern jährlich zinslose Darlehen in Millionenhöhe für die Renovation ihre Wohnhäuser – zwischen 2003 und 2013 profitierten 14‘450 Bauernhöfe von dieser staatlichen Hilfe, die eigentlich für den Bau von Ställen und Scheunen gedacht war.
- Die TV-Werbung für Schweizer Fleisch „Alles andere ist Beilage“ verschlingt jährlich 5,6 Millionen Franken aus der öffentlichen Hand. Gallo Suisse kassiert jährlich 1,2 Millionen Franken Steuergelder für ihre Werbung für glückliche Hühner aus der Schweiz.
- Laut „Beobachter“ erhielt ein 25-Hektaren-Bauernhof in Zug, der gerade mal zwei Personen beschäftigt, 2014 plötzlich 260‘000 Franken Direktzahlungen pro Jahr gegenüber 130‘000 Franken früher. Das Beispiel sei extrem, aber kein Einzelfall. „Er steht für die Exzesse, die das neue Direktzahlungssystem des Bundes verursacht“.
- Ganz generell gibt es immer mehr Betriebe, die jährlich über 150‘000 Franken Direktzahlungen erhalten. „Den Rekord hält im Moment eine Betriebsgemeinschaft im Kanton Freiburg, die 2015 582‘217 Franken erhielt“ (Tages-Anzeiger).
Die Aufzählung der bäuerlichen Sonderprivilegien ist ellenlang, hier einige weitere Müsterchen. Selbständigen Bauern bezahlt die öffentliche Hand die Familienzulagen (97 Millionen Franken), ganz im Gegensatz zu allen anderen selbständig Erwerbenden im Land.
Landwirte erhalten die Mineralölsteuern zurückerstattet, sie bezahlen also für den Treibstoff 65 Millionen Franken weniger. Still und leise wurde vor mehr als 20 Jahren der Eigenmietwert für Bauernhaushalte halbiert, dies gegenüber den landesweit üblichen (umstrittenen) Abgaben auf selbst bewohntem Wohneigentum. Bei Verkauf von selbst produzierten Produkten müssen Bauern keine Mehrwertsteuer bezahlen.
Weltfremde Haltung zu Gentech
Seit vielen Jahren will die Agrarlobby nichts wissen von den gewaltigen Fortschritten der Gentechnik in der Landwirtschaft. Weltweit angebaut und gefahrlos konsumiert – nur in der Schweiz des Teufels. Grenzschutz der perfiden Art.
Sogar für Urs Niggli vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl) ist diese Haltung der vereinigten Bauernlobby absurd: Die Vorteile, ohne Pestizide beispielsweise Kartoffeln anbauen zu können, seien eklatant. Schon 2015 hatte die Fachzeitschrift „Science“ die entsprechende Gentech-Methode „Cirsp/Cas“ zum „Break-through of the year“ (Tages-Anzeiger) erklärt. Niggli weist darauf hin, dass viele Sorten, die heute in der Schweiz angebaut werden, seinerzeit genau auf diese Weise mutiert worden seien. Lieber Pestizide als Fortschritt?
Bauernmythos - Bauernzukunft
Tatsächlich scheint es so, als wären die Bauern in unserem Land unantastbar. Liegt es vielleicht daran, dass wir fast alle – vor einigen Generationen allerdings – zum Bauernstand gehörten und dieser deshalb einen Sympathiebonus geniesst?
Die ganzen Diskussionen um die überbordende „Subventionitis“ für grüne Wiesen, Glockengeläute und Käse krankt daran, dass sie ideologisch aufgeheizt ist. Wer sich erdreistet, gegen den Agrarfilz in unserem Land anzuschreiben, dem wird vorgeworfen, den Untergang der Schweizer Bauern voranzutreiben und in Kauf zu nehmen, dass noch die letzten grünen Wiesen verganden oder verschwinden würden.
Prof. Dr. Felix Schläpfer, Volkswirtschafter an der Kalaidos-Fachhochschule Schweiz und Vorstandsmitglied der Agrar-Denkwerkstatt „Vision Landwirtschaft“, zeigt sich überzeugt, dass die Schweizer Landwirtschaft auch ohne Grenzschutz in der EU konkurrenzfähig wäre. Dies zeige das Beispiel Österreich, das seine Landwirtschaft dem europäischen Wettbewerb ausgesetzt hat. In der Schweiz werde das schlechte wirtschaftliche Ergebnis hingegen dazu benutzt, den Status quo zu verteidigen (Avenir Suisse).
Vergessen geht in Bundesbern, dass Protektionismus, der über ein gesundes Mass hinausgeht, langfristig das Gegenteil dessen bewirkt, wofür er eingesetzt wird. Statt Grenzen abzuschotten wäre der Blick in die Zukunft angesagt: Die Digitalisierung der Landwirtschaft wird kommen. Roboter säen in den USA heute schon Samen und Körner. Andere fahren über deutsche Felder, vermessen Pflanzen, nehmen Bodenproben oder jäten Unkräuter. Drohnen überwachen Weiden, Futterroboter versorgen das Vieh mit Nahrung.
Der notwendige Strukturwandel in unserer Landwirtschaft wird durch realitätsverzerrende finanzielle „Geschenke“ aufgehalten statt gefördert. Viele Landwirte stehen aus verständlichen Gründen diesem unaufhaltsamen Wandel skeptisch gegenüber. Statt diese Haltung zu stärken, sollte sich der Bauernverband lieber der Zukunft stellen. Doch er scheint sein Heil in der Vergangenheit zu suchen. Dort, wo der staatliche Honig fliesst. „Natürlich aus der Schweiz!“