Nicht nur Amerikas Gesellschaft ist gespalten, auch seine Medien sind es. CNN berichtet eher von links der Mitte des Meinungsspektrums, Fox News vom rechten Rand. Doch nun wollen die neuen Besitzer von CNN offenbar, dass der Nachrichtensender ideologisch neutraler wird, d. h. über Donald Trump und das rechte Lager weniger kritisch informiert.
Innert kurzer Zeit haben zwei prominente Mitarbeiter den TV-Nachrichtsender CNN verlassen: Brian Stelter, Moderator der medienkritischen Sendung «Reliable Sources», und John Harwood, Korrespondent im Weissen Haus. Beiden Journalisten ist gemeinsam, dass sie sich wiederholt kritisch gegenüber Donald Trump und seiner Anhängerschaft geäussert haben, und beiden Abgängen ist gemeinsam, dass sie wohl nicht ganz freiwillig erfolgt sind. Im Falle Stelters sprach ein Pressekommentator von einem «fürchterlichen Fenstersturz», CNN-intern war die Rede von einem «Putsch». Der Sender, so die Befürchtung, solle Trumps Lügen und allfälligen Delikten zum Trotz politisch neutraler berichten.
Ohne die aktuellen Umstände naher zu kommentieren, spricht die Führung von CNN vage davon, das Programm neu ausrichten zu wollen. Der Sender hat in Chris Licht nicht nur einen neuen CEO, sondern in Warner Bros. Discovery auch einen neuen Besitzer. Jedenfalls hat John Malone, ein einflussreicher Mitbesitzer des Medienkonzerns, öffentlich verlauten lassen, CNN sei zu stark von «aktueller Berichterstattung» abgewichen; er wolle den Nachrichtenteil des Senders «zentristischer» sehen. «John Malone schaut CNN lediglich via Fox News», bemerkt dazu ein CNN-Mitarbeiter: «Wenn ich CNN via Fox News schaute, würde ich CNN auch hassen.» Chris Licht indes hat verlauten lassen, er würde gern mehr republikanische Politiker am Bildschirm sehen.
In den Medien kursieren zwei Interpretationen des abrupten Abgangs der beiden gut bezahlten CNN-Mitarbeiter. Die harmlosere besagt, sie seien angesichts sinkender Einschaltquoten schlicht Opfer der Sparschere geworden. Die ominösere vermutet, das Duo sei den neuen Besitzern zu unbequem geworden, da es wiederholt heftige Kritik Donald Trumps und der republikanischen Partei auf sich gezogen hätte. CNN, heisst es, wolle mehr Zuschauerinnen und Zuschauer aus dem konservativen Lager gewinnen, einem Publikumssegment, das heute allein von Fox News bedient wird.
Über allem steht am Ende wohl die Frage, wie ausgeglichen oder objektiv Amerikas Medien noch berichten können, wenn sich einzelne Vertreter oder Segmente der Gesellschaft wie Donald Trump oder die republikanische Partei nicht mehr an etablierte Fakten halten, sondern nachweisbar Lügen und «alternative Fakten» verbreiten. Hier stösst der sogenannte «bothsidessism» an seine Grenzen, die traditionelle Vorgabe, über beide Seiten eines Sachverhalts so fair und ausgeglichen wie möglich zu berichten. Für Carl Bernstein, einen der beiden Reporter, die Watergate aufgedeckt haben, muss das Credo des Journalismus lauten, «die bestmögliche Version der Wahrheit zu erlangen».
Die Forderung ist angebracht, solange involvierte Akteure einschliesslich der Medien bestimmte Spielregeln respektieren. Doch Donald Trump und die Republikaner tun das mit ihrer Propagierung der «Big Lie» seit der Präsidentenwahlwahl 2020 nicht mehr und sie tun es auch vor den kommenden Zwischenwahlen nicht, indem sie sich etwa der Berichterstattung von Medien entziehen, von denen sie annehmen, sie seien ihnen nicht wohlgesinnt.
Wie aber unter solchen Umständen berichten, ohne sich dem Vorwurf des Aktivismus oder der Parteilichkeit auszusetzen? Es ist eine Frage, die auf Amerikas Redaktionen kontrovers diskutiert wird, nicht zuletzt im Newsroom der einflussreichen «New York Times». Derweil hat die «Washington Post» das neue Ressort «Demokratie» kreiert, dessen Aufgabe es ist, die Gefahren auszuleuchten, die dieser Staatsform in den USA zunehmend drohen.
CNN weiss offenbar noch nicht, welcher Art Journalismus sich der Sender künftig verschreiben will: einem eher akzentuierten, profilierten Journalismus wie bisher oder einem gefälligen, harmlosen Mittelkurs in Zukunft, der unter Umständen profitabler ist. Was nicht heisst, dass CNN bisher ohne Fehl und Tadel gewesen wäre. Gerade seine Diskussionssendungen mit einseitig argumentierenden Teilnehmenden waren mitunter eher mühsam als erhellend. Auch mit Begriff «breaking news» ging der Sender sehr lose um. Anders als Fox News aber hat CNN nie pure politische Propaganda verbreitet und seine Ausland-Berichterstattung, wie jene aus der Ukraine, gehört neben jener der BBC nach wie vor zum Besten, was am Bildschirm zu sehen ist.
Brian Stelter jedenfalls forderte am Ende seiner letzten Sendung, CNN müsse stark bleiben: «Ich weiss, dass es nicht parteiisch ist, sich für Anstand und Demokratie und Dialog einzusetzen. Es ist nicht parteiisch, gegen Demagogen aufzustehen. Es ist notwendig. Es ist patriotisch. Wir müssen sicherstellen, dass wir nicht jenen eine Bühne geben, die uns ins Gesicht lügen. Wir müssen aber auch sicherstellen, dass wir das ganze Spektrum einer Debatte abdecken und verlässlich zeigen, was in diesem Land und dieser Welt vorgeht.» Wie sagte Carl Bernstein bei Stelters Abschied? «Die Wahrheit ist nicht neutral.»
John Harwood resümierte am vergangenen Freitag bei seinem letzten Auftritt vor dem Weisse Haus, Präsident Joe Biden habe tags zuvor in seiner Rede über die Gefahren für die amerikanische Demokratie seitens Donald Trumps und der Republikaner den Nagel auf den Kopf getroffen: «Das ist eine Aussage, die mir als Journalisten nicht leichtfällt. Wir sind gross geworden im Glauben, dass es zwei politische Parteien mit unterschiedlichen Standpunkten gibt und wir bei ihren ehrlichen Auseinandersetzungen nicht Partei ergreifen. Aber davon reden wir nicht, wir reden von ehrlichen Meinungsdifferenzen. Die republikanische Partei wird derzeit von einem unehrlichen Demagogen geführt.»
In der Tat wird die Grand Old Party (GOP) von einem Ex-Präsidenten geführt, der die Presse einen «Volksfeind» zu nennen pflegt. Der noch Anfang dieser Woche gefordert hat, ihn endlich zum «rechtmässigen Gewinner» der Präsidentenwahl 2020 zu erklären. Und die GOP ist eine Partei, für die der Sturm auf das US-Capitol an 1/6 «legitimer politischer Diskurs» und «normaler Touristenbesuch» war. «Das wirklich beängstigende am Totalitarismus ist nicht, dass er Massaker begeht, sondern dass er das Konzept der objektiven Wahrheit angreift», sagte einst George Orwell (1903–1950), als hätte er die heutigen USA im Auge gehabt: «Er gibt vor, die Vergangenheit wie die Zukunft zu kontrollieren.»