Erste Umfragen unmittelbar nach Ende der 90-minütigen Debatte in der Magness Arena in Denver (Colorado) bestätigten den Eindruck, den ein neutraler Beobachter des amerikanischen Wahlkampfs zwangsläufig gewonnen hat: Mitt Romney war es dank seiner Angriffslust und Wendigkeit gelungen, einen eher uninspirierten und schlecht aufgelegten Obama in die Defensive zu drängen und schlecht aussehen zu lassen.
Laut einer Erhebung von CNN unter registrierten Wählern sahen 67 Prozent der Zuschauer Romney als Sieger des Rededuells, wogegen nur 25 Prozent Obama vorzogen. Indes ergab eine Befragung des Fernsehsenders CBS unter Unentschlossenen, dass 46 Prozent dieser Wähler den Republikaner als Gewinner der Debatte einstuften. Lediglich 22 Prozent taten dies im Fall des Präsidenten und 32 Prozent der Befragten wollten ein Unentschieden gesehen haben.
Noch ist es zu früh, um festzustellen, wie stark sich Mitt Romneys Sieg am Bildschirm allenfalls in den Meinungsumfragen niederschlagen wird. Jüngste Erhebungen haben gezeigt, dass sich die beiden Kandidaten landesweit nach wie vor ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, Barack Obama aber in noch unentschiedenen, jedoch Wahl entscheidenden Staaten („swing states“) vorne liegt.
Wichtig wird auch hier sein, wie noch unentschlossene Wähler den Ausgang der Fernsehdebatte einstufen und ob dieses Urteil dann allenfalls ausreicht, um sich auf Romney festzulegen. Gemäss Befragungen vor dem Anlass hatten deutlich mehr Amerikaner erwartet, Obama würde Romney hinter sich lassen.
Trotzdem jubelten republikanische Parteigänger, Mitt Romneys gelungene Vorstellung habe den Wahlkampf mit einem Schlag wieder offen werden lassen. Damit gingen zumindest amerikanische Sportwetter einigt: Pinnacle Sports zum Beispiel hat die Siegeschancen des Präsidenten für den 6. November von rund 80 auf 73 Prozent gesenkt. Liberale Anhänger Barack Obamas bemängelten denn prompt, der Präsident habe auf dem Podium in Denver zu brav, zu defensiv und zu lahm agiert und mehrere Gelegenheiten verpasst, seinen Opponenten hart zu treffen.
Weder brachte Obama Romneys schillernde Vergangenheit als Chef von Bain Capital noch dessen nach wie vor geheimen Steuererklärungen vor 2010 zur Sprache. Auch erwähnte er die wenig diplomatische (und unzutreffende) Bemerkung seines Herausforderers nicht, 47 Prozent aller Amerikaner seien letztlich Sozialschmarotzer, da sie Geld vom Staat erhielten.
An sich hätte die Auseinandersetzung in Denver in sechs 15-minütigen Segmenten ablaufen sollen. Doch Jim Lehrer, der zum zwölften Mal eine Debatte unter Präsidentschaftskandidaten moderierte, gelang es nicht, Mitt Romney und Barack Obama dazu zu bringen, sich stets an die vereinbarten Regeln zu halten. Das liess den rhetorischen Schlagabtausch im Hockey-Stadion der Universität Denver gelegentlich in ein Kolloquium unter Experten ausufern, das den amerikanischen Durchschnittszuschauer ob all der Fakten, Zahlen und Statistiken wohl heillos überforderte. Auf jeden Fall gab der Ablauf der Veranstaltung all jenen Recht, die fordern, das Format solcher Debatten müsse geändert und vor allem offener werden, um die Kandidaten, unabhängig von der Stoppuhr, direkter, ehrlicher und spontaner aufeinander treffen zu lassen.
Hauptthema der ersten Debatte in Denver war die Lage der Wirtschaft, wobei auch die Altersversicherung („social security“), die Gesundheitsreform („Obamacare“), das Bildungswesen, die Bundesaufsicht (im Fall des Bankenwesens) und die Rolle der Regierung generell zur Sprache kamen. Hier zeigte sich, dass Amerika in der Tat die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Denkweisen hat: Barack Obama plädierte dafür, dass der Staat eine Rolle spielen könne und müsse, wenn es darum geht, die Wirtschaft anzukurbeln und für die Benachteiligten der Gesellschaft zu sorgen. Mitt Romney hingegen befürwortete eine grössere Rolle des Privatsektors und forderte die Eigenverantwortung des Individuums.
„Der Präsident vertritt fasst dieselben Ansichten, die er im Wahlkampf vor vier Jahren gehabt hat, nämlich dass ein grösserer Staat, der mehr ausgibt, der Steuern erhöht und stärker reguliert, besser funktioniert“, sagte Mitt Romney in der Magness Arena: „Das ist nicht die richtige Lösung für Amerika. Ich werde die Vitalität neu wecken, die Amerika zum Laufen bringt.“
Barack Obama hingegen argumentierte, sein Herausforderer gehe schlicht davon aus, dass alles besser werde, wenn nur die Steuern für Reiche gesenkt und staatliche Regulierungen aufgehoben würden: „Wollen wir erneut einer von oben verordneten Wirtschaftspolitik vertrauen, die uns dieses ganze Schlamassel beschert hat, oder wollen wir uns einem neuen Wirtschaftspatriotismus verschreiben, der davon ausgeht,, dass es Amerika am besten geht, wenn es der Mittelklasse gut geht?“
Dabei scheiterten fast alle Versuche des Präsidenten, seinen Herausforderer dazu zu zwingen, konkreter zu werden und seine Vorstellung zu präsentieren, wie exakt ein Wirtschaftsaufschwung zu bewerkstelligen sei und dank welcher Massnahmen Arbeitsplätze zu schaffen wären. Dabei schreckte Mitt Romney, wie er das im Wahlkampf wiederholt getan hat, auch nicht davor zurück, frühere Positionen fallen zu lassen und so zu tun, als hätte er sie nie vertreten. So wollte der Republikaner während der Debatte plötzlich nichts mehr davon wissen, einst versprochen zu haben, Steuersenkungen im Umfang von fünf Billionen Dollar zu gewähren. „Herr Präsident, Ihnen stehen, als Präsident, Ihr eigenes Flugzeug und Ihr eigenes Haus zur Verfügung, nicht aber Ihre eigenen Fakten, nicht wahr?“ witzelte Romney bei einer Gelegenheit, um an anderer Stelle, einer Frage Obamas ausweichend, kaltschnäuzig zu bemerken: „Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie reden.“
Auch sonnte sich Mitt Romney wiederholt im Erfolg der Gesundheitsreform, die er seinerzeit als Gouverneur von Massachusetts erfolgreich umgesetzt hatte, die im Wahlkampf gegen seine konservativen republikanischen Mitbewerber zu erwähnen er jedoch geflissentlich vermied, weil Präsident Obamas Reformvorschlag im Grunde auf Romneys Modell beruht. Romney hat wiederholt gelobt, „Obamacare“ bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu widerrufen, was wiederum den Präsidenten zur Bemerkung veranlasste, das käme bei den Demokraten wohl schlecht an, wenn Romney, wie im Falle eines Wahlsieges versprochen, sich am ersten Tag im Weissen Haus mit dem politischen Gegner zusammensetzen wolle, um über die Parteigrenzen hinweg Lösungen für Amerikas Probleme zu finden.
Einen „magic moment“ gab es während der Debatte in Denver nicht: Keiner der beiden Kandidaten leistete sich einen Lapsus, der im Nachhinein als Wahl entscheidend interpretiert werden könnte. „Wenn diese Debatten etwas ähneln, dann eher dem Disput in einer Paartherapie: Keiner der Partner kann wirklich gewinnen, aber jeder von ihnen könnte sich aus dem Tritt bringen lassen und unvermittelt etwas Unverzeihliches von sich geben“, schreibt die Fernkritikerin der „New York Times“. Sie vergleicht die Debatte in Denver mit dem Aufeinandertreffen eines selig lächelnden Ministranten (Romney) und einem streng dreinblickenden Oberlehrer (Obama): „Es war Tod durch ein Tausend Lächeln: Die erste Debatte unter den Präsidentschaftskandidaten war (…) vielleicht der netteste Austausch von Feindseligkeiten seit Menschengedenken.“ Das nächste Duell geht am 16. Oktober in Hempstead (New York) über die Bühne.