Washington D. C., heisst es maliziös, sei Hollywood für hässliche Menschen. Doch den Mangel an Glamour kompensieren am Potomac oft grosse Egos. Solche haben in Amerikas Hauptstadt etliche Habitués, zum Beispiel die Korrespondenten im Weissen Haus. Sie sind ungemein stolz darauf, über den mächtigsten Mann der Erde aus der Nähe berichten zu können. Einmal im Jahr treffen sich die Medienvertreter der US-Hauptstadt mit den Mächtigen zum Dinner – ein Ritual, das jeweils im Hotel „Hilton“ über die Bühne geht.
Die Tradition will es, dass sich der Präsident bei dieser Gelegenheit über die Medien lustig macht und es die Medien dem Mann im Weissen Haus mit gleicher Münze heimzahlen – wenn er denn zum Dinner erscheint. Donald Trump, der aus seiner Verachtung für Journalisten kein Hehl macht, hat den Anlass dieses Jahr zum zweiten Mal ausgelassen. Die Rolle des Hofnarren pflegen im „Hilton“ ein bekannter Komiker oder seltener eine populäre Komikerin zu spielen. Ende April übernahm Michelle Wolf den heiklen Part – und wie sie ihn übernahm!
Die 32-Jährige liess in ihrem 20-minütigen Monolog nichts und niemanden ungeschoren. Nicht nur Donald Trump, das Personal im Weissen Haus und die Republikaner kriegten ihr Fett ab. Auch Hillary Clinton, die Demokraten und die Medienvertreter blieben von Wolfs Giftpfeilen nicht verschont.
Dabei zielte die Komikerin gelegentlich auch unter die Gürtellinie, was im prüden Amerika zumindest öffentlich verpönt oder nur in Männergarderoben opportun ist. Den Journalisten warf Michelle Wolf vor, sich über den Präsidenten zwar zu empören, gleichzeitig aber ungeniert von ihm zu profitieren – dank höherer Auflagen, grösserer Einschaltquoten, lukrativerer Buchverträgen.
Dass der US-Präsident für das Dinner der White House Correspondents’ Association und dessen Hauptattraktion via Twitter nur Verachtung übrig hatte, erstaunt nicht. Gewöhnungsbedürftig aber ist der Umstand, dass die Medien, die sich sonst als glühende Verfechter der Redefreiheit gebärden, in Donald Trumps Kritik einstimmten und monierten, die Komikerin sei mit ihren groben Witzen zu weit gegangen und habe sich unziemlich über Frauen geäussert. Als hätte das der Präsident, ebenso unverblümt, nicht wiederholt getan.
Auch die Vereinigung der Korrespondenten im Weissen Haus, die Wolf eingeladen hatte, entschuldigte sich nach dem Dinner mit dem Hinweis, der Monolog der Unterhalterin stehe nicht in Einklang mit den noblen Satzungen der Institution. Aussenstehende Journalisten widersprachen. Einer unter ihnen erinnerte daran, dass in Kabul neun Berufskollegen bei einem Selbstmordanschlag starben, während die Herren und Damen Korrespondenten genüsslich im „Hilton“ dinierten. Sie sollten sich schämen und sich auf die ihnen zustehende Rolle besinnen: als Kämpfer für universale Rechte wie uneingeschränkte Redefreiheit und nicht als Erfüllungsgehilfen der Macht.
Donald Trump beschimpft Journalisten als Verbreiter von Fake News und als „niederste Verkörperung von Humanität“. Das gibt sowohl Medienvertretern als auch Satirikern das Recht, sich angemessen zu wehren. Mit untertäniger Anbiederung ist der Kampf für die hehren Prinzipien des Berufsstandes nicht zu gewinnen. Da helfen allein mutige Taten, dank erprobter Methoden des Metiers: akribische Recherche, schlüssige Interpretation, attraktive Präsentation. Ein pompöses Dinner, wie unterhaltsam auch immer, ist der falsche Weg.