Bis vor kurzem hassten sich die beiden. Die Sozialdemokraten bezeichneten die „Cinque Stelle“ als „Deppen vor Gottes Gnaden“. Und der Fünf-Sterne-Gründer Beppe Grillo nannte die Linke „ein Fass voll flüssiger Scheisse“.
Jetzt heiraten die beiden, doch ein Bund fürs Leben wird es wohl nicht. „Das einzige, was die beiden vereint, ist der Hass auf die Lega“, kommentierte Lega-Chef Matteo Salvini am Mittwochabend. „Die streiten sich ja schon, bevor sie begonnen haben zu regieren.“
Nach ätzendem Gerangel haben sich der sozialdemokratische „Partito Democratico“ (PD) und die „Cinque Stelle“ auf eine Regierungskoalition geeinigt. Staatspräsident Mattarella empfing am Donnerstagmorgen Conte im Quirinal-Palast, dem Sitz des Staatsoberhaupts. Conte bat um einige Tage Zeit, um die Minister zu bestimmen. Mitte nächster Woche soll Conte, zum zweiten Mal innerhalb von 15 Monaten, von Mattarella vereidigt werden.
„Giuseppi“
Neuer Ministerpräsident ist der alte: Der parteilose Giuseppe Conte, der den Cinque Stelle nahesteht. Die Sozialdemokraten hatten sich zunächst gegen ihn gestellt. Doch da sich Conte als heftiger Kritiker des Lega-Chefs Matteo Salvini profilierte, akzeptierte ihn schliesslich die Linke.
Selbst Trump hatte sich am Dienstag für Conte ausgesprochen. „Er ist ein sehr talentierter Mann, der hoffentlich Ministerpräsident bleibt“, twitterte Trump. Giuseppe Conte nannte er „Giuseppi“.
Streitpunkt Di Maio
In der Schlussphase ging es vor allem noch darum, ob Luigi Di Maio, der „Capo Politico“ der Fünf Sterne, Vize-Ministerpräsident oder Innenminister werden soll. Die Sterne verlangten, dass Di Maio, der bisher zusammen mit Salvini bereits Vize-Ministerpräsident war, dieses Amt behalten soll. Dagegen wehrten sich die Sozialdemokraten, mit einigem Grund.
Der PD will einen klaren Bruch mit der alten Regierung. „Wir wollen einen Neuanfang mit neuen Leuten“, hiess es. Vor allem Di Maio war den Sozialdemokraten ein Dorn im Auge. Der 33-Jährige gilt als schwache Figur. Er liess sich von Salvini komplett an die Wand spielen. Über ein Jahr lang hatte er die arrogante, rassistische, machistische, anti-europäische Politik von Salvini mitgetragen. Deshalb war er für die Sozialdemokraten untragbar, zumindest als Vize-Ministerpräsident.
Das sahen die Fünf Sterne anders und beharrten auf Di Maio. Die Linke blieb hart. Die Verhandlungen drohten zu scheitern.
Vize-Ministerpräsident Zingaretti
„Wenn es einen Cinque-Stelle-Premierminister gibt, ist es normal, dass die Sozialdemokraten den Vize-Premier stellen“, sagte Andrea Orlando, der stellvertretende sozialdemokratische Parteichef und frühere Justizminister.
Schliess gaben die Sterne nach. Für Di Maio ist nun offenbar eine Lösung gefunden worden. Möglicherweise wird er in das in Italien eher bedeutungslose Amt des Verteidigungsministers abgeschoben.
Ob der Sozialdemokrat Nicola Zingaretti, der neue Chef des PD, neuer Vize-Ministerpräsident wird, ist noch unklar. Conte brachte plötzlich die Idee ins Spiel, gar keinen Vize-Präsidenten zu ernennen. Zingaretti hat bei den Koalitionsverhandlungen eine wichtige Rolle gespielt und deutlich an Statur gewonnen. Ob er überhaupt mit einem Ministeramt liebäugelt, ist unklar.
In den italienischen Medien haben die Spekulationen, wer welches Ministerium übernehmen könnte, bereits ihren Lauf genommen. Als mögliche Vize-Ministerpräsidenten – wenn es denn dieses Amt noch geben sollte – werden auch die Sozialdemokraten Dario Franceschini, der frühere Parteichef des PD und Minister sowie Andrea Orlando, der stellvertretende Chef des PD genannt. Aussenminister könnte der frühere Ministerpräsident und Renzi-Nachfolger Paolo Gentiloni werden.
Wie der Teufel das Weihwasser
Di Maio ist also der grosse Verlierer der Regierungsbildung. Er und die Cinque Stelle befinden sich in einer schwierigen Lage. Sie fürchteten Neuwahlen wie der Teufel das Weihwasser. Aus gutem Grund: Laut Umfragen würden die Sterne bei einer Neubestellung des Parlaments eine saftige Niederlage erleiden und jeden zweiten Abgeordneten verlieren.
Diese Angst vor einem Urnengang hatte sie gezwungen, mit der verhassten Linken Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Ihre Devise lautete deshalb: Lieber mit dem „Fass voll flüssiger Scheisse“ als Neuwahlen. Beppe Grillo war es denn auch, der Di Maio aufforderte, einen Pakt mit der Linken zu schliessen.
Revolte bei den Sternen
Doch andererseits stehen die „Pentastellati“ (Fünf Sterne) vor einer internen Revolte. Ein offenbar grosser Teil der Mitglieder will keine Allianz mit der Linken.
Di Maio hatte nun angekündigt, die Parteibasis über das geplante Bündnis mit den Sozialdemokraten abstimmen zu lassen. Ob es dazu wirklich kommt, war am Mittwochabend unklar.
Wichtige Entscheide legen die Sterne, so steht es in den Parteistatuten, den eingeschriebenen Parteimitgliedern zur Abstimmung vor. Dies geschieht über die Internet-Plattform „Rousseau“. Auch das Zusammengehen mit der Lega war vor anderthalb Jahren der Basis vorgelegt – und gutgeheissen worden.
DNA der Fünf Sterne
Dass einige zehntausend Sterne-Anhänger via Internet über die Regierungsbildung und damit über das Schicksal des Landes entscheiden, mag befremden. Andererseits: Wenn die Sterne ihre Basis bei wichtigen Fragen nicht mehr befragen, verstossen sie gegen ihre Statuten: gegen die DNA ihrer Bewegung.
Sollte das Bündnis den Sterne-Mitgliedern zur Abstimmung vorgelegt werden, wäre die Möglichkeit gross, dass die Mehrheit der Befragten die neue Regierung ablehnt. Eigentlich war geplant, die Internet-Konsultation am Wochenende stattfinden zu lassen.
Staatspräsident Mattarella zeigte sich befremdet über dieses Taktieren der Sterne. Für ihn gelte der Entscheid der Parteiführung und nicht das Ergebnis einer Internetabstimmung.
Salvini, der Köderer
Theoretisch möglich gewesen wäre auch eine Wiedergeburt des zerbrochenen Bündnisses zwischen Salvinis Lega und den Sternen.
Dazu wäre Salvini sofort bereit gewesen. Er ist sich bewusst geworden, dass er eine Dummheit gemacht hat, als er die bisherige Regierung auffliegen liess. Jetzt krebste er kleinlaut zurück und köderte Di Maio. „Ich werde nicht nur einen Schritt auf Di Maio zugehen, sondern tausend“, sagte er am Dienstag. Er bot Di Maio sogar das Amt des Ministerpräsidenten an, wenn sich die beiden Parteien erneut zusammenfinden.
Salvini gab am Mittwochabend in einem Fernsehinterview zu, dass er eine Dummheit gemacht hat. Gleichzeitig sprach er von einem „internationalen Komplott“ gegen ihn.
Auf schwachen Füssen
Dazu kommt es nun nicht. Doch die neue Regierung steht auf wankendem Boden. Berlusconi sprach am Mittwoch von einer „schwachen Regierung“. Für einmal könnte der bald 83-jährige recht haben. Niemand rechnet damit, dass diese Regierung die Legislatur beendet und bis 2022 im Amt bleibt.
Schwach ist die neue Regierung auch deshalb, weil sie im Parlament keine komfortable Mehrheit besitzt. Im 315 Sitze zählenden Senat verfügen die Cinque Stelle und der PD zusammen über 165 Sitze, also nur 7 Sitze mehr als die absolute Mehrheit. Im Abgeordnetenhaus, das 630 Sitze zählt, haben beide zusammen 23 Sitze mehr als die absolute Mehrheit. Das ist wenig. Vor allem auch deshalb, weil es in beiden Parteien Kräfte gibt, die gegen die rot-gelbe Heirat sind (gelb ist Parteifarbe der Fünf Sterne). Der Sozialdemokrat Carlo Calenda, Europaparlamentarier und früherer Minister, hat schon angekündigt, dass er aus Protest aus der Partei austrete. Er wird nicht der einzige bleiben.
Viel Streitpotential
Gestritten wurde in den letzten Tagen vor allem über personelle Fragen, über die Besetzung von Ministerien und anderen Posten. Inhaltliche Fragen wurden nur am Rand behandelt. Da gibt es viel Streitpotential. Die neue Regierungsmannschaft wird es schwer haben, bald konkrete Ergebnisse vorzuweisen.
Gelingt ihr das aber nicht, wird Salvini neuen Auftrieb erhalten. Er wird sich dann als Heilsbringer Italiens anpreisen.
Angekündigte Grossdemonstrationen
Vorerst jedoch werden die Lega und die mit ihr ideologisch verwandten postfaschistischen „Fratelli d’Italia“ protestieren. Giorgia Meloni, die laute Chefin der Fratelli kündigte am Mittwoch an: „Wenn die neue Regierung vereidigt wird, werden wir zu einer Grossdemonstration vor dem Abgeordnetenhaus aufrufen. Solche rechtspopulistischen Manifestationen, vor allem wenn sich rechtsextreme Kreise daruntermischen, verlaufen nicht immer friedlich. Salvini hatte schon letzte Woche zu Demonstrationen aufgerufen. Die erste grosse Manifestation gegen die neue Regierung soll am 19. Oktober in Rom stattfinden, erklärte er am Donnerstag.
Und was geschieht, wenn die Internet-Konsultation der Fünf Sterne doch stattfindet und wenn die Basis Nein zur neuen Regierung sagt? Dann drohen die Sterne zerrissen zu werden. Dann würde die Opera buffa der letzten Tage endgültig zum Trauerspiel.