Halle, Hanau, Lübcke, NSU – das sind nur die jüngsten Stichworte, die den Rechtsterrorismus in Deutschland umreissen. Vergessen scheinen längst Rostock-Lichtenhagen, Solingen oder Mölln, als sich in den neunziger Jahren der Hass rechter Schlägertrupps und Mörder gegen Ausländer richtete.
In der Öffentlichkeit vergessen
Noch ferner liegt die Erinnerung an den «anderen Deutschen Herbst» von 1980, wie das die FAZ unlängst nannte: Der Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest mit zwölf Toten, begangen von einem Rechtsextremisten. Die Ermordung eines jüdischen Gemeindevorstands in Erlangen wenig später, oder sieben Bombenanschläge der neonazistischen Terrororganisation «Deutsche Aktionsgruppen». Insgesamt kamen in jenem Herbst 20 Menschen um.
Dass dieser rechte Terror während Jahrzehnten völlig vergessen ging, wundert nicht. Er wurde nie so ernst genommen wie die spektakulären Terroranschläge der Linken, die sich gegen Institutionen und Vertreter von Staat und Wirtschaft richteten. Auch nicht von Justizbehörden und Politik, die stets nur von Einzeltätern ausgingen und sich bis in unsere Tage (Beispiel NSU) weigerten, sofort auch nach rechten Netzwerken zu suchen.
Dass es sich hier nicht um unzulässige Verallgemeinerung handelt, zeigen zwei Neuerscheinungen, die sich dem rechten Terror widmen. Sie befassen sich zwar mit unterschiedlichen Epochen, kommen aber zu erschreckend ähnlichen Ergebnissen. Dass beide Autoren vor allem publizistisch tätig und keine hauptamtlichen Akademiker sind, macht sich in der anschaulichen Darstellung und ihrer Sprache erfreulich bemerkbar.
Das Spektrum der Hassmotive
Das erste Buch untersucht die «Rache der Verlierer» nach dem ersten Weltkrieg und die «Erfindung des Rechtsterrors in Deutschland», wie es im Titel heisst. Autor ist der Historiker und Dokumentarfilmer Florian Huber. Bekanntgeworden war er 2015 mit dem Bestseller «Kind, versprich mir, dass du dich erschiesst», worin er den Massenselbstmord im Mecklenburg-Vorpommer’schen Demmin 1945 bei Vorrücken der Sowjets beschrieb.
Das zweite Buch, verfasst von Ronen Steinke, untersucht minutiös den «Terror gegen Juden» seit 1945, und der Untertitel beschreibt die These dazu: Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt. Steinke ist Jurist und Redaktor der «Süddeutschen Zeitung». Bekannt wurde er als Autor einer Biografie über den legendären Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der den Auschwitzprozess in die Wege geleitet hat.
Die Bücher zusammen zu lesen, zeigt, bei allen historischen Unterschieden auch Gemeinsamkeiten. Es sind der Hass auf die Regierenden, auf «die Eliten», Nationalismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit. Ähnliche Denkweisen, Sprachfiguren, Strukturen, Milieus, Mentalitäten erkennt Florian Huber auch über die Jahrzehnte. Auf staatlicher Seite ähneln sich die Muster von Verdrängen, Verschlampen, mitunter auch fussend auf heimlicher Sympathie.
Hass gegen die «Erfüllungspolitiker»
Florian Huber behandelt die Jahre 1918 bis 1922, bis zur Ermordung von Aussenminister Walther Rathenau, dem Kulminationspunkt der rechten Gewalt. Jedem Kapitel stellt er ein Zitat aus der heutigen Rechten voran, von KuKluxKlan-Vertretern bis Alexander Gauland. Fotografien im Anhang machen Kontinuitäten auch visuell sichtbar.
In diesen vier Jahren wurden 354 politische Morde von Rechten begangen, 326 davon blieben ungesühnt. Ihnen standen 22 Morde von linker Seite gegenüber, vier davon ungesühnt. Diese exzessive politische Gewalt war in Deutschland ein neues Phänomen und ist auch mit unserer Zeit in keiner Weise zu vergleichen, wie Florian Huber sehr gut darlegt. Ihren Grund hatte sie, wie wir wissen, im verlorenen Krieg.
Täter kamen aus Organisationen wie den berüchtigten Freikorps (von denen soeben in Zusammenhang mit der Sammlung Emil Bührle wieder die Rede war), wo sich rechtsradikale Ex-Soldaten, für die es nach der Niederlage keine Aufgabe und keine Arbeit mehr gab, zusammenrotteten; oder die Organisation Consul, die Walther Rathenau auf dem Gewissen hat. Ihnen galten Linke, Kommunisten wie Sozialdemokraten, als Verräter, die den «im Felde Unbesiegten» den Dolch in den Rücken gerammt und so die Niederlage herbeigeführt hätten. Und sie hassten jene, auch bürgerlichen, Politiker, die mit den Siegermächten über die exorbitanten Reparationsleistungen verhandelten oder ihnen gar entgegenkamen, geschmäht als «Erfüllungspolitiker». Hier stand an oberster Stelle Walther Rathenau, der auch noch Jude war.
Der Mord an Walther Rathenau – ein exemplarischer Fall
Vor diesem Hintergrund wollten die Täter «ihre Heimat rächen, reinigen, retten» (Huber). Opfer wurden nicht nur Politiker wie Rathenau oder Finanzminister Matthias Erzberger, sondern auch Arbeiter, Frauen und Kinder. In den Mittelpunkt des Buchs stellt Floran Huber quasi exemplarisch Walther Rathenau. Entlang der politischen Biografie dieses aussergewöhnlichen und bis heute rätselhaften Menschen schildert Florian Huber die Radikalisierung im Parlament wie ausserhalb. Der Mord war nicht denkbar ohne die politische «Vorarbeit» in einer Koalition reaktionärer Kräfte von Grosskapital und Grossgrundbesitz, personalisiert in dem Ökonomen Karl Helfferich, deutschnational und tief antisemitisch, dem parlamentarischen Gegenpol zu Rathenau.
Ein ganzes Kapitel widmet Huber der Justiz und weist nach, wie blind sie auf dem rechten Auge war. Die Morde an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg kamen nicht einmal vor ein ordentliches Gericht. Ein Kriegsgericht sprach die beteiligten Freikorpsoffiziere dann frei. Ausführlich beschreibt Huber den Prozess gegen Rathenaus Mörder (dem Joseph Roth als Journalist beiwohnte) und die Mentalität der Justiz, wo sich die Anklageschrift geradezu wie das Plädoyer der Verteidigung las. Es schaudert einen.
Wenn Ronen Steinke, selber jüdisch, sich mit dem Terror gegen Juden seit 1945 befasst, dann liegt der Schwerpunkt auch hier bei den rechten Urhebern. Den linken antisemitischen Terror der 60er/70er Jahre im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt ruft er allerdings genauso in Erinnerung wie Taten islamistischen Ursprungs in unseren Tagen.
Man könnte die Lektüre auch mit der Chronik am Buchende beginnen: Sie umfasst fast hundert Seiten. Sie beginnt im Sommer 1945 (!) mit Grabschändungen in Bayern. Umgeworfene Grabsteine, nazistische Schmierereien auf Friedhöfen folgen in schier endloser Reihe über die Jahre, in West- wie in Ostdeutschland. 1970 verbrannten sieben Juden in einem Münchner Altersheim nach einem Anschlag, der bis heute nicht aufgeklärt wurde.
Rechter und linker Antisemitismus
Blutige Anschläge gab es in den Zeiten des linken Terrors um die siebziger Jahre wie in unseren Tagen von islamistischen Tätern. 1969 plazierten «Tupamaros» in der Jüdischen Gemeinde in Berlin eine Bombe, die bei einer Gedenkveranstaltung explodieren sollte, es durch grosses Glück aber nicht tat. Dass auch ein V-Mann des Verfassungsschutzes involviert war (um die Linke zu diskreditieren) gehört zu der ewigen Geschichte staatlichen Versagens, wie man es bis heute kennt (und kontrovers diskutiert). Kopf der «Tupamaros» war Dieter Kunzelmann, der meinte, auf diese Weise Israel bekämpfen zu müssen.
Das hinderte die damaligen Grünen nicht daran, ihn später ins Berliner Abgeordnetenhaus zu schicken. Wenige Monate später starben bei einem Brandanschlag auf das jüdische Altersheim in München sieben Bewohner. Zwar wurde die Täterschaft nie ermittelt, aber Kunzelmann tat sich neuerlich hervor mit hämischen und höhnischen Kommentaren. Zu antijüdischen Verbrechen von linker, propalästinensischer wie antiisraelischer Seite zählen auch die Flugzeugentführungen.
Späte Korrekturen
1980 ermordete ein Neonazi den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Erlangen und seine Partnerin. An diesem Verbrechen wird die Kontinuität besonders deutlich, um die es ja beiden Autoren geht. Monatelang ermittelte die Polizei im (jüdischen) Umfeld des Opfers, ehe sie schliesslich den Täter fand: Ein Mitglied der neonazistischen Wehrsportgruppe Hofmann. Hier trat haarscharf jenes Denken zutage wie Jahrzehnte später bei den Morden NSU, als die Polizei allein im Einwanderermilieu ermittelte und jahrelang nicht auf die Idee kam, es könnten neonazistische Täter sein, wie sich dann schliesslich herausgestellt hat.
Auch der Attentäter des Oktoberfestes gehörte zu dieser Wehrsportgruppe Hofmann, was man auch sofort herausfand. Trotzdem blieb es jahrzehntelang bei der offiziellen These vom Einzeltäter, der unglücklich verliebt war. Somit war das auch kein politisches Attentat, und die Hinterbliebenen wurden nicht entschädigt. Erst in unseren Tagen hat man diesen Fehlentscheid korrigiert.
«Mildernde Umstände» für muslimische Täter
Dazu passt, dass, obwohl man immer mehr rechte Cyber-Netzwerke in den Sicherheitsorganen findet, die verantwortlichen Innenminister auf Bundes- und Länderebene eine wissenschaftliche Erhebung darüber verweigern. Oder wenn arabische Jugendliche, die Brandanschläge auf deutsche Synagogen verüben, mildernde Umstände bekommen, weil sie ja einen «politischen» Grund hatten.
Es geht Steinke nicht um die Aufzählung all der Gewalttaten, sondern um das Versagen staatlicher Stellen bei Aufklärung, Verfolgung und angemessener Verurteilung. Es steht in eklatantem Widerspruch zu den schönen oder auch betroffenen Reden an die Adresse der Juden, ob zur «Woche der Brüderlichkeit» oder nach dem nächsten Anschlag oder zur Installierung eines Antisemitismusbeauftragten auf Bundesebene.
Auf der praktischen Ebene nämlich geschieht nichts. Jenseits der grossen Zentren müssen etwa jüdische Institutionen für ihren Schutz selber sorgen (wir kennen diese Diskussion in der Schweiz auch, wo erst in jüngster Zeit staatliche Stellen begriffen haben, dass der Schutz zu ihren Aufgaben gehört). Oder die Tatsache, dass jüdische Schüler, die angegriffen werden, den Ratschlag bekommen, die Schule zu wechseln, während die Täter bleiben dürfen.
Muslimische Täter bekommen mildernde Umstände, weil sie ja sozusagen aus politischen Motiven gehandelt hätten. Es ist von grossem Vorteil, dass mit Ronen Steinke ein Jurist die Fälle anschaut. Dass dann wiederum muslimische Migranten genauso ins Visier rechtsextremistischer Täter geraten, zeigt, wie komplex die Thematik ist. Das zeigt die bei aller persönlichen Betroffenheit nüchterne Darstellung von Ronen Steinke.
Florian Huber: Rache der Verlierer. Die Erfindung des Rechtsterrors in Deutschland. Berlin Verlag, 2020. 286 Seiten, Fr. 36.90
Ronen Steinke: Terror gegen Juden. Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt. Eine Anklage. Berlin Verlag, 2020. 252 Seiten, Fr. 27.90