Eric Cantors Wiederwahl im November schien eine Formsache zu sein. Was sollte dem zweitmächtigsten Republikaner im US-Repräsentantenhaus denn schon passieren – bei seinem Bekanntheitsgrad, seiner gut geölten Wahlkampfmaschine und seinen willigen Spendern? Trotzdem hat der 51-jährige Abgeordnete aus Virginia jüngst in seinem Bezirk die Vorwahl verloren: gegen einen weitgehend unbekannten Collegeprofessor, dem nicht einmal seine eigenen Anhänger grosse Chancen eingeräumt hatten.
Lediglich einige populäre rechte Radiokommentatoren unterstützten David Brat, während der Support selbst aus den Reihen der abtrünnigen Tea Party bestenfalls lauwarm blieb. Die nationalen Medien in Washington DC indes ignorierten Brats Wahlkampf; zu vorbestimmt schien dessen Ausgang und zu sicher wähnten sich Reporter und Redaktoren ihrer Einschätzungen, die fast ausschliesslich auf Umfragen und Statistiken basierten. So sicher jedenfalls, dass sie es nicht für nötig hielten, auch mit Wählerinnen und Wählern direkt zu sprechen.
Hätten die Medienvertreter gründlicher recherchiert, es wäre ihnen wohl aufgefallen, dass sich an der Basis etlicher Unmut gegenüber Eric Cantor aufgestaut hatte, den die Leute zunehmend als arrogant und abgehoben einstuften. Umso eifriger widmen sich die Journalisten nun tiefgründigen Nachbetrachtungen des «politischen Erdbebens» in Virginia, mit riskanten Extrapolationen im Hinblick auf die kommenden Zwischenwahlen.
Und die Lehre aus der Geschichte? Noch ist, allen digital clever aufbereiteten Daten zum Trotz, nicht tot, was die Amerikaner treffend «shoe-leather journalism» nennen: die Recherche vor Ort, das direkte Gespräch, das Hören auf den Bauch – unterwegs mit abgelaufenen Schuhsohlen.