Konkret heisst das: Man will mittels Zahlen und Rangordnungen - neudeutsch Rankings genannt - etwas an sich Vielschichtiges in eine eindimensionale Ordnung zu zwingen.
Obgleich gerade die Wissenschaft um die Komplexität unserer geistigen und physischen Welt wissen müsste, konnte auch sie sich nicht ganz der Verführung einer eindimensionalen Weltordnung entziehen. Es existieren heute verschiedene internationale Hochschul-Rankings, deren Resultate es regelmässig in die Medien schaffen und sogar Parlamente und Regierungen beschäftigen.
Verachtung und Liebe zum Ranking
So hat die deutsche Regierung vor rund zehn Jahren die Schaffung der sogenannten Exzellenzinitiative für deutsche Universitäten nicht zuletzt mit dem Ziel initiiert, die Zahl der unter den besten Hundert platzierten deutschen Hochschulen zu vergrössern. Es gehört zwar unter Akademikern zum guten Ton, den Wert dieser Rankings herunterzuspielen, aber wenn man dort weit vorne rangiert – wie die beiden eidgenössischen Hochschulen in Zürich und Lausanne und überhaupt praktisch alle grossen Schweizer Universitäten –, ist man nur allzu gerne bereit, trotz aller Vorbehalte das eigene gute Abschneiden gebührend auszuschlachten.
Das ist menschlich und auch nicht weiter schlimm, denn grösseren Schaden vermochten diese Rankings den Universitäten bisher kaum zuzufügen – im Gegenteil, etwas Sportgeist schützt vor Trägheit und Verfettung. Mag also das Universitäts-Ranking ein lustiges Gesellschaftsspiel sein, so kann dieses Spiel, betrifft es einzelne Personen, schnell einmal sehr ernste Konsequenzen haben, etwa wenn es um personelle Entscheide, um Beförderungen und Professorenwahlen geht.
Wie lässt sich die Qualität einer Forscherin oder eines Forschers messen? – Die Schwierigkeit fängt schon damit an, dass in vielen Disziplinen wissenschaftliche Leistung oft das Produkt einer komplexen Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Personen darstellt.
Das Mass aller Dinge
Man versucht das Problem dadurch zu lösen, dass alle involvierten Personen zu Autoren der entsprechenden Publikation, in der über ein bestimmtes Forschungsresultat berichtet wird, gemacht werden. Während langer Zeit – und vielerorts bis heute – wird die Länge der persönlichen Publikationsliste, das heisst, die Anzahl von Publikationen, auf denen der Name einer Person erscheint, als Mass der wissenschaftlichen Leistung gewertet. Und schon ist die eindimensionale Welt geboren.
Daher kennen alle, welche sich ihr Brot in der Forschung zu verdienen versuchen, das heilige Motto: publish or perish – publiziere oder gehe zu Grunde.
Dem Schicksal etwas nachhelfen
Immerhin sei zur Entlastung der wissenschaftlichen Gemeinschaft darauf hingewiesen, dass für die seriöse Evaluation von Personen heute nicht mehr die Zahl der Publikationen, sondern deren Wert für die wissenschaftliche Gemeinschaft als Beurteilungskriterium verwendet wird. Als „Wert“ wiederum wählt man die Anzahl von Zitierungen einer Veröffentlichung durch andere Forschende. Dies in der Meinung, was oft zitiert werde, müsse einen grossen Wert haben. Damit wurde der sogenannte Zitationsindex (citation index) zum Gralshüter wissenschaftlicher Qualität.
Auch wenn es noch viele weitere methodische Verfeinerungen dieses Qualitätssystems gibt, der Zwang zum Publizieren bleibt in all diesen Systemen bestehen. Wo der Druck steigt und Geld und Karriere im Spiel sind, wächst bei den Betroffenen die Versuchung, nach Entlastungsmöglichkeiten zu suchen und unter Umständen dem Schicksal etwas nachzuhelfen. Auch das ist menschlich.
Wissenschaftliches Fehlverhalten, wie der Fachausdruck heisst, ist heute leider ein weit verbreitetes Phänomen mit einer grossen Dunkelziffer. Es reicht von relativ harmlosen Handlungen, wie die unnötige Aufteilung der Veröffentlichung von Forschungsresultaten auf mehrere Publikationen, bis zum handfesten Betrug, wie die Fälschung von Messresultaten.
Die goldenen Jahre der renommierten Zeitschriften
Prominente Fälle von wissenschaftlichem Betrug durch Forschende, welche die Welt alternativer Fakten schon lange vor der Politik entdeckt haben, brachten es in den letzten Jahren verschiedentlich in die Schlagzeilen.
Des einen Not ist des anderen Tugend. Das wissen seit je her jene „Unternehmer“, welche die Publikation wissenschaftlicher Arbeiten zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben, zum Beispiel Wissenschaftsverlage und wissenschaftliche Fachvereine, welche eigene Zeitschriften herausgeben, oder neustens die Herausgeber von wie Pilze aus dem Boden schiessenden Internet-Journalen.
Während der goldenen Jahre konnten es sich renommierte Zeitschriften leisten, an publizierten Artikeln gleich zweimal zu verdienen, erstens aus den Abonnenten der Zeitschriften, darunter als sichere Kunden die Bibliotheken der Universitäten und Forschungsinstitutionen, und zweitens durch Publikationsgebühren, welche – in den letzten Jahren immer öfter und vor allem in den renommierten Zeitschriften – die Autoren für die Veröffentlichung der akzeptierten Artikel zu entrichten haben.
Forderung nach „Open Access“
Im Zeitalter des medialen Gratiskonsums (Gratiszeitungen, Internet) ist sogar in der sonst eher geschäftsuntüchtigen und konservativen Forschergemeinschaft der Ruf nach „Open Access“, d.h. nach dem kostenlosen Zugang zu allen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, so gross geworden, dass der ursprünglich wichtigste Einkommenspfeiler der Verlage (die Zeitschriftenabonnemente) zunehmend ins Wanken gekommen ist. Umgekehrt fallen heute die Publikationsgebühren immer stärker ins Gewicht, gerade bei den Internet-Publikationsplattformen. Mit dem „Publish or Perish – Damoklesschwert“ im Genick lassen sich die Forschenden immer noch viel Geld abknöpfen, was erklärt, wieso die Anzahl wissenschaftlicher Zeitschriften in den vergangenen Jahren ins schier Unermessliche gewachsen ist.
Ein Artikel in Nature, einer der renommiertesten wissenschaftlichen Zeitschriften, hat kürzlich auf ein neues Phänomen von Fehlverhalten hingewiesen, welches nicht die Autoren von Artikeln, sondern die Herausgeber von wissenschaftlichen Fachjournalen betrifft. (1) Der Befund ist nicht nur bedenklich für all jene Forschenden, welche sich in den letzten Jahren für Open Access stark gemacht haben, sondern auch für die vielen seriösen, zum Teil sehr alten wissenschaftlichen Verlage, deren Metier durch die schwarzen Schafe in Verruf zu gelangen droht.
Test mit einer fiktiven Forscherin
Ein Gruppe von Psychologen aus Deutschland und Polen hat die Frage untersucht, wie wissenschaftliche Zeitschriften jene Personen rekrutieren, welche als Mitglieder des Gremiums der Herausgeber (editorial board) der Zeitschrift darüber entscheiden, welche der eingereichten Artikel zur Publikation akzeptiert und welche zurückgewiesen werden.
Dazu muss man wissen, dass die Editorial Boards guter Zeitschriften ihr Urteil aufgrund externer Expertisen fällen, welche für alle eingegangenen Artikel eingeholt werden. Viele, insbesondere neue Zeitschriften verzichten aber auf das Einholen solcher Gutachten – wohl in erster Linie aus finanziellen Gründen; hier spielt die Entscheidung des Boards also eine noch weit wichtigere Rolle.
Die erwähnte Forschergruppe hat für ihre Untersuchung ein künstliches wissenschaftliches Profil einer fiktiven Forscherin namens Anna O. Szust erstellt (Oszustwa ist das polnische Wort für Betrug!) und für diese Person mehrere fiktive Webseiten und eine Publikationsliste mit erfundenen Artikeln in erfundenen Zeitschriften und mit erfundenen Koautoren geschaffen. Im Rahmen einer verdeckten Operation hat sich Anna O. Szust bei mehreren wissenschaftlichen Publikationsorganen um eine Mitgliedschaft im Herausgebergremium beworben.
Seriöse und andere Zeitschriften
Wohlgemerkt: Der Name Anna O. Szust, ihre Artikel und ihre Koautoren erscheinen in keiner der vielen Internet-Datenbanken; nur schon die stichprobenhafte Nachprüfung einzelner Angaben im Lebenslauf von Szust hätte also Zweifel wecken müssen.
Es wurden 360 wissenschaftliche Zeitschriften angeschrieben, je 120 aus der Liste der renommierten Zeitschriften, 120 Internet-Zeitschriften und 120 aus einer von einem Bibliothekar der University of Colorado zusammengestellten Liste von dubiosen Publikationsorganen. Letztere werden auch „räuberische Zeitschriften“ (predatory journals) genannt, weil sie in Verdacht stehen, in erster Linie mit den nach Veröffentlichungsmöglichkeiten suchenden Forschenden Geld verdienen zu wollen.
Die gute Nachricht zuerst: In der ersten Gruppe von Zeitschriften ist keine einzige auf das Angebot eingetreten, ja die meisten haben nicht einmal geantwortet. Bei den Internet-Zeitschriften waren 8 (7 Prozent von 120) bereit für die gewünschte Zusammenarbeit mit der fiktiven Anna O. Szust, bei den predatory journals 40 (ein Drittel!). Nicht nur das: Es gab von den Journals dieser Gruppe auch zum Teil recht plumpe kommerzielle Angebote oder räuberische Bedingungen. Eines offerierte der fiktiven Bewerberin eine 40prozentige Gewinnbeteiligung an den eingeworbenen Artikeln, andere verlangten von der Bewerberin Geld für die „Ehre“, auf der Liste der Mitherausgeber zu erscheinen.
Forschung und Fake News
Die Frage, ob die Person überhaupt in der Lage sei, die doch ziemlich anspruchsvolle wissenschaftliche Evaluationsaufgabe vornehmen zu können, spielte keine Rolle. Auch wurden die Angaben im fiktiven Lebenslauf offensichtlich nicht überprüft, wäre doch dadurch der dubiose Hintergrund der Bewerberin offensichtlich geworden. Bei einigen Publikationsorganen erscheint der Name Szust übrigens bis heute unter den Herausgebern.
Selber Schuld, wer seine Arbeiten solch dubiosen Zeitschriften anvertraue, möchte man achselzuckend sagen. Aber so einfach ist es leider nicht, denn die Liste dieser zweifelhaften Publikationsorgane enthält unterdessen mehr als 10'000 Titel und wächst noch immer. Die Autoren der Studie schätzen, dass im Jahre 2015 über eine halbe Million Arbeiten in diesen Journalen erschienen sind. Wahrscheinlich sind für alle respektable Gebühren bezahlt worden, und die entsprechenden Gelder stammen zum überwiegenden Teil aus staatlich finanzierten Forschungsförderungsorganen, das heisst aus Steuergeldern.
Den Scharlatanen den Wind aus den Segeln nehmen
Kein Zweifel, auch die Forschung ist heute in der ganz normalen Welt angekommen, wo der Versuch, mit fake news und anderen Schummeleien möglichst billig zu Geld und Ruhm zu kommen, ein Kavaliersdelikt geworden ist. Gerade deshalb ist es höchste Zeit nach Gegenstrategien zu suchen. Dies kann nur gelingen, wenn alle Betroffenen gemeinsam handeln.
Das betrifft erstens die Forschenden, unter denen einige dem Publikationsdruck in fahrlässiger Weise nachgeben, zweitens die Hochschulen und Forschungsinstitutionen, welche sich über die Zweckmässigkeit ihrer Beurteilungskriterien Gedanken machen und diese verbindlich kommunizieren müssen, und drittens die (seriösen) Herausgeber wissenschaftlicher Fachorgane, welche bei Open Access die Flucht nach vorne antreten sollten, um so den dubiosen Anbietern den Wind aus den Segeln zu nehmen.
(1) Predatory journals recruit fake editor“, Nature, volume 543 (23 March 2017), p.481-483