Zwei Extreme machen Männermode zu einer traurigen Sache: Das eine resultiert aus Stilblindheit und Gleichgültigkeit, das andere aus sklavischer Befolgung von Modediktaten. Das Fernsehen zelebriert beides und erhebt es zur Normalität.
Soll man über Kleider Worte verlieren in einer Zeit, in der so viel Wichtgeres förmlich nach vehementem Einspruch ruft? Ist es da angebracht, sich mit Erscheinungen von minderer Wichtigkeit herumzuschlagen? Ja, denn die Kultur des Alltags wird von lauter solchen Nebensächlichkeiten bestimmt. Wer sich mit ihr befasst, kommt nicht an diesen Adiaphora – den ethisch indifferenten Dingen – vorbei.
Kleiderstile sind prüfenden Blicken nirgends so ausgesetzt wie im Fernsehen. Das Medium radikalisiert das Bewerten und wird zum Vergrösserungsglas, unter dem modische Tendenzen oder Schlampereien ins Auge stechen. Weshalb ist das so?
Wer als Profi in einem TV-Studio frontal vor der Kamera steht, ist einer gnadenlosen Aufmerksameit unterworfen. Sie oder er befindet sich in einem sozialen Nirgendwo. Da ist nichts, was die Kommunikation mit dem Publikum einbettet und stützt. Alles hängt an der geistigen Präsenz der exponierten Person, ihrer Mimik und Körpersprache, am Was und Wie der Mitteilung. Und natürlich an Äusserlichkeiten wie insbesondere der Kleidung. Bleiben wir für einmal bei Letzterem, und zwar bei den Kleidern von Journalisten in (vor allem) schweizerischen und deutschen Sendern.
Was sich hier im Scheinwerferlicht zeigt, ist oft genug zum Schreien. Zerknitterte, schlechtsitzende Jacketts, die aussehen wie in letzter Minute von einem Kollegen ausgeliehen; Kombinationen von Farben und Mustern, die zueinander auf Kriegsfuss stehen; Kragen, die nach Zwangsmassnahmen und Krawattenknoten, die nach Ausnahmeregelungen aussehen – kurz: Den Leuten ist vielfach schrecklich unwohl in ihren Klamotten. Und diese Empfindung überträgt sich sogleich auf die Zuschauer.
Doch nicht nur die augenscheinlich verunglückten Erscheinungsbilder sind eine Qual. Auch die modisch angesagten Stylings wecken eher Erbarmen als Wohlgefallen. Warum nur müssen Vestons partout zwei Nummern zu klein getragen werden? Weshalb gehören Hosenbeine so eng geschneidert, dass O-Beine maximal betont sind? Die aktuelle Männermode macht alle zu Witzfiguren. Ob TV-Moderator oder Bankkundenberater: Eine Gestalt, die sich im straff zugeknöpften Jackett nur in Zeitlupe zu bewegen wagt und sich wegen zu enger Hose kaum setzen kann, wirkt ganz einfach nicht souverän.
Wie schön wäre es, die Männermode würde sich auf ihre, wie ich finde, besten Zeiten besinnen! In den 1940er-Jahren gab es bequeme Vestons und Hosen, deren Stoffe elegant fielen. Die Schnitte folgten der Bewegung des Körpers und erweckten den Eindruck von Behaglichkeit. Zudem trugen die Männer nicht nur zum Mantel, sondern auch zum Anzug draussen wunderschöne Hüte. Die Hemdkragen sassen locker und die Krawatten waren wie beiläufig gebunden.
Man sieht diese Erscheinungsbilder nicht nur in den Filmen, sondern auch in der dokumentarischen Fotografie jener Zeit. Männerkleidung hatte eine grosszügige Fasson und einen entspannten Stil, sie war bequem, liess Spielraum für Individualität und verhinderte geschmackliche Abstürze.
Mode kehrt bekanntlich immer wieder zu früheren Stilen zurück. Eine Inspiration der Vierzigerjahre könnte der Männermode einen Vitaminschub geben, könnte eine neue Lässigkeit und Souveränität bewirken. Nicht nur die Sprecher im Fernsehen würden dadurch gewinnen. Das gesamte Erscheinungsbild der Männerwelt fände zu neuer Qualität.
Eine Nebensache gewiss. Angesichts der drängenden Probleme von heute mag es frivol erscheinen, sich überhaupt mit ihr zu befassen. Die erträumte neue Männermode würde die Welt nicht besser machen. Aber immerhin in Teilen etwas schöner.