Die „Neue Zürcher Zeitung“ ist eine ur-liberale, offene, bürgerliche, freisinnige Zeitung. Geprägt wurde sie über Jahrzehnte von hervorragenden Chefredaktoren, Redaktorinnen und Redaktoren. Keine Schweizer Zeitung verfügt über einen solch guten internationalen Ruf und einen solch hochangesehenen Korrespondentenstamm.
Die Zeitung ist noch immer fest verwurzelt in der Freisinnigen Partei FDP, auch wenn sie das heute nicht mehr an die grosse Glocke hängt. Doch sie ist längst keine Parteizeitung mehr; es ist ihr in den letzten Jahren gelungen, einen offenen Kurs zu fahren – wenn dies auch innen- und regionalpolitisch noch nicht immer gelingt.
Chefredaktor Markus Spillmann war es gelungen, das Blatt zu modernisieren und der „alten Tante von der Falkenstrasse“ neue Impulse zu geben. Was man ihm heute vorwirft, ist lächerlich.
Jetzt wurde Spillmann abserviert – auf eine Art und Weise, die der NZZ unwürdig ist. Die falschen, salbungsvollen Worte des Verwaltungsratspräsidenten Etienne Jornod geben ein Zeugnis davon.
Markus Somm, der Chefredaktor der Basler Zeitung, erklärt am Montag, er sei angefragt worden, Nachfolger von Markus Spillmann zu werden. Vorausgesetzt, das stimmt, muss man sich fragen: Wie dumm dürfen ein Verwaltungsratspräsident und seine Verwaltungsräte sein? Dass Etienne Jornod keine Ahnung von Medien hat, ist allgemein bekannt. Doch jetzt überläuft das Fass.
Damit sei nichts gegen Markus Somm gesagt. Er ist ein intelligenter, guter Journalist und Chefredaktor und vertritt seine Meinung. Dass Christoph Blocher, entgegen seinen früheren Beteuerungen, die Basler Zeitung unter seinen Fittichen hat, ist bekannt. Markus Somm selbst bezeichnet sich als „Statthalter“ von Christoph Blocher. Das darf er sein.
Aber darf es sein, dass eine traditionell freisinnige Zeitung einen Chefredaktor engagiert, der erklärtermassen nicht dieser freisinnigen Tradition nachlebt, sondern den blocherschen Kurs fährt?
Gibt es in der Schweiz, die seit jeher hervorragende Chefredaktoren hervorgebracht hatte, für die NZZ wirklich keinen anderen als einen pointierten SVP-Mann?
Ist Herrn Jornod und dem Verwaltungsrat jedes politische Gespür abhanden gekommen? Merken diese Leute nicht, dass eine solche Politik einen Aufstand in der potenten freisinnigen Welt, in der Redaktion und bei den Lesern auslöst? Und wie verhielten sich die andern Verwaltungsräte?
Hier geht es nicht nur um Medien und um einen neuen Chefredaktor. Hier geht es um die Frage: Driftet die bürgerliche Rechte immer mehr nach rechts? Fährt sie immer mehr einen SVP-Kurs? Wird sie von Blocher aufgesaugt? „Wenn Somm Chefredaktor der NZZ wird“, erklärte uns ein Redaktor des Blattes“, „dann kann die FDP gleich mit der SVP fusionieren.“ Soweit kommt es jetzt nicht.
Aber: Merkt Herr Jornod nicht, welchen Geist er da aus der Flasche liess? Wenn er nun sogar noch eine Absage von Markus Somm erhielt, ist Jornods Blamage umso peinlicher. Dann ist es nicht Jornod, der der NZZ einen SVP-Chefredaktor ersparte, sondern Markus Somm.
Jornod hat laut Zeitungsberichten vor einer Woche Markus Spillmann kaltgestellt. Anschliessend ist der Verwaltungsratspräsident in die Ferien nach Asien verreist. Natürlich konnte er sich nicht vorstellen, was die Absetzung bewirkte... Ihm scheint jedes Gespür abhanden gekommen zu sein. Schon das zeigt, dass er der falsche Mann auf diesem Posten ist. Après moi le déluge.