Erinnern wir uns an die frühere amerikanische Aussenministerin Madeleine Albright. Bei Treffen mit Spitzenpolitikern trug sie meist eine unübersehbare Ansteck-Brosche. Da sah man Schlangen, Bienen, Friedenstauben, Singvögel und Krokodile. Die Journalisten fragten sich jeweils: Welche Botschaft will sie mit diesem oder jenem Tier vermitteln? Die nonverbale Broschen-Diplomatie à la Albright ist längst legendär.
Am vergangenen Dienstag trat Lady Hale, die oberste britische Richterin vor die Medien. Sie verkündete, dass Boris Johnson unrechtmässig gehandelt und die Queen belogen hat. An ihrem Kleid prangte eine riesige Spinne, offenbar eine sechsäugige Sandspinne, wie Journalisten vermuten.
Eine Spinne: Wollte Lady Hale damit ausdrücken: „So, Boris, jetzt bist du im Netz gefangen?“
Vermutlich hat sich die ehrenwerte 74-jährige Brenda Hale, Baroness Hale of Richmond, Präsidentin des Supreme Court, nicht solch nonverbaler Kommunikation bemächtigt. Und dennoch: Johnson klebt wie eine Fliege im Spinnennetz.
Am 31. Oktober ist Halloween. Johnson wiederholte am Mittwoch, dass Grossbritannien dann die EU verlasse – wie auch immer, mit oder ohne Abkommen. Ob ihm das gelingt, darf bezweifelt werden. Die nächsten Tage könnten turbulent werden.
Dass nach dem niederschmetternden, einstimmigen Urteil des Supreme Court der Ruf nach seinem Rücktritt laut geworden sind, war zu erwarten.
Johnson ist zwei Monate im Amt und hat nur Schaden angerichtet. Er hat – auf teils spektakuläre Art – sechs seiner Tory-Abgeordneten verloren. Er hat das Gesetz gebrochen und das Parlament unrechtmässig in die Ferien geschickt. Und er hat die Queen belogen. Die Bilanz ist erschreckend. Da wäre ein Rücktritt angezeigt – und zwar selbst für einen, der sich damit brüstet, Regeln zu brechen, zu provozieren und das Enfant terrible zu spielen. Dass er die Königin hinters Licht geführt hat, sei selbst eingefleischten Johnson-Anhängern vielleicht doch zu viel, kommentiert die BBC-Journalistin Laura Kuenssberg.
Wie die Briten auf das Urteil des Supreme Court reagieren ist noch unklar. Aussagekräftige Meinungsumfragen liegen noch nicht vor.
Doch ein Rücktritt des Premierministers ist im Moment unwahrscheinlich. Es würde das Problem Johnson auch nicht sofort lösen. Irgendwann gäbe es dann Neuwahlen. Und die könnte er laut letzten Meinungsumfragen gewinnen. Das Problem wäre dann nicht mehr Johnson, sondern die Britinnen und Briten, die ihn wählen.
Dennoch: Könnten nicht auch Johnsons Tage bald einmal gezählt sein? Langsam beginnen die Briten zu realisieren, welche wirtschaftlichen Konsequenzen ein Brexit haben wird. Meinungsumfragen geben heute jenen, die in der EU bleiben möchten, einen klaren 49 zu 44 Prozent-Vorsprung auf jene, die austreten wollen.*) Vielleicht wird Johnson doch noch der am kürzest amtierende Premierminister.