Wer realisiert, wie betroffene Konzerne seit 15 Jahren zwar alles über den Klimawandel gewusst, ihn aber trotzdem mit Lobbying, Desinformation und Propaganda geleugnet haben, muss hellhörig werden. Da muss der Wille zu sachlichen Diskussionen über zielführende Massnahmen wachsen.
Spätestens seit die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes (*1958) im Jahr 2012 ihr aufrüttelndes Buch «Merchants of Doubt» (Händler des Zweifels) – «Die Machiavellis der Wissenschaft» – über das Verhalten der Erdölkonzerne geschrieben hat, besteht kein Zweifel mehr, dass die Klimadebatte gezielt sabotiert wird. Zwölf Jahre später prägen weiterhin falsche Argumente und faule Ausreden viele Diskussionen auch in unserem Land.
Wissenschaft gegen «Glauben»
Es gibt Menschen, die überzeugt gegen die Erkenntnis antreten, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Sie stützen sich auf wortgewaltige Wahrheitsverkünder, sie glauben diesen mehr als Wissenschaftlern, die Ursachen und Begründungen zweifelsfrei und faktengestützt belegen können. «Glauben» heisst in diesem Fall «zu wissen meinen», wie es im Duden erklärt wird. Warum ist das so und warum ändert sich an dieser Situation so wenig?
In diese Kategorie gehören all jene, die z. B. folgende Weisheit von sich geben: «Der Klimawandel ist reine Panikmache, die als Drohung aufgebauten Extremsituationen sind völlig unwahrscheinlich.» Sie ignorieren alle Warnungen und rechtfertigen ihre Untätigkeit mit solchen Sprüchen. Nicht zuletzt verweisen sie auf menschliche Innovationskraft, die rechtzeitig dazu beitragen werde, das Problem zu entschärfen respektive zu lösen. Ihnen ist die ganze Klimadiskussion zudem zu moralistisch – und so fliegen sie am nächsten Tag in die Ferien.
Was wir nicht wissen dürfen
Warum will es einfach nicht vorangehen mit globalen Anstrengungen im Kampf gegen die Klimaerwärmung? Warum «glauben» immer noch viele, dass wir den Öl- und Gassektor auf einen zukunftsfähigen Kurs hinbewegen können?
Im Juli 2023 hielt Nobelpreisträger Al Gore einen aufrüttelnden Vortrag zur Thematik und fragte: Wie können wir Lösungen zur Klimakrise beschleunigen?
https://www.ted.com/talks/al_gore_what_the_fossil_fuel_industry_doesn_t_want_you_to_know?language=en
Al Gore nennt dabei die Haupthindernisse, die einer Lösung des Klimaproblems im Wege stehen: die Obstruktion des Ölsektors und der Einfluss aller verschmutzenden Sektoren auf die Politik und die Gesetze.
Die Schweizer Politik ist gefordert
Der Klimawandel trifft die Schweiz als Alpenland besonders hart. Um den Treibhausgas-Ausstoss zu senken, hatten Bundesrat und Parlament das CO2-Gesetz revidiert. Es wurde aber am 13. Juni 2021 von der Schweizer Stimmbevölkerung abgelehnt. Das alte CO2-Gesetz ist also in Kraft geblieben, doch das Problem wird im Ständerat in der Frühjahrssession wieder diskutiert. Während vereinzelte Unternehmen kapiert haben und mit griffigen Massnahmen punkten, ist es an der Zeit, dass die Politik mit dem beschlossenen Netto-Null-Ziel vorwärtsmacht: Wichtig ist jetzt ein vernünftiger regulatorischer Rahmen.
Eine Möglichkeit besteht darin, die Dekarbonisierung des Verkehrs durch die Elektrifizierung der Fahrzeuge voranzutreiben. Also braucht es mehr Ladestationen. Und dazu ist sinnvollerweise eine staatliche Anschubfinanzierung notwendig. Wie wäre es, wenn Politikerinnen und Politiker in einer entsprechenden Beschlussfassung nicht nur eine weitere Ausgabensteigerung, sondern die volkswirtschaftliche Chance sehen könnten? Und wie wäre es, wenn in der Folge die ausufernden Diskussionen um neue, grosse Photovoltaik-Anlagen auf ein erfolgversprechenderes Niveau angehoben würden, sodass betroffene Regionen in den Bergen durch argumentative und finanzielle Angebote ihre bisherige unkooperative Haltung revidieren können?
Einen bemerkenswerten Vorschlag brachte im Januar 2024 Gerhard Pfister, der Mitte-Präsident, in die Diskussion im Parlament ein. Der Bund soll Lenkungsabgaben auf alle Treibhausgasemissionen auf Schweizer Staatsgebiet erheben und so Vielflieger oder etwa Besitzerinnen und Besitzer von benzinfressenden SUVs «bestrafen». Viele Parteien sehen darin einen Weg, der aus dem Verdikt des 2021 abgelehnten CO2-Gesetzes resultiert. Dagegen ist die SVP …
Der Klimagipfel im Dezember 2023 in Dubai
Natürlich haben die Gastgeber, die Vereinigten Arabischen Emirate, zum Abschluss der Konferenz alle in die Hände geklatscht. Doch seien wir ehrlich: Gebracht hat sie nichts Konkretes. In Hinsicht auf die Erdöl- und Erdgasstaaten war auch nichts anderes zu erwarten. Natürlich sehen die noch lange kein Ende des fossilen Bedarfs, ja sie planen, mehr als 600 Milliarden Dollar in neue Infrastrukturen zu investieren. Ausser Bekenntnissen – nichts gewesen.
Weltweit und natürlich auch in der Schweiz wird der Ausbau der Erneuerbaren beschworen. Derweil gehen die grossen Erdölkonzerne und die Regierungen von Ölstaaten alle unverblümt davon aus, dass auch in Zukunft mit fossilen Energieträgern viel zu verdienen sein wird – was kümmert sie die Freisetzung von CO2. Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer: Klimaschützer, verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger, auch Versicherungskonzerne und Solarpanel- und Windkraft-Firmen hoffen sehnlichst, dass die Erneuerbaren immer billiger werden –, um die fossilen Energieträger zu unterbieten. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Riesiger Nutzen durch bessere Luft
Kritiker von Investitionen gegen den Klimawandel, die damit argumentieren, dass unsere Investitionen in Erneuerbare für die Katze seien, da die enormen Kosten zur Kompensation von Klimaschäden so oder so auf uns zukämen, vergessen eines: Bessere Luftqualität als Folge einer nachhaltigeren Mobilität ist ein Gewinn, der allen zugutekommt und nicht in Erfolgsrechnungen der Regierungen ausgewiesen wird. Wer trotzdem weiter argumentiert, staatlich vorgeschriebene Verhaltensmassnahmen schränkten ihn in seiner persönlichen Freiheit ein – was in einem Land wie der Schweiz unakzeptabel sei –, der müsste spätestens jetzt realisieren, dass «gut austarierte Klimaschutzmassnahmen ein erhebliches Potenzial bergen, die individuelle Selbstentfaltung und Freiheit künftig sogar noch zu vergrössern» (NZZ am Sonntag).
CO2-Statistiken und Klimazertifikate in der Kritik
Je länger, je mehr kommen CO2-Statistiken unter Druck. Wie Andreas Diekmann, emeritierter Professor der ETH Zürich, nachgerechnet hat, stossen Schweizerinnen und Schweizer heute nicht 4,1 Tonnen CO2 aus (wie es die produktionsbasierte Statistik ausweist), sondern 13,7 Tonnen – denn es ist doch fragwürdig, «wenn der fossile Anteil der im Ausland produzierten Autos, iPhones und der vielen schönen anderen Dinge, die unseren Alltag bequemer machen, dem exportierenden Land angerechnet wird» (Tages-Anzeiger).
Auch der Handel mit Klimazertifikaten wird neuerdings vehement kritisiert. Skandale offenbaren eine gewisse Tendenz zur Schönrederei, um besser dazustehen. Klimazertifikate werden von vielen Firmen als Feigenblatt missbraucht, um an ihren bisherigen Praktiken festhalten zu können. «Klimaneutral» ist mit Vorsicht zu geniessen!
Die anhaltenden Diskussionen um Sinn und Zweckmässigkeit der Massnahmen gegen die Klimaerwärmung sind natürlich eine zermürbende Zeiterscheinung. Wer eine handfeste Aussage vorzieht: Die renommierte Fachzeitschrift «Nature Communications» hat prognostiziert, dass bei vier Grad Erwärmung praktisch alle Skigebiete Probleme mit der Schneedecke bekommen würden. Auch der künstlichen Beschneiung wären demzufolge klare Grenzen gesetzt.