Und das, obwohl vor fast genau einem Jahr die gegenwärtige „Einheitsregierung“ gebildet worden war, um dem ebenso sinn- wie ergebnislosen Kräftemessen zwischen dem rechten „Likud“ unter Ministerpräsident Netanjahu und dessen Hauptkonkurrenten, der Zentrumspartei „Blau-Weiss“ mit dem ehemaligen General Gantz an der Spitze, ein Ende zu bereiten.
Gantz ausmanövriert
Zumindest war dies die offizielle Begründung für das überraschende Zusammengehen der so konträren Parteien: Angesichts der Corona-Pandemie sowie anhaltender und sich neu abzeichnender Spannungen in der Region könne – und dürfe – Israel sich ein Andauern des aufreibenden und nervigen internen Machtgerangels nicht weiter leisten. Dreimal bereits binnen eines Jahres war es keinem der beiden gelungen, eine regierungsfähige Mehrheit zu erlangen. Was also lag da näher als die Idee einer Grossen Koalition, um sich gemeinsam der anstehenden Probleme anzunehmen? Obwohl Politik-Neuling Gantz doch eigentlich mit dem offiziell verkündeten Ziel angetreten war, Netanjahu aus dem Amt zu drängen, und obwohl der „Blau-Weiss“-Chef doch auch immer wieder eine Koalition mit dem „Likud“ ausgeschlossen hatte.
Das Zusammengehen mit Netanjahu kam Gantz teuer zu stehen: Ein Teil seiner Anhänger kehrte sich von dem vermeintlichen „Verräter“ ab und verliess die Partei, andere wiederum wurden allerdings mit Posten in der Regierung „belohnt“ und sie brauchten einige Zeit zu erkennen, dass sie trotzdem kaum etwas zu sagen hatten und dass ein anderer die Fäden zog: Netanjahu. Auch Gantz musste dies feststellen: Er wurde Verteidigungsminister und „alternierender Premier“, der nach anderthalb Jahren im Herbst 2021 das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen sollte, aber er musste bald feststellen, dass er von Netanjahu oft nicht oder nicht ausreichend informiert und an wichtigen Fragen und Entscheidungen beteiligt wird. Gleiches gilt auch für den ebenfalls von „Blau-Weiss“ kommenden Aussenminister.
Eine „Einheitsregierung“ sieht anders aus. Besonders angesichts der Spannungen in der Region, der – wirklichen oder von Trump und Netanjahu hochstilisierten – Probleme mit dem Iran wie auch vor dem Hintergrund der „Normalisierungsabkommen“ mit den Emiraten, Bahrain, Sudan und (ähnlich) Marokko. Es dauerte nicht lange, bis die wahren Gründe hierfür klar wurden: Netanjahu wollte und will die Dinge weiter unter Kontrolle behalten und er dachte und denkt anscheinend auch nicht im Traum daran, die mit „Blau-Weiss“ vereinbarte Rotation im Amt des Regierungschefs durchzuführen.
Netanjahus Korruptionsprozesse
Hauptgrund hierfür – neben seiner Machtgier – ist Netanjahus Versuch, seine jetzige Machtstellung dazu auszunützen, um den im März 2021 gegen ihn offiziell in Gang kommenden Prozess wegen verschiedener Korruptionsklagen wenn schon nicht zu verhindern, so doch zu entschärfen. Bei den Klagen geht es um diverse Fälle privater Vorteilnahme bis hin zu Versuchen, Medien zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Dazu kommt Netanjahus Rolle bei einem U-Boot-Kauf bei Thyssen-Krupp, bei dem offenbar auch Gelder in Schwarze Kassen geflossen waren.
Seit langem versucht Netanjahu, in Israel ein Gesetz durchzubringen, nach dem ein amtierender Ministerpräsident nicht vor Gericht gestellt werden kann. Bisher fehlte ihm die hierfür nötige Mehrheit in der Knesset. Nun musste er sich aber auch noch zusätzlich Sorgen machen, dass er im Fall der Rotation mit Gantz im Herbst kommenden Jahres ja nicht mehr im Amt sein und seine Position vor Gericht sich erheblich verschlechtern würde.
Der „rettende Einfall“
Da soll Netanjahu ein „rettender Einfall“ gekommen sein: Bei Bildung der „Einheitsregierung“ im April war vereinbart worden, dass die Regierung bis August den Staatshaushalt für 2010 verabschieden lassen werde. Ohne Einhaltung eines solchen Termins müssten Neuwahlen verkündet werden. Im August drängte die Justiz denn auch bereits, aber die Koalition beschloss, den Termin auf den 23. Dezember zu vertagen. Wobei die allgemeinen Probleme des Landes sicher eines der Hauptargumente waren. Zwischen Netanjahu und Gantz kam es immer häufiger zu Auseinandersetzungen; die Dinge kamen, wie sie kommen mussten: Der vorgeschriebene Termin verstrich und Neuwahlen werden nun fällig. Noch vor dem Wahltag soll die Regierung den Etat zur Abstimmung bringen, sie hat dabei aber ebensowenig zu fürchten wie Netanjahu selbst:
Durch die Ankündigung von Neuwahlen ist dies eine Übergangsregierung, die immun ist gegen rechtliche Schritte. Möglicherweise muss selbst der Prozess gegen Netanjahu deswegen etwas verschoben werden. „Bibi“ – wie Netanjahu im Volksmund heisst – hat durch seine Hinhalte-Taktik möglicherweise aber auch nur einen kleinen Aufschub gewonnen: Während der letzten Monate demonstrierten Tausende von Israelis gegen ihn und auch in den eigenen Reihen begann sich Unmut breitzumachen: So sind zwei neue Rechtsparteien entstanden, die das rechte Lager zwar in etwa gleich gross lassen, Netanjahus „Likud“ aber schwächen dürften.
Nach jüngsten Umfragen ist es fraglich, ob Netanjahu überhaupt wieder als Regierungschef in Frage kommen wird. Völlig anders bei Gantz: Diesem und „Blau-Weiss“ wird eine vernichtende Niederlage prognostiziert, in einigen Umfragen schaffen sie es nicht einmal überhaupt ins Parlament. Bis zum 23. März kann sich natürlich noch einiges ereignen. Positives dürfte aber kaum dabei sein.