Vor dem «Museo Girón» glühen zwei Panzer und ein Flugzeug in der karibischen Sonne. Vor ziemlich genau 50 Jahren sprang Fidel Castro vom Turm des einen, um persönlich die Attacke gegen die Invasion in der Schweinebucht anzuführen. Im Museum erinnern Dokumente, erbeutete Waffen und eine Galerie der Märtyrer, die damals bei der Verteidigung der noch jungen Revolution ihr Leben liessen, an die glorreichen Anfänge des kubanischen Wegs in den Sozialismus.
Nur wenige Besucher verlaufen sich in den beiden Hallen; entschieden mehr los ist fünfzig Meter weiter unten am Strand, wo das All-Inclusive-Hotel «Playa Girón» vornehmlich ausländischen Gästen Sonne, Salsa, Animation und Schnorchelvergnügen bietet. Kaum einer der Touristen ist sich bewusst, dass er genau dort badet, wo vor 50 Jahren Exilkubaner landeten und starben, als sie die Insel zurückerobern wollten.
Sie stiessen auf den erbitterten Widerstand der gesamten Bevölkerung, denn damals waren wohl mehr als neunzig Prozent aller Kubaner überzeugte Anhänger des Comandante en Jefe und dachten nicht im Traum daran, der Mafia, den Gringos und den Grossgrundbesitzern ihre zusammengeraubten Reichtümer wieder auszuhändigen.
Was heute zählt
Mit besonderer Aufmerksamkeit studieren die Kubaner heute die wenigen Abschnitte der auf 313 Punkte angeschwollenen Beschlüsse des Parteitags, die sie wirklich interessieren. Vor allem die Nummer 297, die die Möglichkeit des Kaufs und Verkaufs von Wohneigentum zwischen natürlichen Personen zu «flexibilisieren» ankündigt. Da über 80 Prozent der kubanischen Bevölkerung Besitzer ihrer Wohnung oder ihres Hauses sind, sorgt das für Diskussionsstoff. Denn bislang durfte ein Kubaner sein Wohneigentum zwar tauschen und dabei für eine grössere Wohnung auch einen bescheidenen Aufpreis zahlen, aber keinesfalls verkaufen.
Natürlich entwickelte sich dadurch ein gigantischer Schwarzmarkt, auf dem beispielsweise eine Dreizimmerwohnung in ruhiger Lage in Havanna offiziell gegen ein anderes Wohnobjekt getauscht wurde, während unter dem Tisch locker 15 000 Dollar und mehr den Besitzer wechselten. Nun erhebt sich aber die entscheidende Frage, ob in Zukunft ein Eigentümer sein Apartment auch offiziell und ungeniert für solche Beträge verkaufen darf.
Kuba ist kompliziert
Abgesehen von wenigen Kubanern, die bereits vor der Revolution im Jahre 1959 Besitzer einer Wohnung oder eines Hauses waren und es bis heute behalten durften, so sie nicht das Land verliessen oder in Schweinereien während der Batista-Dikatur verwickelt waren, bekamen die meisten Inselbewohner ihre Wohnung vom Staat. Mehr oder weniger für ein Trinkgeld, beispielsweise für 3000 kubanische Pesos (umgerechnet 125 Franken), die sie dann über Jahre in Kleinstbeträgen abstottern durften. Zinsfrei, versteht sich.
Darf nun ein solcher Besitzer dieses Geschenk profitabel für Tausende von Dollars oder Franken einfach versilbern? Kassiert der Staat dabei kräftig Abgaben? Ist der Preis Verhandlungssache? Ab wann geht’s los? Auf alle diese Fragen geben die beiden Informationsbroschüren, die seit vergangenen Sonntag im Angebot sind und die sich die Kubaner aus den Händen reissen, natürlich keine Antworten.
Ähnlich verhält es sich bei einem zweiten Thema von brennendem Interesse, nämlich dem angekündigten freien Kauf und Verkauf von Autos. Darf zum ersten Mal seit 52 Jahren ein Kubaner in die zahlreich vorhandenen Niederlassungen von ausländischen Fahrzeugherstellern gehen und sich dort ein Modell seiner Wahl aussuchen? Darf ein Kubaner seinen mit viel Liebe und ingeniöser Kunst fahrtüchtig gehaltenen Lada oder gar Oldtimer meistbietend auf den Markt werfen? Nichts Genaues weiss man nicht.
Kuba versteht keiner
Überhaupt keinen Diskussionsstoff bietet hingegen die Ankündigung, dass Kubaner auch als Touristen ins Ausland reisen dürfen. Im Gegensatz zu einem grundfalschen und wirklich bescheuerten Artikel im Zürcher «Tages-Anzeiger» ist das überhaupt nichts Neues. Schon immer durfte und darf jeder Kubaner frei ausreisen, wann immer er das nötige Kleingeld dafür hat. Er besorgt sich einen Reisepass und die «Carta blanca», eine Ausreiseerlaubnis, und auf geht’s.
Schwieriger wird es allerdings, ein Einreisevisum für das Ziel der Wahl zu erobern. Einige skandinavische Länder und die Schweiz waren die letzten Staaten, die bis vor einigen Jahren Kubanern die visafreie Einreise erlaubten. Lediglich bestimmte Berufsgruppen wie Lehrer oder Ärzte sowie Militärs haben es aus verständlichen Gründen schwer, eine solche Ausreiseerlaubnis zu bekommen. Aber eine der Hauptaufgaben der Schweizer Botschaft in Havanna besteht darin, Einladungen von Schweizer Bürgern an kubanische Bekannte zu bearbeiten und zu überprüfen, ob der eidgenössische Gastgeber über die finanziellen Mittel verfügt, um seinen Kubaner zu verköstigen, zu beherbergen und im Fall der Fälle auch für seine medizinische Versorgung aufzukommen.
Kleine Geschäfte brummen
Im Strassenbild von Havanna ist allerdings immer klarer zu erkennen, dass die Zulassung von insgesamt mehr als 170 Berufen auf «cuenta propia», also eigene Rechnung, ihre Früchte trägt. Imbissbuden, kleine Kaffees, Restaurants, Blumenhändler, private Taxifahrer, Coiffeure, Anbieter von Reparaturdienstleistungen aller Art, Parkwächter, Tanzlehrer, Stadtführer, Zimmervermieter, es wuselt, geschäftet und handelt, dass es den letzten Vertretern der zentral gelenkten Planwirtschaft ganz anders wird.
Das Startkapital kommt fast immer von der Verwandtschaft im Ausland oder von Besuchern der Insel, die sich dazu überreden lassen, in ein Kleingeschäft zu investieren. Denn der Treibstoff Kapital fehlt natürlich fast vollständig auf der letzten Insel des Sozialismus, und eine kubanische Staatsbank würde es bis heute schütteln, wenn ein hoffnungsfroher Geschäftsmann auf die Idee käme, um einen Startkredit zu bitten.
Aber clevere Händler entdecken immer häufiger ihre lange Jahre brach gelegenen Fähigkeiten, sich für kubanische Verhältnisse ein beachtliches Monatseinkommen von 1000, 2000 oder mehr Pesos zu verschaffen. Und wenn sie an die Welt der Zweitwährung für Touristen andocken, sprechen wir von solchen Beträgen in CUC, der in etwa einem Franken entspricht.
Die Revolutionäre beissen die Hunde
Trüb sieht es allerdings für alle Kubaner aus, die keine Zugangsmöglichkeit zum Tourismusgeschäft haben oder denen solche Tätigkeiten verboten sind. Zum Beispiel den Lehrern, Ärzten, Wissenschaftern und Angestellten im Gesundheitssystem. Mit ihrer Tätigkeit leisten sie einen entscheidenden Beitrag zu den immer noch existierenden Errungenschaften der Revolution, kostenfreie Bildung und Gesundheit, und werden dafür mit einem Monatsgehalt von maximal 800 Pesos (33 Franken) abgespeist. Das verdient ein Kellner oder ein Kofferträger in einem Hotel in Form von Trinkgeldern in ein, zwei Tagen. Schon lange gibt es daher den Witz: «Schon gehört? Unser Chefarzt ist grössenwahnsinnig geworden und musste in die Psychiatrie eingeliefert werden.» – «Nein, was ist denn passiert?» – «Er hat plötzlich angefangen, davon zu faseln, dass er morgen Portier in einem Touristenhotel würde.»