Massgebend war die ständige Wohnbevölkerung, wie sie vom Bundesamt für Statistik für Ende 2020, dem Jahr nach den letzten Nationalratswahlen, festgestellt wurde. Gibt es Änderungen in der Verteilung der Sitze auf die Kantone, so hat dies Folgen für die Parteien in den betroffenen Kantonen, denn die Kantone stellen die Wahlkreise dar.
Zürich so stark wie noch nie ein Kanton
Seit acht Jahren werden die Sitze nicht mehr alle zehn, sondern alle vier Jahre auf die Kantone verteilt. Wurden für die Nationalratswahlen 2015 drei Sitze verschoben (je +1 in ZH, AG, VS; je –1 in BE, SO, NE) und für die Nationalratswahlen 2019 zwei Sitze (je+1 in VD, GE; -1 in BE, LU), so war es diesmal nur ein Sitz, der den Kanton wechselte. Nach der jüngsten Neuverteilung hat Zürich für die Nationalratswahlen 2023 einen Sitz mehr und Basel-Stadt einen Sitz weniger.
Mit 36 Sitzen ist der Kanton Zürich im Nationalrat nun so stark vertreten wie bisher noch nie ein Kanton. Fast jeder fünfte Sitz ist in Zürcher Hand. Deutlich geringer ist die Vertretung der beiden anderen bevölkerungsreichen Kantone Bern (24) und Waadt (19).
Nach dem Verlust eines Sitzes hat Basel-Stadt gerade noch vier Sitze im Nationalrat, gleichviele wie Schwyz und Neuenburg. Weniger Sitze im Nationalrat haben nur noch Zug (3), Schaffhausen und Jura (je 2) sowie die sechs kleinen Kantone (UR, OW, NW, GL, AI, AR – alle mit nur einem Sitz).
Unterschiedliches Bevölkerungswachstum
Seit 1848 richtet sich die Verteilung der Nationalratssitze auf die Kantone nach der Grösse der ständigen Wohnbevölkerung – und nicht etwa der Schweizer Bürger oder der Stimmberechtigten. Diese Bestimmung wurde in den vergangenen hundert Jahren zwar mehrfach von konservativer Seite kritisiert und zur Diskussion gestellt, sie wurde aber vom Parlament und in Volksabstimmungen immer bestätigt.
Im Vergleich zur letzten Sitzverteilung vor vier Jahren ist die Wohnbevölkerung in der Schweiz um drei Prozent gewachsen. In allen Kantonen – ausser Neuenburg und Tessin – ist die Zahl der Bevölkerung grösser geworden, allerdings in unterschiedlichem Ausmass. Am niedrigsten (weniger als ein Prozent) war das Wachstum in Appenzell Ausserrhoden und Jura, am höchsten (über vier Prozent) in den Kantonen Zürich, Aargau, Freiburg und Thurgau.
Die baselstädtische Vertretung in fünfzig Jahren halbiert
In den letzten fünfzig Jahren haben sich die Gewichte der Kantone im Nationalrat insgesamt nur leicht verschoben, abgesehen vom Kanton Bern, der bis in die 1960er Jahre am stärksten vertreten war. Seither hat Bern neun Sitze im Nationalrat eingebüsst, was sowohl auf Gebietsverluste (Jura, Laufental) aber auch – und vor allem – auf das unterdurchschnittliche Bevölkerungswachstum zurückzuführen ist. Die relativ grössten Verluste im Vergleich zu den 1960er Jahren erlitt der Kanton Basel-Stadt: Seine Vertretung sank von acht auf vier Sitze.
Zugelegt haben in den letzten fünfzig Jahren die Kantone Aargau und Waadt (je +3) sowie Genf und Basel-Landschaft (je +2). Der neu gegründete Kanton Jura erhielt 1979 zwei Sitze zugeteilt.
Die Restmandate
Die Verteilung der Sitze auf die Kantone erfolgt nach dem Proporzsystem. Anders aber als bei der Verteilung der Mandate auf die Parteien (Hagenbach-Bischof-Verfahren) kommt hier das so genannte Verfahren «mit dem grössten Rest» zur Anwendung. Dieses betrachtet nur die Grösse des Quotienten hinter dem Komma und behandelt so bei der Verteilung der Restmandate Grosse, welche schon viele Vollmandate erhalten haben, gleich wie Kleine mit keinem oder nur wenigen Vollmandaten.
Einen verfassungsmässig garantierten Sitz haben erhalten, wie schon vor vier Jahren, die kleinen Kantone Uri, Obwalden, Glarus und Appenzell Innerrhoden. 182 Sitze wurden in der Hauptverteilung als Vollmandate verteilt, 14 Sitze waren Restmandate (ZH, BE, SZ, NW, ZG, BL, SH, SG, GR, AG, VD, VS, GE und JU)
Härterer Verteilungskampf in Basel
Mit dem zusätzlichen Sitz sinkt für die Nationalratswahlen 2023 im Kanton Zürich der Schwellenwert für ein sicheres Vollmandat von 2,8 auf 2,7 Prozent. In Basel-Stadt steigt er dagegen von 16,7 auf 20 Prozent. Welche Partei konkret von diesen Änderungen profitieren bzw. welcher Partei sie schaden werden, kann nicht seriös prognostiziert werden. Denn nicht nur ist die Parteienlandschaft in den Kantonen in Bewegung, auch die politische Grosswetterlage von 2023 ist noch unbekannt, genauso wie die Listenverbindungen zwischen den Parteien, die bei der Mandatsverteilung immer wieder eine entscheidende Rolle spielen. Sicher ist nur, dass in Zürich manche Partei ein Auge auf das «zusätzliche» Mandat werfen wird, während die Verteilungskämpfe in Basel-Stadt härter werden dürften.
Zur Geschichte und zur Methode der Verteilung der Nationalratssitze auf die Kantone siehe https://www.journal21.ch/ein-jahr-vor-den-nationalratswahlen