Zwei Woche vor den israelischen Parlamentswahlen hat der israelische Ministerpräsident Netanyahu diese Woche vor beiden Kammern des amerikanischen Kongresses in einer salbungsvollen Rede einmal mehr vor der unmittelbar drohenden Gefahr einer iranischen Atomwaffenkapazität gewarnt. Er behauptete, die USA seien zusammen mit den andern beteiligten Verhandlungspartnern (Russland, Grossbritannien, Frankreich, China und Deutschland) dabei, einen „Bad deal“ mit dem iranischen Regime abzuschliessen. Dieses sich abzeichnende Abkommen würde es den Machthabern in Teheran erlauben, in kurzer Zeit über einsatzfähige Atomwaffen zu verfügen. Israel wäre damit existenziell bedroht.
Durchsichtiges Theater
Eingeladen hatte den israelischen Regierungschef zu dieser theatralischen Show im Kongress der Vorsitzende des republikanisch beherrschten Repräsentantenhauses, John Boehner – und zwar ohne den Präsidenten im Weissen Haus zu konsultieren, wie das bei einem derartigen aussenpolitischen Akt üblich ist. Jedem halbwegs informierten Beobachter war klar, dass diese Einladung von Anfang an als bewusste Brüskierung von Präsident Obama inszeniert wurde.
Netanyahu wiederum war an diesem durchsichtigen Manöver umso mehr interessiert, als er erstens den für ihn missliebigen Obama (schon im letzten Präsidentschaftswahlkampf hatte er offen dessen Herausforderer Mitt Romney unterstützt) vor den Kopf stossen konnte. Zweitens versprachen er und seine Propagandisten sich von diesem Auftritt auf der Kongressbühne der amerikanischen Supermacht kräftigen Auftrieb im Hinblick auf die am 17. März fälligen Knesset-Wahlen in Israel.
Es heisst denn auch, eigentlich sei es der israelische Botschafter in Washington, Ron Dermer, ein persönlicher Spezi Netanyahus, gewesen, der Boehner die Idee mit dieser Kongress-Einladung ins Ohr geflüstert habe. Ein Schelm also, der bei Netanyahus rhetorisch dröhnendem und von republikanischer Seite begeistert bejubeltem Auftritt vom Dienstagabend an ein parteipolitisch motiviertes Theater denkt.
Jon Stewarts satirisches Gegenprogramm
Auch in Israel und in den USA hagelte es von vielen Seiten ausserhalb des Parteianhangs von Netanyahu und Boehner Kritik über diese stillose Art, ein so komplexes und ernsthaftes Problem wie die Atomverhandlungen mit Iran, die ja die USA nicht allein führen, zum Gegenstand einer so durchsichtigen Show auf parteitaktischem Niveau zu machen.
Die schärfste Antwort auf Netanyahus Auftritt in der Dienstagnacht hat unmittelbar darauf wohl der bekannte amerikanische Komiker Jon Stewart in seiner satirischen Nachrichtensendung „Daily Show“ auf dem Kabel-Kanal Comedy Central vom Stapel gelassen. Stewart ist selber jüdischer Abstammung und kann sich gerade gegenüber einem jüdischen Politiker Frechheiten erlauben, die andern Kollegen bald einmal den Vorwurf des Antisemitismus einbringen könnten. Als Korrektiv zur pathosschwangeren, aber kleinkariert kalkulierten Netanyahu-Rede vor dem US-Kongress empfindet man Stewarts respektlosen Kommentar wie erfrischende Gegenmedizin.
Es lohnt sich, diese böse Satire im Original anzuschauen. Sie wurde zunächst auch auf der Website der linksliberalen israelischen Zeitung „Haaretz“ aufgeschaltet, ist inzwischen aber aus nicht geklärten Gründen wieder gelöscht worden. Hier der Link zu Stewarts Antwort zum Netanyahu-Theater auf Youtube:
Erinnerungen an Netanyahus frühere Prognosen
Der Komiker liess es indessen in seinem Programm nicht allein bei giftiger Polemik bewenden. Er erinnerte mit dokumentarischen Einblendungen daran, dass Netanyahu schon vor 19 Jahren, also 1996, bei seinem ersten Auftritt vor dem Kongress vor der iranischen Atombombe gewarnt hatte, zusammen mit den gleichen alarmistischen Kassandra-Tönen, die Zeit für wirksame Gegenmassnahmen sei bereits am Ablaufen.
Eine andere Einblendung zeigte Netanyahu 2002 im O-Ton mit der von unfehlbarer Überzeugung durchtränkten Erklärung, er könne garantieren (!), dass eine Beseitigung von Sadam Hussein im Irak im ganzen Nahen Osten eine positive demokratische Entwicklung auslösen werde. Die blumige Prognose sollte offenkundig die damals von der Bush junior-Administration geplante Irak-Invasion politisch unterstützen.
Dieses 2003 mit falschen Behauptungen begründete und ohne politische Weitsicht begonnene Kriegsabenteuer hat sich später als eine sinnlos kostspielige und für die amerikanische Glaubwürdigkeit verheerende Fehlentscheidung entpuppt. Der heutige Zerfall des Irak und nicht zuletzt das Entstehen von neuen extremistischen Bewegungen wie die Terrorgruppen des IS gehören mit zu den Folgen jenes fehlgeleiteten Feldzuges.
Hemdsärmlige Einmischungen
Das alles soll nicht heissen, dass die Sorgen um das iranische Atomprogramm nicht berechtigt sind. Die sechs Grossmächte ringen mit Teheran aus guten Gründen um ein Abkommen zur Kontrolle der iranischen Nuklearaktivitäten. Auch die besonderen Sorgen Israels über die iranischen Rüstungsziele sind verständlich, weil iranische Politiker oft genug über die Auslöschung des jüdischen Staates schwadroniert haben.
Doch Netanyahus Warnungen wären glaubwürdiger, wenn er nicht gleichzeitig dem zwingenden Verdacht Vorschub leistete, dass es ihm mit seiner schrillen Alarmrhetorik weniger um die Sache selbst geht, als vielmehr um billige wahltaktische Vorteile vor den Knesset-Wahlen und hemdsärmlige Einmischungen in die Innenpolitik von Israels wichtigstem Verbündeten. Viele amerikanische Bürger werden diese Show im Kongress, die streckenweise den Eindruck erweckte, als sei Netanyahu der amerikanische Präsident, schlecht goutiert haben.