Jetzt hat die Begeisterungswelle auch Locarno erreicht. Von Sibirien ausgehend ist sie über die Kirche San Francesco hinweggeschwappt und hat für einen fulminanten Auftakt der «Settimani Musicali» gesorgt.
«Ein super Konzert», konstatiert anderntags Festivalleiter Francesco Piemontesi. Und er meint damit den Auftritt von Teodor Currentzis, der mit seinem phänomenalen russischen Chor und Orchester «musicAeterna» an diesem wunderbaren, vielleicht letzten lauen Sommerabend zum ersten Mal im Tessin zu erleben war.
Programm aus 900 Jahren
Schon der Rahmen hätte für Currentzis nicht passender sein können: eine Kirche, deren Gründung im 13. Jahrhundert auf Antonius von Padua zurückgehen soll. Genau das Richtige für das spirituelle Programm, das zunächst nur den Chor ohne Orchester in den Mittelpunkt stellt. Mit mittelalterlichen Gesängen von Hildegard von Bingen und mit Kerzen in der Hand ziehen Sängerinnen und Sänger durch den Mittelgang ein. Mitten unter ihnen Teodor Currentzis.
Dann, fast ohne Übergang von einem Stück zum anderen, folgen Werke von Alfred Schnittke, Henry Purcell, Igor Strawinsky und Arvo Pärt. In einem zeitlichen Rahmen von rund 900 Jahren fügen sich Mittelalter, Barock und Zeitgenössisches musikalisch perfekt aneinander und ineinander. Betörend und hypnotisierend zieht Currentzis das Publikum in seinen Bann. Dieser mystisch-mythisch-magischen Stimmung kann sich kaum jemand entziehen. Das anschliessende Mozart-Requiem ist fast schon ein Currentzis-Klassiker, mit dem er übrigens auch die Salzburger Festspiele erfolgreich eröffnet hat.
Emotionaler Nachhall auf allen Seiten
Es geht gegen Mitternacht, als die Musiker und Sänger grüppchenweise mit ihren Instrumenten die Kirche verlassen. Spontaner Applaus von vielen Besuchern, die inzwischen bereits beim Schlummertrunk vor einer Bar in der Altstadt sitzen, begleitet die Interpreten auf ihrem Weg zum Hotel.
Zu den Begeisterten zählt natürlich auch Festival-Leiter Francesco Piemontesi. «Als wir das Thema Russland für die ‘Settimane Musicali’ beschlossen hatten, habe ich mich sofort um Currentzis bemüht», sagt Piemontesi. «Vor allem haben mich auch Stücke aus dem religiösen Russland fasziniert. Vor etwa zwei Jahren haben wir das Projekt schon diskutiert.» Russisches wird auch auf dem Programm stehen, wenn Francesco Piemontesi in einem der nächsten Konzerte der «Settimane Musicali» auch selbst als Pianist auftritt, gemeinsam mit dem Sankt Petersburger Philharmonischen Orchester.
Triumph auch in Genf
Eine Woche vor dem Konzert in Locarno hat Teodor Currentzis mit Chor und Orchester «musicAeterna» bereits einen Zwischenhalt in Genf eingelegt. Kurz nach dem triumphalen Erfolg von Mozarts «La Clemenza di Tito» in Salzburg hat Currentzis eine reisetaugliche, konzertante Version im Théâtre des Nations präsentiert, dem Provisorium des Grand Théâtre, das zurzeit renoviert wird. Hier also «Clemenza» ganz ohne Bühnenbild, ohne Regie, mit anderen Solisten, aber mit dem gleichen musikalischen Konzept, mit dem gleichen Chor und Orchester und vor allem: mit Currentzis.
Die Geschichte des grossmütigen römischen Kaisers Titus, die in Salzburg wegen ihrer musikalischen Qualitäten so begeistert gefeiert wurde, hat auf leerer Bühne nichts eingebüsst. Ganz im Gegenteil, könnte man sagen. Die konzertante Fassung verstärkt den musikalischen Eindruck und begeistert genau wie in Salzburg. Und wie vor einem Jahr bei seinem ersten Auftritt in Genf hat Currentzis das Publikum wieder im Sturm erobert.
Settimane Musicali, noch bis 17. Oktober 2017