Kommentar von Ali Sadrzadeh zur Verleihung des Friedensnobelpreises an die iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi.
Das globale Dorf kann auch ein angenehmer Ort sein: Es ist dann jener Ort, wo Despoten endlich lernen müssen, dass es in ihrem Reich unmöglich ist, totale Dunkelheit zu verordnen. Den Dorfbewohner*innen lässt sich nicht alles verheimlichen. Auch hinter den dicken Mauern des Evin-Gefängnisses erfährt Narges Mohammadi, wie die Welt und wie ihr Land aussieht, in dem sie seit dreissig Jahren mutig, aufrichtig und unbeirrt kämpft.
Als Schülerin, Studentin, Ingenieurin und Journalistin bewies Mohammadi überzeugend: Die Zukunft kann, muss und wird weiblich sein. Ihr Engagement war stets zukunftsweisend und optimistisch. Als sie sich vor 20 Jahren dem «Zentrum für Verteidigung der Menschenrechte» anschloss, ahnte sie bereits, wie schwierig und im wahrstem Sinne des Wortes schmerzlich der Weg sein wird, den sie zu gehen entschlossen war. Shirin Ebadi, Gründerin des Zentrums und Mohammadis Mentorin – und ebenfalls Friedensnobelpreisträgerin – musste den Iran verlassen. Das aber war die Sache von Narges nicht. Oft wollten die Mächtigen sie auch gehen lassen, doch zwischen der Vergessenheit im Exil und der wirksamen Aufklärung im Land entschied sie sich für Bleiben und Beharrlichkeit. Ihr Mann dagegen durfte nach zwölf Jahren Gefängnis das Land verlassen, auch ihre Zwillinge sind inzwischen beim Vater in Paris.
Mohammadis Buch «Die weisse Folter» ist auf Deutsch erschienen
In Mohammadis Buch «Die weisse Folter», das gerade auch auf Deutsch erschienen ist, beschreibt sie minutiös, wie brutal, raffiniert und beängstigend «modern» die Methoden der Schergen unserer Zeit sein können. Doch Narges hat in all diesen Jahren gezeigt, dass sie das wahre Kind der Moderne ist. Nicht nur mit ihrem Buch, sondern mit all ihren Aktivitäten versuchte sie, die Iraner*innen und den Rest der Welt auf die himmelschreiende Diskriminierung der religiösen und ethnischen Minderheiten im Iran aufmerksam zu machen.
Ihre Ehrung mit dem Friedensnobelpreis ist eine Würdigung ihrer Aufrichtigkeit.
Die Entscheidung des Nobelkomitees ist zugleich eine Warnung an die Teheraner Despotie. Auch Ali Khamenei, der mächtigste Mann in Teheran, hat an diesem Freitagmittag mit Sicherheit gehört, wie die Sprecherin des Nobelkomitees ihre Verkündung mit den persischen Worten «زن، زندگی ازادی», «Frauen, Leben Freiheit», begann. Das Dorf ist kleiner, als die Mächtigen der islamischen Republik wahrhaben wollen.
Iran und Ukraine
Khamenei wird endlich begreifen müssen, dass jene Frauenrebellion, die seit dem Mord an Mahsa Amini vor einem Jahr sein Reich ergriffen hat, eine historische, ja epochemachende Phase der iranischen Geschichte ist. Mag sein Repressionsapparat dank diverser Soft- und Hardware aus China und Russland effektiv morden, foltern und verhaften können – Narges und andere mutige Frauen haben ihm bewiesen, dass die Zeit der Fundamentalisten im Iran vorüber ist.
Mehr noch: Die bekannte ukrainische Menschenrechtsaktivistin Oleksandra Matwijtschuk schrieb: «Wir leben in einer stark verbundenen Welt. Im Iran kämpfen Narges und andere Frauen für Freiheit. Unsere Zukunft hängt von ihrem Erfolg ab.» Die Welt, das Dorf ist viel kleiner, als wir denken. Hören alle, die es hören müssen, dass das Schicksal Irans und das der Ukraine einander bedingen?♦
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