Wer hat sich wohl an diesem Abend am meisten verausgabt? Riccardo Minasi, der Dirigent aus Rom, der mit vollem Körpereinsatz bei der Sache war? Das Publikum, das kaum aufhören konnte, zu applaudieren? Oder Juan Diego Flores, der Star des Abends?
Vermutlich lautet das Resultat: unentschieden! Auf jeden Fall haben sich sämtliche Beteiligte an diesem Abend schwer ins Zeug gelegt, um das Zürcher Opernhaus mit vereinten Kräften in einen brodelnden Hexenkessel zu verwandeln. Die Begeisterung ist auf allen Seiten riesig.
Juan Diego Florez ist gegenwärtig einer der erfolgreichsten Tenöre weltweit. Er kommt aus Peru und verfügt nicht nur über eine schöne Stimme, sondern auch über ein besonders gutes Aussehen. Das hat sich ganz offensichtlich auch bei etlichen jungen Damen herumgesprochen, von denen mehr zu sehen sind als an üblichen Opernabenden. Klar, dass das Opernhaus an diesem Abend ausverkauft ist. Und dies bei einem Programm (fast) ausschliesslich mit Mozart-Arien.
Von Belcanto zu Mozart
Während Florez bis jetzt vor allem beim Belcanto zuhause war, begibt er sich nun – mit Mozart – auf ein für ihn neues Territorium. Mit dem Orchester «La Scintilla» hat er ein Ensemble zur Seite, das seinen Mozart bestens kennt und einen Dirigenten, der ebenfalls in der historisch orientierten Aufführungspraxis sattelfest ist. Und in gewissem Sinne könnte man sagen, das gesamte Team hat das Programm schon im Frühling tüchtig eingeübt. Damals wurde in der Zürcher Kirche Oberstrass die CD eingespielt, die jetzt auf den Markt gekommen ist und das neue Repertoire von Juan Diego Florez einläutet.
«Es war eine Idee der Plattenfirma, uns zusammenzubringen», sagt Riccardo Minasi nach der letzten Probe vor dem Konzert. «Ich selbst habe Juan Diego vor einem Jahr kennengelernt und wir planten, gemeinsam etwas zu machen.» Daraus ist nun dieses Mozart-Programm entstanden. «Es war ein wunderbares Zusammentreffen zwischen uns allen», so Minasi. «Das Orchester ‘Scintilla’ ist ein Opernorchester mit der entsprechenden Erfahrung auf alten Instrumenten, und sie haben auch schon mit Florez zusammengearbeitet.» Also beste Voraussetzungen, zumal auch Riccardo Minasi als Dirigent des Orchestra «Il Pomo d’Oro», mit dieser Art zu musizieren vertraut ist.
«Höchst vergnüglich» sei es schon bei der CD-Aufnahme zugegangen, lacht Minasi. «Ich bin immer froh, wenn unterschiedliche Ansichten bei der Arbeit zusammenkommen. Dazu habe ich die Partitur genau studiert und so haben wir unseren Weg gemeinsam gefunden. Es ging um das Tempo, die Dynamik, die Artikulation, es ging auch darum, Mozarts ‘Handschrift’ in höchstem Masse zur Geltung kommen zu lassen. Da waren sehr unterschiedliche Vorstellungen vorhanden, die wir dann miteinander kombiniert haben.»
Die Magie der Zauberflöte
Dass Juan Diego Florez eines Tages bei Mozart landen würde, war eigentlich auch vorhersehbar. «Als ich mit 18 zum ersten Mal in der ‘Zauberflöte’ war, spürte ich … Magie! Ich kann es mir nicht recht erklären. Ich komme ja aus Peru, wo die klassische Musik keine Tradition hat. Ich bin also nicht mit dieser Musik aufgewachsen. Aber plötzlich war ich tief in dieser Klassik-Welt versunken. Da wusste ich: das ist mein Weg.» Nach seinen Erfolgen im Belcanto hat er nun also definitiv seinen Weg zu Mozart gefunden. «Ich habe das Gefühl, jetzt bin ich bereit dafür. Mozart ist filigran. Er ist zauberhaft. Und Mozart ist Licht.»
Mozart. Alle kennen ihn, jeder kann ein paar Töne trällern. Wie geht man an solche Stücke heran, damit es nicht einfach nur eine Version mehr vom immer Gleichen ist? «Ich gehe nie davon aus, etwas unbedingt anders zu machen», erklärt Minasi. «Natürlich gehören Mozart, Beethoven, Haydn etc. quasi zum Erbgut eines Musikers. Man kennt sie von klein auf. Aber ich suche immer einen frischen, unverbrauchten Zugang, so, als sei es das erste Mal. Nach der ‘Handschrift’ Mozarts zu suchen, ist eine endlose Arbeit, denn die Partituren sind unglaublich detailliert, speziell und raffiniert. Manchmal staune ich wirklich, wie es Mozart gelungen ist, Text und Melodie auf so sublime Art zusammenzubringen, denn sein Italienisch war nicht besonders gut. Das merkt man in seinen Briefen. Und dann sieht man in den da Ponte-Opern, wie Text und Musik trotzdem auf ganz ausserordentliche Weise zusammenpassen.»
So besteht das Programm von Juan Diego Florez im Konzert und auf der CD vor allem aus italienischsprachigen Mozart-Opern. Mit ein paar deutsch getexteten Stücken dazu. «Wenn ich auf der Bühne singe, betrete ich eine andere Dimension», so Florez. «Man spürt, da ist eine Verbindung da, ein Fluss, es strömt von dir zu den anderen, und umgekehrt.»
Wohl wahr … Im Opernhaus, so könnte man sagen, hat dieser Fluss spätestens dann zur Überschwemmung geführt, als Florez launig ein paar Worte ans Publikum richtete und schliesslich bei der Zugabe noch selbst zur Gitarre griff. «Cucurucucu paloma …», und alle Herzen fliegen ihm zu … ein Gassenhauer, vielleicht ein bisschen Kitsch, aber wenn er so grossartig daher kommt, wenn er so schmelzend direkt die Seele berührt, dann jubeln nicht nur die jungen Damen, sondern auch ältere Herren voller Begeisterung. Und alle anderen sowieso. Ist doch wunderbar!
«MOZART»
Juan Diego Florez
Orchester «La Scintilla»
Riccardo Minasi
SONY CLASSICAL