Viele hatten grosse Hoffnung in den ruhigen Professor gesetzt. Endlich einer, der über den politischen Schlammschlachten steht – einer, der eine neue Bewegung anführt. Seit zwanzig Jahren hatte Italien keine einflussreiche Mitte-Partei mehr. Jetzt wird die Mitte neu geboren – mit Mario Monti.
Doch es kam anders. Seine Bewegung lahmt. Viele hatten gehofft, es würden sich jetzt Nobelpreisträger hinter ihm scharen, Intellektuelle, Schriftsteller, Künstler, Industrielle. Viele glaubten, seine Kandidatur würde eine Dynamik auslösen und das Land aus der Lethargie reissen.
Nichts dergleichen. Für Monti sprechen sich einzig zwei unbedeutende Mitte-Formationen aus: Die UDC von Pier Ferdinando Casini, der seit Jahren an Ort tritt und immer wieder auch die Allianzen wechselt. Und Gianfranco Fini, der einstige Chef der post-faschistischen Alleanza Nazionale (AN), der sich mit der Bewegung „Futuro e Libertà per l’Italia“ (Fli) von Berlusconi abgesetzt hatte.
Das Kap Horn mit dem Pedalo umfahren
Schon spottet Matteo Renzi, der linke Bürgermeister von Florenz: „Ich wusste nicht, dass Monti ein Anhänger von Science-Fiction ist. Zu glauben, man könne die Politik mit Casini und Fini erneuern, ist wie das Kap Horn mit dem Pedalo umfahren.“
Auch Luca Cordero di Montezemolo, der Chef von Ferrari, unterstützt Monti mit seiner Bewegung „Italia Futura“. Doch der Einfluss von Montezemolo, der einmal als Ministerpräsident gehandelt wurde, wird masslos überschätzt.
Viele hatten angenommen, eine Kandidatur Montis würde Berlusconis Mitte-rechts-Bündnis spalten. Man prophezeite, dass manche Vertreter von Berlusconis PdL-Partei (Popolo de la Libertà) zu Monti überlaufen könnten. Doch kaum jemand lief über. Der PdL befindet sich zwar in Auflösung, doch vor den Wahlen am 24. und 25. Februar will man noch keinen Bruch riskieren. Die Parlamentarier der Berlusconi-Partei glauben offenbar, dass sie auf der Berlusconi-Liste noch immer mehr Chancen haben, wiedergewählt zu werden als auf der Monti-Liste.
Die Kirche lädt ihn aus
Letzte Woche hatte Monti gehofft, dass er wenigstens die Unterstützung der noch immer einflussreichen Kirche geniessen würde. Der „Osservatore Romano“, die Zeitung des Vatikans, hatte ihm seine Unterstützung zugesagt. Doch damit ist es schon wieder vorbei.
Das wichtige „Forum von Todi“, in dem sich einflussreiche katholische Bewegungen formieren, hatte Monti für diesen Donnerstag eingeladen. Doch zwei Tage vor dem Treffen kam plötzlich die Ausladung. Begründet wird der Schritt damit, dass die Kirche nicht Wahlkampf betreiben wolle. Doch in Wahrheit missfielen den Katholiken offenbar einige kirchenkritische Äusserungen Montis.
So fehlt es denn Monti an Unterstützung und Zugpferden. Er, der Professor, der nach dem Berlusconi-Desaster das internationale Vertrauen in Italien wiederhergestellt hatte, hat ein grosses Handicap: Er ist kein Politiker; er tut sich sichtlich schwer, Wahlkampf zu führen und auf die Attacken seiner Gegner zu reagieren. Und er tut sich schwer, sich zu verkaufen.
Will er nun kämpfen oder nicht?
Das begann schon am Tag vor Heiligabend. Monti hatte zu seiner Jahrespressekonferenz geladen. Alle warteten darauf, dass er jetzt Klartext reden würde: kandidiert er oder nicht? Nichts von Klartext. „Ja, vielleicht, vorausgesetzt, dass sich die andern mir unterordnen.“ Viele Journalisten in Rom schüttelten damals die Köpfe. Was soll das nun heissen, will er kämpfen oder nicht?
Eine Woche später erklärte er dann doch zögerlich seine Kandidatur. Und schon folgte ein weiterer Flop. Seine Liste heisst „Scelta civica, con Monti per l’Italia“. Scelta civica – (staats)bürgerliche Wahl? Was soll das heissen? Da fühlt sich kaum jemand angesprochen. Monti scheint schlechte Wahlkampfstrategen zu beschäftigen.
Schwerer Schlag aus Brüssel
Im Volk wird Monti immer unbeliebter. Italien hat ein Jahr mit erheblichen Preis- und Steuererhöhungen hinter sich. Alles wurde teurer: Gas, Elektrisch, Wasser, Benzin, die Abfallgebühren, Lebensmittel, Kleider, die Autobahngebühren. All das wird jetzt Monti angehängt. Vor allem die einst von Berlusconi abgeschaffte und jetzt von Monti wieder eingeführte Immobiliensteuer hat ihn viele Sympathien gekostet.
Ein schwerer Schlag für ihn ist, dass die EU am Dienstag diese Immobiliensteuer (die 85 Prozent der Italiener zahlen müssen, weil sie ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung besitzen) als „ungerecht“ abgelehnt hat. Diese Steuer, Imu genannt, erhöhe das Risiko für viele Italiener „in eine enorme Armutsfalle zu geraten“, sagt die EU. Ausgerechnet „seine“ EU hat dem Europäer Monti einen schweren Schlag versetzt.
Keine Strukturreformen
„Monti hat nur die Preise und die Steuern erhöht“, sagen seine Kritiker, „aber Strukturreformen hat er keine durchgesetzt“. Das stimmt, aber …
Um Strukturreformen durchzusetzen, hätte er die Zustimmung des Parlaments gebraucht. Doch die Linke wehrte sich gegen die dringend nötige Flexibilisierung des Arbeitsmarktes – also keine Flexibilisierung. Die Rechte wehrte sich gegen die längst überfällige Ausmistung und Verschlankung der grotesk aufgeblähten Verwaltung und des Politbetriebs mit seinen horrenden Diäten für die Parlamentarier – also keine Ausmistung.
Monti waren die Hände gebunden. Auch wenn er von vielen kritisiert wird, er hat das Land vor gut einem Jahr in einem katastrophalen, Griechenland-ähnlichen Zustand übernommen. Ihm ist es zu verdanken, dass es nicht zum Totalabsturz kam. "Ich musste die Steuern erhöhen wegen einiger Verantwortungslosen", sagte er am Dienstag. Damit meinte er Berlusconi.
Wie weiter?
Es ist nicht anzunehmen, dass Monti in den verbleibenden anderthalb Monaten bis zu den Wahlen noch viel Wind in seine Segel kriegt. Meinungsforscher sagen ihm heute 15 bis 20 Prozent voraus. Wird er trotzdem weiterhin eine politische Rolle spielen? Vielleicht.
Die stärkste Partei ist die sozialdemokratische Mitte-links-Formation „Partito Democratico“ (PD) mit Parteichef Pier Luigi Bersani. Der gilt zwar als Langweiler, gehört aber zur Zeit zu den konstruktivsten - und ernst zu nehmenden - Politikern Italiens. Der PD kommt laut Umfragen auf knapp 40 Prozent.
Bersanis Problem ist, dass er einem sehr heterogenen Parteivolk vorsteht. Dazu gehören auch einige wenige, aber laute, super-linke Störenfriede, die ihm das Leben schwer machen. Bersani hat sich Monti gegenüber immer wohlwollend und konstruktiv verhalten. Jetzt allerdings – im Wahlkampf – geht er auf Distanz und kritisiert dessen Steuer- und Preispolitik. Montis Gang in die Politik sei „keine gute Nachricht für Italien“, sagte Bersani. Betupft zeigt sich der PD-Chef, weil Monti die Linke als „konservativ“ und „unbeweglich“ bezeichnet hatte.
Berlusconi, ein Kamikaze
Auf der andern Seite tobt weiterhin Berlusconi. Wie ein Irrer stürmt er durchs Land und gibt täglich neue Absonderlichkeiten von sich. Anfang der Woche sagte er, er wolle doch nicht Ministerpräsident werden, sondern nur Wirtschaftsminister. Als Ministerpräsident schlug er seinen Partei-Sekretär Angelino Alfano vor. Einen Tag später wollte er dann doch wieder Regierungschef werden.
Inzwischen ist es ihm gelungen, eine Allianz mit der arg von Skandalen gebeutelten rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Lega Nord zu schmieden. Lega-Parteichef Roberto Maroni sagte, er sei dagegen, dass Berlusconi Ministerpräsident werde. Maroni schlägt den früheren Wirtschaftsminister Giulio Tremonti vor – ausgerechnet Tremonti, der wesentlichen Anteil am italienischen Desaster hat. Und gegen den auch andere Vorwürfe im Raum stehen.
Der Politikwissenschaftler Alessandro Amadori nennt Berlusconi einen „Kamikaze, der nichts zu verlieren hat, ein einsamer Krieger, der schon alles hinter sich verbrannt hat, der die Strategie des Tigers oder des Drachens anwendet“.
Populistische Konkurrenz
Trotz der Opera buffa, die die Rechte dem Land beschert, ist Berlusconis Populismus nicht zu unterschätzen. Es wäre wohl nicht erstaunlich, wenn er bei den Wahlen 20 bis 25 Prozent der Stimmen einfahren würde. Berlusconi hatte sich stets gegen die Wiedereinführung der Immobiliensteuer Imu gewehrt. Dass Brüssel jetzt diese Steuer als „ungerecht“ bezeichnet, ist ein riesiger Sieg für ihn, den er auszuschlachten weiss.
Doch Berlusconi hat einen wichtigen populistischen Konkurrenten, mit dem er die populistischen Stimmen teilen muss: Beppe Grillo, der Komiker und Chef der „Bewegung 5 Sterne“ (Movimento 5 stelle). Er spricht auch jene Italiener an, die genug von allen politischen Schlammschlachten haben, genug vom halbverrückten Berlusconi, genug von der sich streitenden Linken – und genug von der machtlosen Mitte. Grillo könnte laut Meinungsumfragen zwischen 15 und 20 Prozent der Stimmen erhalten. Doch er will nicht Politiker bleiben. „Nach den Wahlen gehe ich zurück ins Theater“.
Ministerpräsident Bersani? Wirtschaftsminister Monti?
Es ist nicht anzunehmen, dass die Linke mit Beppe Grillo eine Koalition eingeht. Und mit Berlusconi schon gar nicht. Und mit Monti?
Der Linke Bersani und der Rechte Monti attackieren sich jetzt zwar, doch sehr zivilisiert, sehr höflich. Deutet das darauf hin, dass sie nach den Wahlen zusammenspannen wollen? Bersani würde es schwer haben, seinen linken Störefrieden eine Koalition mit dem rechtsgerichteten Wirtschaftsprofessor schmackhaft zu machen. Doch einen Koalitionspartner braucht die Linke.
Es gäbe Schlimmeres als einen Regierungschef Bersani und einen Wirtschaftsminister Monti.