Die Parlamentswahl hat einen klaren Rechtsruck gebracht, aber keine ebenso klaren Verhältnisse. Als Sieger fühlt sich nämlich vor allem die rechtsextreme Partei Chega, ohne die sich keine absolute rechte Mehrheit im Parlament ergibt. Mit einer starken Dosis an Endzeitstimmung sieht die Linke im Land dem 50. Jahrestag des Sturzes einer faschistischen Diktatur durch die Nelkenrevolution vom 25. April 1974 entgegen.
Seit 1995 war die Beteiligung an einer Parlamentswahl in Portugal nicht so hoch gewesen wie an diesem Sonntag. Im Inland strömten über 66 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen, unter ihnen wohl viele Protestwähler, die den Urnen vorher ferngeblieben waren und denen die rechtsextrem-xenophobe Partei Chega ihren Erfolg mit zu verdanken hat. Sie hatte 2019 zunächst ein einziges Mandat im Parlament mit 230 Sitzen erworben. Im Januar 2022 kam sie bei der vorgezogenen Wahl auf 12 Mandate. Sie erhielt jetzt 1,1 Millionen Stimmen, was einem Anteil von rund 18 Prozent entspricht, und wird künftig 48 Abgeordnete stellen. Chega ist nach wie vor «nur» die drittstärkste Kraft im Land, aber ohne sie ist keine rechte Regierung mit absoluter Mehrheit denkbar. Und Chega drängt auf die Beteiligung an der Regierung.
Arithmetischer rechter Kopfschmerz
Die meisten Stimmen, mit einem Anteil von knapp unter 30 Prozent, erhielt die vom bürgerlichen Partido Social Democrata (PSD) geführte «Aliança Democrática» (AD), ein Wahlbündnis von drei alteingesessenen Parteien des Mitte-rechts-Lagers. Sie sicherte sich damit 79 der schon vergebenen 226 Mandate (die Auszählung der Stimmen in den zwei ausländischen Wahlkreisen, die je 2 Abgeordnete stellen, steht noch aus). Nur hauchdünn ist der Vorsprung der AD gegenüber dem Partido Socialista (PS), der seit 2022 mit absoluter Mehrheit regiert hatte und nur mit 77 Abgeordneten im Parlament vertreten sein wird.
Dem Spitzenkandidaten des PSD, dem 51-jährigen Luís Montenegro, droht politischer und arithmetischer Kopfschmerz. Er kann sich vorstellen, mit der Iniciativa Liberal (IL, 8 Sitze) zu regieren, aber nicht mit Chega. Vor der Wahl hatte er versichert, dass er mit dieser Partei keine gemeinsame Sache machen werde. Ein Wortbruch wäre eine «Boshaftigkeit», sagte er in der Wahlnacht. Er erwartete indes, dass ihn Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa nach der obligatorischen Anhörung aller im Parlament vertretenen Parteien den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen werde.
Keine sozialistische «Krücke»
Die Sozialisten werden in die Opposition gehen, sagte ihr Spitzenkandidat, der 46-jährige Pedro Nuno Santos. Er hatte schon vor der Wahl gesagt, dass seine Partei keinen Antrag auf Ablehnung des Programms einer vom PSD geführten Minderheitsregierung stellen werde. Sie werde aber keine «Krücke» sein, versicherte er in der Wahlnacht, womit er implizit auch Fantasien von einem «bloco central» – das wäre eine grosse Koalition von PSD und PS, eine solche hatte es bisher nur in den Jahren 1983 bis 1985 gegeben – eine Absage erteilte.
Vor der Wahl hatte sich die Frage gestellt, ob Pedro Nuno Santos versuchen könnte, sich irgendwie mit kleineren linken Parteien zu verständigen und eine neue PS-Regierung zu bilden. Aber das erscheint schon arithmetisch undenkbar. Natürlich steht die gesamte Linke unter Schock, obwohl sich die linken Parteien links der Sozialisten insgesamt nicht schlecht behauptet haben. Sie kamen zusammen auf rund 11 Prozent der Stimmen und stellen 13 Abgeordnete. 5 Mandate hält wie bisher der Linksblock, 4 Abgeordnete stellt neu die gemässigt linke Splitterpartei Livre, die bisher einen einzigen Sitz hatte.
Der «rote Alentejo» jetzt ohne Kommunisten
Ebenfalls 4 Sitze – gegenüber bisher 6 – haben die Kommunisten, die jedoch empfindliche Verluste verzeichnen. Sie hatten schon 2022 in den traditionell eher linken Distrikten Santarém und Évora keine Mandate mehr errungen. Sie haben jetzt auch im linken Distrikt Beja, der 3 Abgeordnete stellt, ihren einzigen Sitz an die Rechtspopulisten von Chega verloren. Im «roten» Alentejo, bekannt für die – längst zurückgedrehte – Agrarreform nach der Nelkenrevolution von 1974, haben die Kommunisten damit ihre letzte Hochburg verloren.
Chega gelang die Wahl von Abgeordneten in 19 der 20 inländischen Stimmbezirke (18 Distrikte auf dem Festland sowie die Inselregionen Azoren und Madeira). Nur im Distrikt Bragança, im hohen Nordosten, ging die Partei leer aus. Im Distrikt Faro (identisch mit der Region Algarve) belegte sie hingegen den ersten Platz.
Wie geht es weiter?
Im Bann der Rechtsextremisten sieht Portugal nun dem 50. Jahrestag der Nelkenrevolution vom 25. April 1974 entgegen. An jenem Tag stürzte aufständisches Militär ein 48-jähriges faschistisches Regime und brachte das damals als «Armenhaus von Europa» apostrophierte und bedauerte Land auf den Weg zur Demokratie. Noch bis 2018/19 hatte Portugal als eines der wenigen EU-Länder ohne Rechtspopulisten in den jeweiligen Parlamenten geglänzt. Nicht zuletzt dank der langen Diktatur sei das Land gegen den Rechtspopulismus geimpft, war oft zu hören – was sich nun als Illusion erwiesen hat.
PSD-Führer Montenegro könnte nun eine Minderheitsregierung bilden und vielleicht – solange die Sozialisten noch mit sich selbst und ihrer Niederlage beschäftigt sind – in den Genuss einer Schonfrist kommen. Spätestens bei der Abstimmung über das Staatsbudget für 2025 dürfte jedoch die Stunde der Wahrheit schlagen. Vielleicht gibt es dann irgendwann sogar wieder vorgezogene Parlamentswahlen, obwohl das Zeitfenster dafür relativ schmal ist. Laut Artikel 172 der Verfassung kann der Präsident das Parlament nämlich weder in den ersten sechs Monaten nach seiner Wahl noch in den letzten sechs Monaten seines eigenen Mandats auflösen. Letztes endet am 9. März 2026. Gerade sind Rebelo de Sousas letzte zwei Jahre im Amt angebrochen – und die dürften alles andere als geruhsam sein.