Es gibt nur allzu viele Staaten, denen man nicht trauen darf, weil sie von Machtklüngeln oder «starken Männern» gekapert sind, die ihre Bevölkerungen permanent belügen, gängeln und niederhalten. Glaubt man den lautesten Kritikern des am 28. November zur Abstimmung kommenden Covid-19-Gesetzes, so ist auch die Schweiz ein solcher Staat.
Vor allem das mit der Gesetzesänderung vom März 2021 eingeführte Covid-Zertifikat treibt manche Rechte – SVP, Verfassungsfreunde, Freiheitstrychler, Aktionsbündnis Urkantone – und nun auch einzelne Linke auf die Barrikaden. Das Zertifikat, so sagen sie, diskriminiere Ungeimpfte und Ungetestete, spalte die Gesellschaft, setze Grundrechte ausser Kraft, verstosse gegen die Verfassung und öffne Tür und Tor für digitale Überwachung. Überhaupt sei das ganze Gesetz Ausdruck eines ungebremsten Machtstrebens der Regierung, die seit Ausrufung der «ausserordentlichen Lage» in der ersten Corona-Welle so richtig auf den Geschmack gekommen sei.
Ausgeblendet wird dabei der Umstand, dass mit der hochansteckenden «indischen» Variante Delta von SARS‑CoV‑2 die Pandemie seit einem halben Jahr noch dynamischer und gefährlicher geworden ist. Auch wenn zurzeit R-Werte und Inzidenzen tiefer liegen als noch vor Monaten, ist die Krise längst nicht ausgestanden. Man sieht sie ja sogar neu aufflammen in Ländern, die sich vor kurzem noch über dem Berg wähnten. Und was immer zu bedenken ist: Im globalen Massstab steckt das Impfen erst in den Anfängen.
Trotz einer gewissen Entspannung kann von Normalität zurzeit keine Rede sein. Die Situation erfordert nach wie vor Kontrolle und Massnahmen, welche das Infektionsgeschehen eindämmen und die Wirtschaft stützen. Die dazu erforderlichen Instrumente hat das Parlament vor einem halben Jahr à jour gebracht und per Gesetz an die Verfassung gebunden, wie es sich gehört. Das Gerede über einen Machtrausch der Regierenden ist völlig deplatziert.
Massnahmen wie Maskenpflicht, Home Office und Zutritte nur für Personen mit Zertifikat dienen der Bewegungs- und Reisefreiheit, dem Offenhalten von Bildungs-, Gastro-, Kultur- und Sporteinrichtungen sowie vor allem der Vermeidung massiverer Eingriffe. Wer darin gravierende Grundrechtsverletzungen und die Spaltung in eine Zweiklassengesellschaft sehen will, hat die Massstäbe verloren.
Die Maskenpflicht sowie das Vorweisen von Zertifikat und Ausweis sind wohl umständlich und vielleicht lästig, aber keine übermässige Beschneidung von Grundrechten. Echte Einschränkungen erleiden diejenigen, die sich weder impfen noch testen lassen wollen – aber das ist eine persönliche Entscheidung. Die beklagte Zweiklassengesellschaft erlaubt in diesem Fall die freie Wahl der Klasse.
Die angeblichen Grundrechtseingriffe sind keine Schikanen des Staates, sondern Massnahmen zur Eindämmung einer tödlichen Seuche. Würde der Staat nicht handeln, so drohte die Pandemie erneut heftig auszubrechen. Nicht nur das längst über Gebühr geforderte Pflegepersonal wäre massiv getroffen, sondern auch die Wirtschaft zusätzlich geschädigt und das soziale und kulturelle Leben erneut lahmgelegt.
Dass die politische Rechte nun so vehement gegen angebliche Grundrechtsverletzungen Sturm läuft, muss denn doch erstaunen. Sie sei daran erinnert, dass unser Staat sich seit jeher erlaubt, seinen Bürgern Restriktionen zuzumuten. In dem für Männer obligatorischen Militärdienst geschieht dies auf weit gravierendere Art als jetzt durch die Corona-Massnahmen. Beim Militär wird das akzeptiert als Dienst zum Schutz des Landes und seiner Bevölkerung. Gerade die politische Rechte hat damit in der Regel keinerlei Schwierigkeiten.
Dort Schutz des Landes gegen militärische Angriffe und Auswirkungen von Kriegshandlungen, hier Schutz der Bevölkerung vor einer akuten globalen Pandemie: In beiden Fällen geht es um Bewältigung von Ausnahmesituationen. Sie stellen für das Land extreme Herausforderungen dar, denen mit starken Massnahmen zu begegnen ist. Das im März 2021 revidierte Covid-19-Gesetz gibt dem Staat exakt auf die Pandemiebekämpfung zugeschnittene und klar begrenzte Kompetenzen und Pflichten. Ein machthungriger Staat hätte sich nicht selbst so akribisch beschränkt, wie es mit diesem Gesetz geschieht. Da ist kein Grund zum Misstrauen!