Der italienische Staatsbürger S. aus der Provinz Neapel hat im Februar 2008 bei der schweizerischen Botschaft in Rom per Brief ein Asylgesuch eingereicht. Einen Monat später erhielt er vom BFM den Bescheid, im Zusammenhang mit seinem Asylverfahren dürfe er nicht in die Schweiz einreisen, sein Gesuch um vorübergehenden Schutz sei abgelehnt worden.
Gegen diesen Entscheid hat S. beim Bundesstrafgericht Beschwerde eingereicht, und das Verfahren nahm seinen (komplexen) Verlauf. Der zuständige Bundesrichter stellte nach der Klärung aller Umstände schliesslich fest, dass der Asylsuchende nie zur Anhörung aufgeboten worden war, worauf er am 5. September 2011 das BFM aufforderte, den Verzicht auf die Anhörung zu begründen. Einen Monat später teilte das BFM mit, es werden den Fall S. neu beurteilen. Damit war die Beschwerde gegenstandslos, der Richter konnte sie abschreiben. Der neue Entscheid des BFM steht noch aus.
Zuständig wären die italienischen Behörden
S. mag sich in einer ungemütlichen Lage befinden, denn in seiner Wohngemeinde in der Umgebung von Neapel sollen sich giftige Abfälle befinden, die angeblich seine Gesundheit sowie die seiner Frau und seiner zwei Kinder gefährden. Der Gesuchsteller ist kein Unbedarfter, er ist Ökonom und Finanzberater. Er wäre also durchaus in der Lage, sich bei den italienischen Behörden gegen die Giftdeponie zur Wehr zu setzen und, falls ihn alle Instanzen abwimmelten, an den Europäischen Gerichtshof zu gelangen.
Überdies könnte er in ein nicht verseuchtes Gebiet umziehen, oder er hätte sogar die Möglichkeit, für drei Monate in die Schweiz zu reisen und hier eine Stelle zu suchen. Es ist jedoch schwer zu verstehen, weshalb das Asylgesuch eines Bürgers aus einem Nachbarstaat, das keinerlei Chance hat, angenommen zu werden, ein schwerfälliges, zeitraubendes und kostspieliges Verfahren auslöst. Überdies handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Es gab schon andere Bürger aus EU-Staaten – einmal sogar einen US-Bürger –, die sich von ihren Behörden verfolgt oder im Stich gelassen fühlten und in der Schweiz ein Asylgesuch stellten.
Belehrung durch Juristen
Asylgesuche von Bürgern aus Ländern, die dem Europarat angehören, sollten formlos zurückgewiesen werden können. Der Grund: Nur demokratische Länder, die sich für die Respektierung der Menschenrechtskonvention verpflichtet haben, werden in den Europarat aufgenommen. Wer sich im Streit mit seinen Behörden befindet, hat verschiedene Möglichkeiten, sein Recht zu vertreten; er kann bis an den Europäischen Gerichtshof gelangen. Diese Ansicht wird jedoch von Fachleuten und Juristen widerlegt. „Die Schweiz ist aufgrund ihrer Gesetze verpflichtet, jedes Asylgesuch zu behandeln, das von einer Person eingereicht wird, die nicht Schweizer Bürger ist“, erläutert der Informationsdienst des Bundesamts für Migration auf Anfrage. Zum Asylgesuch von S. und allgemein zu Asylgesuchen von Bürgern aus EU-Staaten wollte der Informationsdienst nicht Stellung nehmen.
„Jedes Asylgesuch muss ernst genommen werden, Schutz vor politischer Verfolgung können auch Menschen in demokratischen Staaten geltend machen“, erklärt Professor Daniel Thürer vom Institut für Völkerrecht der Universität Zürich. Er macht jedoch die Einschränkung, dass im Zusammenhang mit Beschwerden gegen die Ablehnung von Asylgesuchen von Bürgern aus Ländern wie Italien lediglich ein minimales Verfahren anzuwenden sei. Alt Bundesgerichtspräsident Giusep Nay ist zudem der Auffassung, Asylgesuche wie jenes von S. sollten sehr rasch behandelt und zum Abschluss gebracht werden; es bestehe nämlich kaum die Aussicht, dass solchen Gesuchen entsprochen würde.
Nicht zu viel Aufwand für aussichtslose Fälle
Es ist bekannt, dass Asylverfahren viel zu lange dauern und das Bundesamt für Migration überlastet ist. Auch deshalb wäre es wichtig, offensichtlich unberechtigte, ja missbräuchliche Gesuche rasch zu erledigen. Müsste das Beschwerdeverfahren in solchen Fällen nicht eingeschränkt werden? Gesuche, die aufgrund des Asylgesetzes aussichtslos sind, werden von Menschen aus aller Welt eingereicht. Es sollte sich doch ein Weg finden lassen, solche Fälle rasch und definitiv zu erledigen, damit sich das BFM verstärkt mit jenen Menschen befassen kann, die Opfer von Verfolgung sind, und für diejenigen, für die eine Rückführung in ihr Land eine grosse Gefahr bedeutete.
Wer sich mit dem Asylwesen befasst, gewinnt manchmal den Eindruck, in aussichtslosen Fällen würden die Behörden mit zu viel Nachsicht vorgehen. Gegenüber Menschen hingegen, die starke Indizien und auch Beweise für eine Verfolgung unterbreiten können, wird hingegen oft ein äusserst strenger Massstab für die Anerkennung als Flüchtling angesetzt. Das Asylgesetz hat den Zweck, Verfolgten zu helfen und ihnen eine Chance zu geben, ihr Leben in Freiheit zu gestalten. Es darf jedoch nicht dazu dienen, Menschen aus aller Welt, die eine Arbeit suchen, das Tor zur Schweiz zu öffnen.