Man kann wahllos Tagesnachrichten herausgreifen, um die großen Driften zu sehen. Es geht nicht mehr bloß um die Krise einer Branche: Die erfahrenen Macher beginnen zu ahnen, dass sich die grundlegenden Rollen wie «Autor» und «Verleger» verändern und dass sich neue Publikationsmodelle entwickeln.
Am Wochenende unterhielt sich in der «WELT» Elmar Krekeler mit der Verlegerin Elisabeth Ruge. Die 52jährige kundige Lektorin hatte 1994 den Berlin Verlag mitbegründet, dessen Kurs sie – nach dem Verkauf des Verlags an Bloomsbury (das englische «Harry-Potter»-Imperium) – in den letzten sechs Jahren bestimmt hatte. Als sie das Handtuch warf, weil die Engländer den Berlin Verlag zu einer Karte in ihrem globaleren Spiel herunterstuften, bot ihr Michael Krüger vom Hanser Verlag ein eigenes Gehäuse. Hanser Berlin, eine Neugründung 2012.
Ruge ist für den deutschsprachigen Markt Gold wert, wenn es nach der bisher gültigen Professionalität geht (Sachverstand, Qualitätsurteil, Schnelligkeit und Marktkenntnis). Sie bewies es sofort, als sie sich für Hanser Berlin an einen Überraschungserfolg des Kinos anhängte. Die Übersetzungsrechte des Buchs, von dem die fulminante Geschichte um «Zwei ziemlich beste Freunde» ausging, brachte einen Bestseller von mehr als 200 000. Bei einem Preis von 14.90 € bleiben da einem Verlag immer noch mehr als eine halbe Million Spielkapital für die immer möglichen Flops des nächsten Jahres.
Elisabeth Ruge also betonte ihrem Interviewer gegenüber die Bedeutung eines sorgsam aufgebauten Verlagsprogramms: Es werde gerade im Zeitalter der Digitalisierung immer wichtiger, weil Bücher immer seltener in einem Kontext gesehen werden, immer stärker vereinzeln und Verlage damit als Institutionen überflüssig werden.
Ich weiß nicht, ob der Kulturjournalist Krekeler (Alfred-Kerr-Preisträger) das so wiedergegeben hat, wie die Verlegerin es meinte. Aber zu ahnen ist, wie kühl Ruge weiterdenkt. Die Zeit der Verlage als Institutionen könnte zu Ende gehen – das dürfte nicht so sehr ein blinzelblinzelnder Hinweis für ihren Chef in München sein, der die Frage seiner eigenen Nachfolge verschiebt. Es ist das Resümee ihrer Laufbahn, sie hat erlebt, wie der Zwang, jedes Jahr auch Bestseller zu machen, für die (höchstrabattierte) Stapelware der Großbuchhandlungen, den Berlin Verlag erst ins Trudeln brachte und dann in wechselnde ungute Abhängigkeiten von Buchkonzernen. (Wie rasch andererseits Verlagsneugründungen bei hingebungsvoller Arbeit ihr Kapital verfeuern und ihre Unabhängigkeit aufgeben müssen, war im letzten halben Jahr zu sehen: Den Zürchern Walde + Graf gelang nach nur drei Jahren der Verkauf ihrer Marke gerade noch an Aufbau – wo auch die Reste des einstigen Hoffnungsträgers Blumenbar unterkamen –, der von Rainer Groothuis erst 2010 machtvoll gestartete Corso Verlag ist seit Mai insolvent und hofft bislang vergeblich auf ein Weiterleben anderswo.)
Die Notwendigkeit einer qualitativen Auslese und einer erkennbaren Marke im Büchermachen sieht Elisabeth Ruge weiterhin, je punktueller die Wahrnehmung eines Buchtitels in den zufälligen Listen eines Online-Händlers wird. Qualitativer Content: Dies wird wichtig bleiben, wenn das Buch nach 500 Jahren eines höchst lebendigen Amphibienstadium im Medium des Papiers nun machtvoll zum digitalen Flug ansetzt. http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article108288780/Elisabeth-Ruge.html
Eine Ministerin hätte es gern wie bisher
Fast gleichzeitig in diesem Monat Juli versuchte die neue Kulturministerin in Frankreich, Aurélie Filippetti, die vornehmste Verlegerrunde in Paris bei Stimmung zu halten. Sie brachte ihnen nicht nur eine Ermäßigung der Mehrwertsteuer auf 5,5% mit – was den Berichterstatter Pierre Assouline, eine Größe im gewachsenen Literaturbetrieb, natürlich erfreute. Sie schoss auch eine Breitseite gegen Amazon und Google, ohne deren Namen zu nennen. Denn diese Big Player eröffnen Autoren einen neuen Weg, ihre digitalen Texte ohne den Umweg über Verlage zu veröffentlichen. Die Formel, zu der sich die Ministerin dabei verstieg («C'est l'éditeur qui fait la littérature») war auch Aussouline zu eindimensional, der vielseitige Herausgeber und Autor von Romanen und Biographien wollte dann doch den Primat der schöpferisch Schreibenden bekräftigen.
http://passouline.blog.lemonde.fr/2012/07/04/vraiment-cest-lediteur-qui-fait-la-litterature
Eine Autorin hat keine Angst vorm neuen Schreiben
Derweil lotet in Kanada eine nobelpreisverdächtige Autorin ungeniert die Möglichkeiten digitalen Schreibens aus. Margaret Atwood, die vor zwei Jahren ihren Eintritt in die Twittersphere im Blog der NYT kundtat, schreibt inzwischen auch auf Wattpad. Im Guardian rühmt sie nun dieses seit 2006, also vor den E-Books entstandene Experimentierfeld, das es heutigen Jungautoren sehr viel leichter macht, einen Text sichtbar zu machen, unter Pseudonym, vom Smartphone oder Tablet oder Computer aus. Atwood verliert sich nicht in falscher Nostalgie: I think of the outlets young writers of my generation had at our disposal. We put together little booklets with our writing in them – our handwriting – for a readership of two: our parents. We went on to place an ill-advised poem or story in the school yearbook, to the secret derision of our classmates. We had to use our real names, which meant that many of us hid our most heartfelt writing in our sock drawers. Some of us later created literary magazines cranked out on mimeo machines and sold in early 60s coffee houses during Poetry Night, after our angst-fuelled readings of our own left-handed works. We were not at the height of our powers.
http://www.guardian.co.uk/books/2012/jul/06/margaret-atwood-wattpad-online-writing?newsfeed=true
Die 72jährige Margaret Atwood experimentiert lustvoll, und sie erinnert sich wohl gut genug daran, dass sie ihren Ruhm auch der Arbeit vieler Verlage weltweit verdankt. So versucht sie eine vermittelnde Perspektive: Es werde neue Felder der Erprobung von Talenten geben, aber die herkömmlichen Verlage brauche es weiterhin. (Das passt zur Botschaft von Stephen Fry, die derzeit auf Facebook weitergereicht wird: Books are no more threatened by Kindle than stairs by elevators.)
Hoffen wir, dass das so stimmt. In dieser Juliwoche, da im Goldmann Verlag die ersten 500 000 deutschsprachigen Exemplare einer S/M-Schmonzette ausgeliefert werden, die ein zum Bertelsmann/Random House-Konzern gehörender US-Verlag entdeckt hat. Aber was heißt da entdeckt und worin bestand da noch verlegerische Arbeit? Fifty Shades of Grey hatte bereits ungezählte Leser, weil die Autorin den Text erst verschenkte, dann nach der Befeuerung durch Weitergabe in Social Media und in der Blogosphäre als preiswertes (und diskret zu kaufendes…) E-Book anbot. Die Druckfassungen generieren nun zwar für Buchhandlungen und Verlage ein Geld, das im Sommerloch dringend benötigt wird. Aber sie sind eine nachgeordnete Darreichungsform. Das Buch hat schon begonnen, die Richtung zu wechseln.
Wie der Herr Grey ausgerechnet in einem hardware-store auftaucht und bei der jungen Anastasia zu seinen 50 Schattierungen kommt? Ist nachzulesen im erfolgreichsten Schreibprojekt unserer Zeit, Wikipedia, dessen Autoren auf ihre Urheberrechte verzichten und das ohne Papier auskommt: http://en.wikipedia.org/wiki/Fifty_Shades_of_Grey