Die Matrix-Trilogie hat vor zwei Jahrzehnten den Action-Film in neue Dimensionen gehoben. Mit «Matrix Resurrections» kommt ein von grossen Erwartungen begleiteter vierter Teil in die Kinos. Dieser bietet eine Menge an Zitaten und ironischen Verweisen, gelangt aber über eine Retro-Perspektive nicht hinaus.
Bei «Matrix» haben Larry und Andy Wachowski raffiniert Action mit philosophischen Fragestellungen verbunden und damit 1999 einen Kino-Hit gelandet. 2003 liessen sie die Teile zwei und drei der Trilogie folgen. Dort war die Erzählanlage noch einmal differenzierter angelegt, was beim Publikum aber nicht so gut ankam. In der Zwischenzeit haben sich beide Wachowski-Brüder als Transgender-Personen geoutet. Das hat für «Matrix Resurrections» einige Erwartungen bezüglich der Thematik geweckt. Doch die dürfte der Sologang von Lana Wachowski durchwegs enttäuschen.
Zurück in die Matrix
Ein Déjà-vu. Wir sind wieder in der Matrix, wo die bekannte schwarze Katze in bekannter Weise durch die Szene ruckelt. Dort begegnen wir auch Thomas Anderson (Keanu Reaves), der jetzt als Game-Designer für die Firma «Deus Machina» arbeitet. Er gilt als Star seiner Zunft, denn er war der führende Kopf des Teams, das einen Superhit in der Spielewelt entwickelt hat: die Matrix-Trilogie.
Doch Tom geht es gar nicht gut, er wirkt ausgebrannt mit seinem melancholischen Blick und dem Zottelbart. irgendwie hat er sich in seiner kreativen Innenwelt verfangen und ist nicht mehr in der Lage, Vorstellung und Realität sauber zu trennen. Fliegen mag in Games – oder Filmen – möglich sein, selten aber in der Wirklichkeit. Seit er versucht hat, von einem Dach zu springen, ist er in Behandlung. Sein Analytiker (Neil Patrick Harris) versucht ihn zu erden und verschreibt ihm zu diesem Zweck blaue Pillen.
Aktuell verschlechtert sich aber seine Paranoia. Und das hat damit zu tun, dass der Mutterkonzern Warner eine Fortsetzung der erfolgreichen Spielserie verlangt. Dieser Umstand zwingt ihn in einen Loop hinein, der die alten Zweifel hochkochen lässt. «Matrix Resurrections» beginnt in der Tat fulminant, startet mit einem Feuerwerk von Verweisen und ironischen Überbietungen, das jeden Matrix-Fan begeistern wird.
Nochmals das weisse Kaninchen
Dabei folgt die Geschichte zunächst vor allem der Storyline des ersten Teils, und so öffnet sich erneut der Kaninchenbau. Es beginnt damit, dass Tom im «Simulatte», seinem Stammcafé, immer wieder Tiffany (Carrie-Anne Moss) antrifft, eine Frau mittleren Alters, die ihn an Trinity erinnert. Als er sie anspricht, erwidert sie sein Interesse und lässt durchblicken, dass sie seine Spiele kennt. Aber sie ist verheiratet und Mutter mehrerer Kinder. Danach folgt eine rätselhafte Mail, diesmal natürlich auf dem Handy, und schliesslich tritt eine junge Frau (Jessica Henwick) an Tom heran, die sich Bugs – wie Bunny – nennt und sich als Fan seiner Spiele outet.
Bald wird sie Tom aber auch zu verstehen geben, dass sie nicht an NEOs Tod glaubt und dass sie hier ist, um den Einen, Auserwählten einmal mehr aus dem Dornröschenschlaf aufzurütteln. Bugs ist in Wirklichkeit eine Rebellin der übernächsten Generation, welche sich in die Matrix eingeloggt hat, um den Erwählten zu tracken. In der Folge wird Thomas Anderson also ein weiteres Mal erweckt, nimmt die rote Pille und lässt die Prozedur über sich ergehen, die ihn aus dem Biotank befreit. Über der langen Lagerung dort ist NEO allerdings eingerostet und eine neue Version von Morpheus (Yahya Abdul-Mateen II) muss ihn im Dojo erst mal in Form bringen. Kung Fu geht dann wieder, aber fliegen wird er immer noch nicht können.
Zeitsprung
Draussen in der realen Welt hat sich aber einiges verändert, denn seit dem Finale der Trilogie sind sechzig Jahre vergangen. Die Menschen haben Zion aufgegeben und eine neue Stadt – Io – gebaut, die besser gesichert und auch besser versorgt ist. Der Friede, den der Erwählte dannzumal in die Welt gebracht hat, ist zwar brüchig, wirkt aber nach; auf jeden Fall bleiben die Gegensätze gemildert. So ist es jetzt möglich, Programmcode aus der Matrix in reale DNA zu überführen. NEO kriegt richtige Erdbeeren serviert, nicht mehr den schleimigen Schlangenfrass, an den sich die Rebellen in «Matrix» gewöhnen mussten. Zudem gibt es jetzt auch Maschinen, welche die Menschen unterstützen und die vom Design her an Käferchen erinnern oder an Horus, den ägyptischen Falkengott.
Im Übrigen ist auch die Matrix nach dem Neustart ansprechender gestaltet. Thomas Anderson lebt nicht mehr in einer grauen, gesichtslosen Mega-City, sondern im bunten San Francisco. Sein aktueller Chef (Jonathan Groff) wirkt, als hätte er Managementseminare besucht. Statt gleich mit Entlassung zu drohen, versucht er Tom kommunikativ kompetent und mit viel Marktgeschwurbel für «Matrix 4» ins Boot zu holen. Im weiteren Handlungsverlauf wird er sich allerdings als alter Bekannter erweisen, nur fehlen die Sonnenbrille, die Kopfhörer und das stramm autoritäre Auftreten.
Die Mission
Was aber hat NEO nun draussen zu tun, in der gar nicht mehr so wüsten Wirklichkeit? Krieg herrscht nicht mehr, Io ist in keiner Weise bedroht. Da muss es also um etwas Persönliches gehen: Bei seiner Abnabelung aus dem Biobottich hat NEO in einem benachbarten Tank Trinity erblickt. Sie ist es, was ihm gefehlt hat, und sie gilt es jetzt zu befreien. Das ist schon alles, was der Film zur Geschlechter-Thematik zu sagen hat. Dabei ist der Ausgang der Mission derart absehbar, dass sich jedes Spoilern erübrigt.
Immerhin erfährt das Publikum zwischen viel Getöse und Prügelei, warum NEO und Trinity überhaupt wieder am Leben sind. Der Analytiker erklärt es; er ist der Nachfolger des Architekten, also der Schöpfer der gegenwärtigen Matrix. Bei seiner Arbeit war er mit einer sinkenden Energieproduktion konfrontiert, weil nach dem grossen Krieg viele Menschen aus ihren Tanks ausstiegen. Er hat dann entdeckt, dass sich die Stromproduktion ankurbeln lässt, wenn man die Körper von NEO und Trinity in der richtigen Weise einspeist. Deshalb hat er die beiden nach ihrem Tod restaurieren lassen und widersetzt sich jetzt auch ihrem gemeinsamen Abgang.
Keine Geschichten mehr?
In der Matrix-Trilogie spielten die Wachowskis äusserst raffiniert mit Stereotypen. Dabei haben sie gängige narrative Muster unterlaufen, ja dekonstruiert, und ihre anspruchsvolle Erzählanlage konnte sogar Perspektiven übers Kino hinaus öffnen. Damit allerdings haben sie ihr Publikum – vor allen im zweiten und dritten Teil – teilweise überfordert. Bei «Matrix Resurrections» ist das gewiss nicht zu befürchten. Das Sequel ist glücklich in die Matrix der Hollywood-Dramaturgie zurückgekehrt, daran ändert auch die selbstironische Ziselierung nichts.
Jetzt geht es schlicht darum, dass NEO und Trinity zusammenkommen; in Liebe vereint, sind sie um Welten stärker, als sie es getrennt wären. Dabei ist der Mann dieser Liebe offenbar bedürftiger als die Frau. Als die beiden nämlich in höchster Bedrängnis von einem Dach springen, ist es Trinity, die den flügellahmen NEO vor dem Absturz bewahrt. Den rettenden Märchenkuss gab es in der Trilogie verschiedentlich schon zu sehen, aber so banal wie hier war die Kraft der Liebe noch nie inszeniert.
Die schreiende Einfallslosigkeit wird sogar selbst zum Thema, und zwar durchaus witzig in einer Szene, die auf den Abspann folgt. Dort sitzen die Kreativen aus Toms Team zusammen und philosophieren über ihre Arbeit: Es gebe keine Geschichten mehr, weder im Kino noch in der Welt der Games; am besten orientiere man sich an dem, was so in den Social Media kursiert.
Mag ja stimmen, wenn man in der Glasglocke der kommerzialisierten Postmoderne verbleibt, doch ausserhalb der Blockbuster wächst einiges nach. Vielleicht sollte man einfach in andere Kinos gehen. Das Ende der grossen Erzählungen und das Ende der Geschichte, das war einmal in den Neunzigern. Zumindest das Letztere hat sich offensichtlich erledigt. Nun, «Matrix Resurrections» ist einem Katzenvideo auf Youtube sicher vorzuziehen, aber eine weitere Ausschlachtung der Franchise durch Warner braucht es nicht – nicht auf diesem Niveau.
Offizieller Trailer