Höchst spannend, beinahe atemberaubend wird es im letzten Raum der Ausstellung, die Sammlungskonservator Philipp Büttner im Kunsthaus Zürich unter dem Titel „Magritte, Dietrich, Rousseau – Visionäre Sachlichkeit“ eingerichtet hat. Im dunkel holzgetäferten kleinen runden Raum hängt „Les Grâces naturelles“ (1964) von René Magritte zwischen einem Sonnenuntergang (1917) von Félix Vallotton und einem Werk gleicher Thematik (1926) von Adolf Dietrich. Magritte zeigt in seinem Spätwerk eine Art Monument aus grünen Blättern, die versteinern und in starre Vögel übergehen, das alles vor rosa und blau gewölktem Himmel. Vallottons Sonne steht, magisch leuchtend, in orange-rotem Himmel knapp über dem Wasser und über dem dunklen Strand. Dietrich lässt die grellroten Abendwolken sich im dunklen Wasser spiegeln. Philipp Büttner ist mit diesem „Triptychon“ eine Inszenierung von fast sakralem Charakter gelungen.
Das reine Vergnügen
Überhaupt gibt es in der kleinen, aus hauseigenen Sammlungsbeständen zusammengestellten Schau spannende Gegenüberstellungen, die zu genauem Hinsehen geradezu verführen. Vallottons berühmtes „Bain au soir d’été“ spiegelt sich in der „Landschaft mit Io und Inachus“ von Moyses van Uyttenbroeck, eines Niederländers des 17. Jahrhunderts, der nackte Mädchen sich im reissenden Wasserfall vergnügen lässt, während Kühe ruhig wiederkäuend zuschauen. Im gleichen Raum wiederum Vallotton und ein Niederländer des „Goldenen Zeitalters“ – Vallottons „La malade“ und Quiringh van Brekelenkams „Interieur mit drei Frauen und einem Mädchen“, das zeigt, wo der einer magisch wirkenden Gegenständlichkeit verpflichtete Westschweizer hingeschaut haben mag. Solche Gegenüberstellungen machen den Gang durch die kleine, mit rund 50 Werken bestückte Ausstellung zum Vergnügen.
Und es gibt auch Entdeckungen – der Franzose Camille Bombois zum Beispiel, der einen phantastischen Winterwald malte, oder André Bauchant, Gärtner von Beruf, der sich selbst inmitten eines üppig blühenden Dahlien-Feldes zeigt. Unerwartet ist auch die Begegnung mit Niklaus Stoecklins „Akrobat“ oder mit dem „Nocturno“, einem wunderbar traumhaften Gemälde des wenig bekannten Ernst Georg Rüegg.
„Visionäre Sachlichkeit“?
Schwierigkeiten stellen sich allerdings ein, wenn man nach den präzisen Begrifflichkeiten fragt, die hinter dem Unternehmen stehen. „Visionäre Sachlichkeit“? Was soll man sich darunter genau vorstellen? Der kleine Katalog verschafft darüber keine Klarheit. Auch der Terminus „Naive Maler“, den Büttner mehrfach verwendet, ist unpräzis. Rousseau gilt gemeinhin als „naiv“. Doch Adolf Dietrichs Werk sprengt solches Schubladen-Denken, ebenso Bauchant. Was am Ende als Leitlinie gelten mag: Philippe Büttner trug Werke von Malern des späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammen, die trotz des Umfeldes der beginnenden Moderne gegenständlich blieben und nicht dem Malerischen, der „Peinture“ eines Manet oder Cézanne, verpflichtet waren, sondern dem Erzählerischen und der Klarheit von Form und Farbe, was denn tatsächlich zu einem magischen – aber nicht unbedingt „visionären“ Realismus führen kann.
Schlagschatten auf den Bildern
Mit den drei Künstlernamen – Magritte, Dietrich, Rousseau – gerät der Ausstellungstitel in die Nähe des Etikettenschwindels. Die berühmten Namen sollen wohl Publikum anlocken, doch wer nun glaubt, eine Begegnung der drei Künstler stünde im Zentrum der Ausstellung, wird enttäuscht. Wohl gibt es von Adolf Dietrich 15 Werke, doch von Magritte bloss drei und von Rousseau gar nur zwei. Vallotton ist mit sechs Malereien vertreten, Stoecklin mit fünf.
Was aber ärgerlicher ist: Die extreme Beleuchtung durch Spotlampen bringt es vielerorts mit sich, dass die Rahmen schwere Schlagschatten auf die Werke werfen. In einigen Fällen zerstört das die Proportionen der Bilder. Im anrührend wirkenden Selbstporträt von Camille Bombois reicht dieser schwarze Schatten bis zum schwarzen Hut. Bei Rousseaus „Promenade dans la forêt“ wirft der stark profilierte Rahmen gar einen Schatten, der sich wie eine Girlande so über den obersten Bildteil legt, als hätte dies Rousseau so gemalt. Eines der ersten Anliegen einer Ausstellung muss es sein, den Werken die besten Bedingungen für ihre Präsenz und ihre Wirkung zu verschaffen. Das Licht spielt dabei eine Hauptrolle. Es ist zu hoffen, dass es das künftig im Erweiterungsbau auch tatsächlich tun kann.
Kunsthaus Zürich. Bis 8. Juli. Publikation 22 Franken.