Nach der Rede des israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett vor den Vereinten Nationen vor einer Woche fragten sich Kommentatoren israelischer Medien, was er mit dieser Rede wohl bezweckt habe. „Für so etwas reist Bennett nach New York?“, mokierte sich selbst ein Moderator des israelischen Rundfunks und wiederholte, was vor ihm schon andere bemängelte hatten: Der Premier habe von Israel als einem Staat „auf dem Weg zur inneren Einheit“ gesprochen und vor lauter Lob für seine seit 100 Tagen im Amt befindliche Regierung nicht mit einem einzigen Wort Israels Hauptproblem erwähnt: den weiterhin ungelösten Konflikt mit den Palästinensern. Dazu gehören die Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen und diejenigen in Israel selbst, die dort immerhin ein Fünftel der knapp neun Millionen Einwohner ausmachen und die – allerdings nur auf dem Papier – gleichberechtigte Staatsbürger sind.
Streitpunkt Zweistaatenlösung
Während der von der islamistischen Hamas kontrollierte Gazastreifen mehr oder weniger unter israelischer Besatzung steht und es dort immer wieder zu bewaffneten Zusammenstössen, Raketenangriffen auf Israel und israelischen Gegenangriffen in Gaza kommt, sollte seit den Oslo-Abkommen von 1993 und 1995 im Westjordanland ein autonomer „Staat Palästina“ die Vorstufe zur international befürworteten Zweistaatenlösung werden. Vor Ort ist davon freilich kaum etwas zu spüren, denn Bennetts Vorgänger Netanjahu hatte die Zweistaatenlösung immer abgelehnt und Besitzanspruch auf das Westjordanland erhoben, das deswegen weiterhin mehr oder weniger unter israelischer Kontrolle oder Besatzung steht. Daran dürfte sich auch unter Bennett kaum etwas ändern, selbst wenn US-Präsident Joe Biden sich gerade eben vor der Uno für die Zweistaatenlösung ausgesprochen hat.
Wegen der Kritik an seinem Uno-Auftritt hat sich Bennett nun daran gemacht, ein anderes Problem zu lösen, das Israel – vor allem aber seinen arabischen Einwohnern – seit Jahren in zunehmendem Masse zu schaffen macht: die Gewalt unter israelischen Arabern. In diesem Jahr sind unter den israelischen Arabern bereits fast einhundert Personen ermordet worden, und die Zahl der Verwundeten dürfte noch höher liegen. Die wichtigste Ursache für diese Bluttaten liegt nicht im elementaren Bereich des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern, sondern in der zunehmenden Verbreitung von innerpalästinensischen Familien- und Stammes-Konflikten und anderen Auseinandersetzungen: Streit um Besitzfragen, Streit um religiös bedingte „Fragen der Ehre“ sowie um Kleinkriminalität bis hin zu Waffenschmuggel aus arabischen Nachbarländern wie auch aus israelischen Armeelagern.
Ausweitung der Konflikte
Diese Waffen werden in der Regel aber nicht für Angriffe auf offizielle Institutionen des Staates Israel verwendet. Der Grund hierfür dürfte darin liegen, dass die israelischen Araber sich – im Gegensatz zu ihren Landsleuten im Westjordanland und im Gazastreifen – 73 Jahre nach Gründung Israels längst als Bürger dieses Staates empfinden. Dies gilt trotz aller Benachteiligungen, die sie im Laufe der Jahrzehnte erdulden mussten, ganz besonders unter Benjamin Netanjahu, der mit seinem „Nationalstaats-Gesetz“ im Begriff war, eine Art israelischer Apartheid einzuführen. Zu Beschwerden israelischer Araber kam es vor allem deswegen, weil sie sich von „ihrem“ Staat nicht ausreichend geschützt fühlten: So erschien die Polizei oft gar nicht oder aber zu spät, wenn es zu Zwischenfällen in den arabischen Dörfern in Galiläa oder südöstlich von Haifa kam. Beschwerden wurden mit langer Laufzeit oder auch gar nicht bearbeitet.
Nach den heftigen Zusammenstössen zwischen Israel und der Hamas in Gaza im Frühjahr weiteten sich die Zwischenfälle allerdings auch auf das Westjordanland und Israel selbst aus, dort vor allen auf gemischt jüdisch-arabische Orte. Und die Befürchtung kam nicht von ungefähr, dass die relative Ruhe in den arabischen Wohngegenden Israels gefährdet sein könnte, sollte es erneut zu Auseinandersetzungen mit religiös-nationalistischem Hintergrund kommen. Wie beim letzten Mal, als die Heiligen Stätten in Jerusalem im Vordergrund standen.
Eine Woche nach der kritisierten Uno-Rede von Premier Bennett rief dieser nun am Sonntag eine neu gebildete „Task Force“ zur Bekämpfung von Kriminalität und Gewalt im israelisch-arabischen Sektor zusammen, und es wurde beschlossen, diese Aufgabe in erster Linie der Armee und dem Geheimdienst Shin Bet zu übertragen. Diese sollen sich in erster Linie auf das Problem der illegalen Waffen konzentrieren. Auch das Justizministerium soll Mindeststrafen für den Besitz von und den Handel mit illegalen Waffen ausarbeiten. Ob dies allerdings der Eskalation der Gewalt Einhalt gebieten wird, dürfte fraglich sein. Im Gegenteil: Wenn Armee und Geheimdienst mit solchen Aufgaben betraut sind, dann werden sie vermutlich auf ähnliche Weise vorgehen und „durchgreifen“, wie sie es schon längst im Westjordanland tun. Der Bock wäre zum Gärtner gemacht und das Verhältnis zwischen Juden und Arabern in Israel mit neuen Belastungen konfrontiert.