Eine Untersuchungskommission des Parlaments ermittelte zwei Jahre lang. Am Ende sagte deren Chef Anfang August, die Ergebnisse dürften nicht veröffentlicht werden. Begründung: Sie würden das Volk schockieren.
Kann eine Märtyrerstiftung ein gefragtes Exportgut sein? Eine merkwürdige Frage, könnte man meinen. Eine solche Stiftung ist höchstwahrscheinlich ein Lobbyverein für Gefallene. Und sie kann doch nur dort gefragt sein, wo sie erfolgreich tätig ist.
Im Prinzip richtig. Nicht aber, wenn es sich bei dieser Stiftung um eine iranische handelt.
„Die iranische Märtyrerstiftung ist jenseits der Landesgrenzen sehr begehrt und bewundert. Das umfassende Know How, die Jahrzehnte lange Erfahrung, die diversen Investitionsfelder und die Professionalität ihrer Mitarbeiter haben sie längst zu einem Exportartikel ersten Ranges gemacht.“ Das ist kein Eigenlob, sondern eine Bewertung aus dem Ausland. Sie stammt von Kende Al Shammat, der ehemaligen syrischen Sozialministerin, abgegeben im Januar 2014. Die Ökonomin und Juristin war damals mit dem Auftrag nach Teheran gereist, die iranischen Behörden dazu zu bewegen, auch in Syrien eine solche Stiftung aufzubauen. „Die Zahl der Gefallenen in unserem Land steigt kontinuierlich und wir brauchen dringend einen Profiverband wie Ihren. Wir sind auf Ihre Qualifikation angewiesen“, flehte die Ministerin damals ihre Gastgeber an.
Als Frau Al Shammat diese Bitte in Teheran äusserte, lag die Zahl der Toten Kriegs in Syrien bei 140'000. Jetzt, zweieinhalb Jahre später, hat sich die Zahl mehr als verdreifacht. Seit dem Ausbruch des Kriegs in Syrien hat die Islamische Republik Iran zwar bekanntlich viel aufgeboten – materiell, menschlich und medial -, damit Syriens Präsident Bashar al Assad an der Macht bleibt. Doch der Aufbau einer syrischen Märtyrerorganisation nach iranischem Vorbild ist immer noch nicht gelungen. Und er konnte auch nicht gelingen.
Ein Wirtschaftskrake namens Märtyrerstiftung
Die iranische „Foundation of Martyrs and Veterans Affairs“ präsentiert sich zwar als Lobby der auf den vielen Schlachtfeldern, an denen die Islamische Republik beteiligt ist, gefallenen Iraner. Doch in Wirklichkeit ist sie ein Wirtschaftsimperium, ein Staat im Staate, viel mächtiger als die eigentliche Regierung: ein kaum kontrollierter – weil unkontrollierbarer – Krake, dessen Fangarme in alle Bereiche der Gesellschaft reichen. Unüberschaubar ist die Zahl der Stiftungsfirmen und ihrer Tätigkeitsfelder. Es gibt praktisch keinen Industrie- und Handelsbereich ohne Beteiligung der Märtyrerstiftung: Erdöl, Bergbau, Automobilindustrie, Fluggesellschaften, Strassenbau, Tourismus, Landwirtschaft und Rüstungsindustrie. Sie besitzt sogar eigene Häfen für Ein- und Ausfuhren von allerlei Waren, und die Spitzenmanager der Stiftung bewegen sich im In- und Ausland mit eigener Flugbereitschaft, für die ihnen eine Flotte von Jets und Helikoptern zur Verfügung steht. Es wäre nicht möglich, einen iranischen Haushalt ohne Produkte der Märtyrerstiftung zu finden, seien es Kücheneinrichtungen oder Elektrogräte, Konserven oder Fruchtsäfte.
Die Revolution frisst ihre Grossväter
Die Geschichte der Stiftung (hier das Logo der Stiftung) erzählt nicht nur die der Genese der Islamischen Revolution, sondern auch die der Entstehung einer neuen Klasse. Aber auch die eines moralischen Verfalls ohne gleichen. Dieser Verfall wurde ihr quasi bei ihrer Geburt in die Wiege gelegt, fünfzehn Jahre bevor die islamische Revolution überhaupt ausbrach. Das tragische Schicksal jenes Multimillionärs, der die Märtyrerstiftung gründete, macht deutlich, dass die islamische Revolution nicht nur ihre Kinder, sondern auch ihre Grossväter frisst.
Es waren die letzten Frühlingstage des Jahres 1963. Irans Hauptstadt Teheran war zu dieser Zeit mehrere Tage lang Schauplatz einer Serie von gewalttätigen Demonstrationen, die von der schiitischen Geistlichkeit angeführt und von Sicherheitskräften des Schahs blutig niedergeschlagen wurden. Wie viele Menschen bei diesen Unruhen getötet wurden, weiss man nicht genau. Die Zahlen variieren zwischen Hunderten und Tausenden, je nachdem, wer die Geschichte des gescheiterten Aufstandes erzählt.
Älter als die Islamische Republik
Ruhollah Khomeini, damals noch kein Ayatollah, war das Sprachrohr dieser Erhebung. Nach der Niederschlagung des Aufstands gab er eine Empfehlung, die sich später als schicksalhaft erweisen sollte: Es sollte eine Märtyrerstiftung für Hinterbliebene der Getöteten gegründet werden. Ein Multimillionär aus dem Teheraner Bazar folgte dieser Empfehlung. Er hiess Karim Dastmaltschi. Fast jeder Geschäftsmann im Iran kannte ihn, auch in Hamburg, London und Paris waren Filialen seines Unternehmens tätig. Als im Sommer 1978, wenige Monate vor dem Sieg der Revolution, Khomeini nach Paris kam, spielte der superreiche Dastmaltschi die entscheidende Rolle. Er kaufte für Khomeini in der Nähe von Paris eine Villa und übernahm alle Kosten des Revolutionsführers und seiner Entourage im Exil. Als die triumphale Rückreise Khomeinis in den Iran bevorstand, musste er mit seinem gesamten Vermögen einspringen. Denn keine Fluggesellschaft war bereit, Khomeini samt seinem Revolutionskomitee in den Iran zu bringen. Denn in jenen Tagen diskutierten Generäle des Schahs, Khomeinis Maschine im iranischen Luftraum abzuschiessen. Der Multimillionär charterte eine Sondermaschine und übernahm die Versicherung für das gefährdete Flugzeug.
Hinrichtung des Wohltäters
Air France liess sich so überzeugen. Schliesslich landete die Revolutionsmaschine am 1. Februar 1979 in Teheran und Khomeini wurde von Millionen Menschen empfangen. Und Dastmaltschi, der diesen Flug ermöglicht hatte, wurde eines der ersten prominenten Opfer dieser Revolution. Denn er war nicht nur gläubiger Muslim, sondern auch überzeugter Nationalist und Anhänger des legendären iranischen Ministerpräsident Mohammed Mossadegh. Einige Monate nach der Revolution wurde Dastmaltschi von einem Revolutionsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. Sein gesamtes Vermögen wurde konfisziert und sein Name als Gründer der Märtyrerstiftung getilgt. Dastmaltschis Verbrechen: Er hatte sich gegen das neue islamische Strafgesetz – Auge um Auge, Zahn um Zahn – ausgesprochen.
Revolution und Irakkrieg schaffen Märtyrer
Doch seine Märtyrerstiftung sollte an Bedeutung gewinnen, bis sie schliesslich zur wichtigsten Institution der neuen Gesellschaftsordnung aufstieg – den zahlreichen Opfern der Revolution ebenso gedankt wie den Gefallenen des Irakkriegs, der nur ein Jahr nach der Revolution ausbrach. Dieser Krieg sollte acht Jahre dauern und täglich neue Opfer produzieren, manche Statistiken sprechen von einer Million Toten. Und je mehr Gefallene, desto unverzichtbarer wurde die Märtyrerstiftung und desto einflussreicher ihre Funktionäre.
Uferlose Korruption
Der Chef dieser Stiftung wird zwar vom Staatspräsidenten ernannt, doch die Institution als Ganze untersteht dem iranischen Revolutionsführer Ali Khamenei. Wie andere Organisationen, die von ihm kontrolliert werden, zahlt auch die Märtyrerstiftung keine Steuern und ist von jeglicher Kontrolle befreit. Ihr Jahresetat beträgt neuntausend Milliarden Tuman, mehr als zwei Milliarden Euro: Genau das 56-fache von dem, was das iranische Umweltministerium erhält.
Wirtschaftlich mächtig, politisch einflussreich, heilig wie ein Märtyrer selbst und zugleich unkontrollierbar und steuerfrei – wenn all dies in einer Einrichtung zusammentrifft, kann das nur zu einem einzigen Ergebnis führen: uferloser Korruption. Und im Falle der Märtyrerstiftung geht es um astronomische Summen: Hunderte von Milliarden Dollar. Genaues weiss man nicht, selbst diese Zahl ist nur die Andeutung eines Parlamentsabgeordneten. Sie war das erste und einzige Mal, dass diese nie wiederholte ungefähre Summe überhaupt publik wurde.
Ergebnislose Untersuchung
Nach dem Amtsantritt des amtierenden iranischen Präsidenten Hassan Rouhani im August 2013 wagten einige Abgeordnete, sich an die Kommission des Paragraphen 90 des iranischen Parlaments zu wenden – eine Beschwerdekommission mit Untersuchungsbefugnis. Man klagte dort über die grassierende Korruption in der Märtyrerstiftung während der Amtszeit von Rouhanis Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad.
Es wurden Papiere und Dokumente eingereicht, Zeugen und Quellen benannt. Das war vor genau zwei Jahren. „Wir haben in dieser Zeit 30'000 Aktenordner zusammengestellt und sie dem Parlamentspräsidenten überreicht“, sagte Anfang August Amir Khodjasteh, der Chefermittler der Kommission am Ende der Untersuchung. In einer öffentlichen Sitzung des Parlaments dürften die Inhalte dieser Akten aber nicht vorgetragen werden, entschieden Pour Mokhtar, Chef der Untersuchungskommission, und Kommissionsmitglied Djafar Zadeh: „Wir haben Angst, dass das Volk schockiert wird, wenn die Inhalte dieser Akten publik werden.“ Mehr erfuhren die Parlamentsabgeordneten nicht. Und auch dem Volk blieb der Schock erspart.
Am interessantesten war die Reaktion von Parlamentspräsident Ali Laridjani, dem die 30'000 Akten überreicht worden waren. „Zwei Jahre Zeit haben wir verschwendet, die Kommission hat mehrere Hundert Millionen Tuman für die Untersuchung ausgegeben. Aber viel wissen wir nicht. Und es lohnt sich nicht, darüber zu reden“, sagte er am 20. August und verkündete das Ende der Affäre. Und so war die Untersuchung beendet.
Ein neuer Chef
Doch Zeitungen berichten weiterhin von verhafteten Funktionären, und die Stiftung bekam noch während der Untersuchung einen neuen Präsidenten. Mohammad Ali Schahidi heisst er, ein Intimus von Khamenei und Rouhani zugleich. Als erste Amtshandlung kündigte der neue Chef an, die Märtyrerstiftung werde ab sofort die Hinterbliebenen jener in Syrien gefallenen Afghanen und Pakistaner in Obhut nehmen, die der Iran dorthin entsandt hatte.
Programmierter Niedergang der Republik
Doch in Zeitungen und auf Webseiten kursieren immer noch Namen und Unterschlagungssummen zwischen 15'000 und 200'000 Milliarden Tuman – drei bis 40 Milliarden Euro. Das iranische Publikum hat sich längst an solche Summen gewöhnt. Denn immer wieder werden mehr oder minder ähnliche Zahlen aus anderen Institutionen bekannt. Niemand regt sich mehr auf.
„Die islamische Republik wird weder durch Israel noch durch die USA oder Saudi-Arabien zu Fall gebracht. Das Ende dieser Republik besorgt die unkontrollierbare und grassierende Korruption“, sagte vergangenen Dezember Ahmad Tavakkoli, Ökonom und ehemaliger Parlamentsabgeordneter, der auch als Vertrauter des Revolutionsführers gilt.
Wenn diese Voraussage des in Grossbritannien ausgebildeten Fachmanns zutrifft, dann beschleunigt sich der Niedergang der Islamischen Republik Iran rapide. Denn seit Tavakkolis Aussage sind bereits neue und noch höhere Unterschlagungssummen aus anderen Einrichtungen und Behörden des Iran bekannt geworden.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal