In seinem Beitrag zur Globalisierung wirft Eduard Kaeser den „Homo globalis“ auf den Misthaufen der Zeitgeschichte. Die Zukunft gehöre dem „Homo localis“, der aus dem Humus der Provinzialität herauswächst indem er „die Welt ... in der Perspektive lokalen Lebens“ wahrnimmt. Als Beleg dient Kaeser Kritik von Urbanisten, welche bisheriger Stadtplanung die Zerstörung urbanen Lebens durch Verdichtung vorwerfen.
Dieses Argument ist leicht zu entkräften. Stadtbilder werden in erster Linie von Rentabilität geprägt und nicht von Planern, deren zukunftsweisendste Projekte oft an finanziellen und direktdemokratischen Hürden scheitern. Zudem wählen und stimmen Stadtbewohner viel häufiger für Offenheit und Austausch über Grenzen als ihre politischen Gegner aus „suburbia“, geschweige denn jene vom Land.
Städte wählen links
Das gilt für die Schweiz, wo die SVP in der Agglomeration und in den Bergen punktet, ebenso wie für England, wo das rurale England dem kosmopolitischen London den Brexit aufzwingt. Auch für die USA, wo Trump in seiner urbanen Verwurzelung in Manhattan 10 Prozent der Stimmen, im ländlichen Ohio und Michigan aber jene knappe Mehrheit der Elektoren erhielt, welche nun als vermeintlicher Hauptbeweis für die vom „Homo globalis“ kreierte Verunsicherung der westlichen Mittelschicht herhalten muss.
Noch weniger folgt man dem sonst so zurückhaltend formulierenden Kaeser bei seinem verbalen Verriss seines offensichtlichen Feindbildes „Homo globalis“. Der „New York Times“-Kommentator Thomas Friedman hat nicht lediglich, wie es Kaeser formuliert, „hinausposaunt“, die Welt sei flach.
Globalisierung ist grundsätzlich gut
In seinem wegweisenden Werk zur Bedeutung des digitalen Zeitalters hat Friedmann vielmehr konzis formuliert, warum für die grosse Mehrheit der Menschheit – jene in Entwicklungsländern nämlich – die rasche Vernetzung mit der Welt eine Chance bedeuten kann. Diese wurde insofern genutzt, als sich seither die Reichtumsschere zwischen vielen Schwellenmärkten einerseits und den traditionellen Industrieländern andererseits etwas geschlossen hat.
Dass sich Ungleichheiten innerhalb einzelner Länder akzentuieren, und dies gilt für Industrie- und Entwicklungsländer gleichermassen, ist nicht die Schuld von „Homo davosiensis“, der Kaeser offensichtlich wenig gefällt.
Wer gehört zum „Davos man“?
Der „Davos man“, nicht allein als Mitglied am Weltwirtschaftsforum, sondern als Inbegriff eines Teilnehmers an internationalen Treffen, Symposien und Seminaren trifft sich – in verschiedenster Zusammensetzung und irgendwo auf der Welt – nicht, wie von Kaeser vermutet, um „auf Konferenzen herumzuwieseln“. Sondern um ja auch von ihm signalisierte Probleme unserer verflochtenen Welt zu diskutieren, zu popularisieren und allenfalls politische Lösungen anzustossen.
Zu diesen Teilnehmern zählen neben dem von ihm anvisierten „Söldnertum aus Managern, Finanzexperten, Beratern, die (...) keinem Land verpflichtet sind“ auch Forscher, Vertreter von internationalen Regierungs- und Nichtregierungs-Organisationen, Minderheitenvertreter und viele andere.
Weltbürger haben mehr als eine Heimat
Mit der „Verpflichtung auf ein Land“ ist es so eine Sache. Ähnlich wie Kaeser hat sich auch die englische Premierministerin geäussert, als sie am letzten Parteitag der Konservativen den Brexitgegner als „Citizen of the world, belonging nowhere“ verunglimpfte. Das ist schlicht falsch. Abermillionen werden bereits als Weltbürger geboren, nämlich alle jene, deren Elten zugezogen sind, oft aus fremden Sprachen, Religionen und Ethnien. Die grosse Mehrheit davon schafft die kulturelle Verflechtung mit mindestens zwei Ländern spielend, wie etwa der pakistanischstämmige Mayor of London und die türkischstämmige Nationalrätin aus Basel zeigen.
Weltbürger kann man auch werden via Auslandspraktikum, Studienaufenthalt, berufliche Karriere oder schlicht Neugier auf anderes und andere. So wie das gerade in der Schweiz auf Abertausende zutrifft. Heimat, die von Kaeser beschworene vertikale Verwurzelung, kann, muss aber keineswegs ein und immer dasselbe Land sein. Zwei oder auch drei Heimatländer sind ebenso möglich wie Europa als Heimat an einem Ende der Grössenskala und am anderen eine von Auge überblickbare Landschaft, der Blick vom eigenen Balkon. Geborgenheit ist nicht ein Reisepass, sondern eine Emotion.
„Homo localis“ und Trumps Ausgrenzung
Eine Welt voller „Homo localis“ wäre ein Albtraum, weil dadurch Samuel Huntingtons Theorie vom „Clash of Civilizations“ Realität werden könnte. Seinem entsprechenden, sprichwörtlich gewordenen Bestseller, in dem er immerhin für ein friedliches Nebeneinander verschiedener Zivilisationen, aber mit möglichst wenig Austausch plädierte, folgte Huntingtons Werk über die Selbstfindung der Amerikaner („Who are we?“). Trumps Kriegsruf „America first“ darf als populistische Ausschlachtung gesehen werden zu solcher nationalistischen Ausgrenzung aller anderen.
Europa dagegen hat aus seiner bitteren Geschichtslektion mit überschäumender „Verpflichtung für ein Land“ seine Lehren gezogen. Es fehlt zwar nicht an kleineren und auch grösseren Trumps, aber sie stossen bislang an die Mauer der historischen Erinnerung. Erinnerung daran, wie glorifizierter Lokalismus, die Zelebrierung der angeblichen Stammesnatur aller Menschen, zu Nationalismus und von da ins Verderben führte.