Wir sind ein freies Land. Mit Freiheit des Denkens, Reisens, der Meinung, Sprache, Religion, Presse. Mit Freiheit zum Demonstrieren, Kritisieren, Protestieren, Streiken, Opponieren, Solidarisieren, Auswandern und wieder Heimkommen. Kurz gesagt – wir sind ein tolles Land. Natürlich ist diese Idylle Quatsch. Vielleicht so ein Zwischending zwischen Karikatur und Selbstbespiegelung.
Möglicherweise eine von paradiesisch-politischen Sehnsüchten geleitete, pastellfarbene Selbstbespiegelung. Mit der eigenen Vorstellung von einer bewundernswerten Gesellschaft voller Hilfsbereitschaft und Empathie für alle Völker dieser Erde und gesegnet mit einer weltweit einmaligen Willkommenskultur. Wir lassen (ein eherner Grundsatz) niemanden im Stich und fragen – falls jemand ausnahmsweise doch einmal nicht ganz unserem Idealbild vom Migranten entsprechen sollte – lieber zunächst einmal bei uns selber, ob der Grund dafür nicht vielleicht in Wirklichkeit hier liegen könnte. Ob wir nicht genug für ihn und sein Fortkommen getan haben oder die Anforderungen zu hoch angelegt waren.
Die Welt sieht anders aus
Egal, ob Karikatur oder Selbstüberhöhung. Die die Welt und der Alltag sehen jedenfalls anders aus. Und zwar ganz anders. Mögen in den deutschen Landen die ungezählten diversen gesellschaftlichen Interessengruppen bei ihren Wünschen und Forderungen an «die Politik» auch noch so sehr an dem Mantra festhalten, «ein so reicher Staat wie unserer muss sich dies und das doch wohl noch leisten können» – die Losung stimmt längst nicht mehr. Dafür gibt es vielfältige Ursachen, bei denen allerdings zwei besonders herausragen. Da ist einmal der über die Jahrzehnte wirtschaftlichen Wachstums immer perfekter gewordene Wandel von der ursprünglichen Leistungs- hin zur Versorgungsgesellschaft, die nahezu jeden Dienst vom «Staat» erwartet, «denn ich zahle doch schließlich Steuern». Und dazu kommt seit geraumer Zeit eine rapide anwachsende Zahl neuer Leistungsempfänger in Gestalt jener Zuwanderer, die in ihren Heimatländern vor Gewalt und Verfolgung fliehen mussten oder sich (allen Gefahren für Leib und Leben trotzend) der millionenfachen Völkerwanderung anschlossen, um nicht aus Hunger oder Durst zu sterben.
Um das weltweite menschliche Leid wenigstens ein klein wenig abzumildern, hat Deutschland – fraglos – viel geleistet. Und ungezählte ehemalige Fremde – Migranten eben – haben diese Hilfe auf mannigfaltige Weise zurückgezahlt. Es ist müssig, aufzuzählen, dass ohne deren Einsatz hier vieles überhaupt nicht mehr funktionieren würde. Zum Beispiel ist (und nicht erst seit heute) nur mithilfe der «ausländischen» Ärzte und des «migrantischen» Pflegepersonals das deutsche Gesundheitswesen aufrecht zu erhalten. Aber klar, die Medaille hat auch eine Kehrseite. Eine, die sehr viel weniger glänzt.
Es kommt allein auf die Tat an
Denn: Selbstverständlich ist keineswegs jeder nach Deutschland gekommene «Syrer ein Chirurg, Zahnarzt, Ingenieur oder Architekt», wie zumeist gut situierte und hauptsächlich intellektuell angesiedelte Gruppierungen wenigstens zeitweise die propagierte Willkommenskultur untermauerten. Und auch das lange von Politikern, Soziologen und Journalisten-Verbänden verlangte Verschweigen von Herkunftsangaben bei Straftätern konnte die Taten selbst schliesslich nicht ungeschehen machen. Wobei in diesen Fällen am abenteuerlichsten auch noch die Begründung war, man dürfe doch nicht ganze Gruppen «unter Generalverdacht stellen». Als ob alle Deutschen Einbrecher wären, wenn ein «Bio-Deutscher» in ein Haus einsteigt, um dort etwas zu klauen. Und wenn in Berlin-Neukölln familiäre Grossclans aus dem Libanon ihr Unwesen treiben (dürfen), trifft das – logisch – ebenfalls nicht auf alle Libanesen zu.
Inzwischen freilich – im Schatten des russischen Krieges in der Ukraine, besonders aber des israelischen Vorgehens im Gaza-Streifen nach dem barbarischen Gemetzel von Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 – haben das Thema Migration und deren Auswirkungen auf das innere Gefüge in Deutschland Besorgnis erregende Formen angenommen. Formen, die nicht mehr «nur» bestimmt werden in Berlin, Essen oder Duisburg von Clan-Kriminalität und «blossen» Beschaffungsdelikten. Sondern immer häufiger aus Moscheen heraus diktiert werden von islamistischen Glaubensdogmen, extrem religiösen Lebens- und Kleidungsgeboten sowie brutalen Unterdrückungsmechanismen speziell Frauen gegenüber.
Ein Machtkampf der Denk-Systeme
Das Ganze hat (im angeblich doch so zivilisierten und perfekt durchorganisierten Deutschland) längst den Charakter eines Machtkampfes total unterschiedlicher Systeme und kulturell-politischer Denkweisen angenommen. Oder besser: eines islamistischen Macht-Anspruchs. Denn ob die zwischen Selbstanklage, scheinbarer Toleranz und simpler Gleichgültigkeit hin- und herschwankende Mehrheitsgesellschaft im Lande tatsächlich bereit ist, diese Auseinandersetzung ernsthaft anzunehmen und zu führen, steht noch keineswegs fest.
Immerhin haben die jüngsten Ereignisse speziell in Hamburg mit pro-palästinensischen und antisemitischen Parolen aber eben vor allem auch religiös-politischen Forderungen Politik und Medien aufgeschreckt. Da marschierten (von den Organisatoren natürlich so angeordnet) Frauen und Mädchen «protestierend» mit – aber selbstverständlich getrennt von den Männern und (versteht sich von selbst) hinter ihnen. Da wurde für die Bundesrepublik Deutschland ein «Kalifat» gefordert – mithin die Abschaffung der Demokratie mit all ihren Errungenschaften wie Freiheit, Gleichheit, weltlicher Gesetzgebung und strenger Rechtstaatlichkeit. Stattdessen die Errichtung eines muslimischen «Gottesstaates», in dem nicht etwa die von gewählten Parlamenten geschaffenen Gesetze Gültigkeit besitzen, sondern allein die «von Gott gegebene» Scharia die Rechtsgrundlage bildet. Und damit selbstverständlich auch «Strafen» ausgesprochen werden können wie Steinigen, Auspeitschen, Köpfe usw.
Nur die Verfassung ist das Recht
Es werde, heisst es nun wieder einmal, «geprüft», ob gegen die Organisatoren und die dahinterstehenden Vereinigungen vorgegangen werden soll. Ja, ob vielleicht sogar Verbote angebracht sein könnten. Tatsächlich müsste doch eigentlich schon die Forderung nach einem «Kalifat» dafür ausreichen. Schliesslich gelten hierzulande allein die Verfassung und das daraus resultierende Recht. Und schon das «alte» Grundgesetz des damals westdeutschen Teilstaats stellte das demokratische Staatssystem unter seinen besonderen Schutz. Jeder Angriff darauf (und der Ruf nach einem absolutistisch-religiösen «Kalifat» ist ein solcher) ist damit eine Attacke auf uns als freie, tolerante, offene Gesellschaft.
Aber wird das «draussen im Lande» auch so verstanden? Wo bleibt denn ein wirklich überzeugender, machtvoller Protest aus der Mitte der Gesellschaft gegen diese dreisten Auftritte angeblich religiös-besorgter Islamisten. Ausserdem, wo bleibt eigentlich der Aufschrei der deutschen Feministinnen wegen der sichtbaren Niedrigstellung der muslimischen Teilnehmerinnen bei den islamistischen Demos in Hamburg und anderswo? Er ist genauso ausgeblieben wie es das vermutlich auch künftig sein wird. Der sich intellektuell bis liberal gebende Teil des öffentlichen Diskurses wird auf die angeblich weltweit beispielgebende Toleranz und Offenheit Deutschlands und der Deutschen pochen sowie darauf, dass man doch «nicht zuletzt wegen unserer unseligen Vergangenheit» unter allen Umständen daran festhalten müsse. Aber trotzdem werden politisch-rechtliche Konsequenzen unerlässlich sein.
Ein fataler Weg zu den Rechtsaussen
Denn die staatliche Zurückhaltung beim dringend notwendigen Kampf gegen die Herausforderer von Demokratie und Freiheit (wie wir sie verstehen) löst zunehmend Reflexe in der breiten Bevölkerung aus. Und zwar (leider) nicht immer die gewünschten. In den Anfangsjahren der deutschen Nachkriegsrepublik hatte einmal der Spruch gegolten «Nur ein starker Staat kann auch ein liberaler Staat sein». An dieser Wahrheit hat sich bis heute nichts geändert. Doch offensichtlich ist sie in Vergessenheit geraten. Aber wenn «der Staat» in den Augen der Bürger bei seiner vornehmsten Pflicht versagt (nämlich Schutz zu bieten bei allen möglichen Attacken), dann suchen diese Bürger anderswo Rat und Unterstützung. Da ist der Weg zur politisch am rechten Rand agierenden und keineswegs die Freiheit anbetenden Alternative für Deutschland (AfD) nicht weit. Deren Konzepte habe zwar nichts mehr mit bürgerlicher Freiheit und Rechtstaatlichkeit zu tun, finden jedoch – weil sie ja so einfach scheinen – durchaus ihre gläubigen Jünger.
Wer dem Zögern der etablierten politischen Kräfte in Berlin und im Bundesgebiet hinsichtlich eines wirklich harten Durchgreifens gegen die Feinde der Demokratie und Hasser unserer zivilisatorischen Werte auf den Grund geht, wird bei manchen ganz gewiss auch auf respektable und juristisch nachvollziehbare Bedenken stossen. Recht und Gesetz müssen in einem demokratisch verfassten Land tatsächlich auch heilig sein. Doch auch hier zeigt sich rasch eine Kehrseite. Und die heisst eben nicht selten – Feigheit. Wer will sich schon wegen seiner Überzeugung einem – oft genug inszenierten – Shitstorm oder Facebook-Gewitter aussetzen und als illiberal gelten? Nur weil er (auch religiös begründete) Extremisten als «Gewalttäter» bezeichnet?
Aber genau darauf spekulieren diese. Das leidige Spiel ist doch immer dasselbe. Da melden Gruppen eine Demo an. Schliesslich herrscht in Deutschland (anders als im «Kalifat» Iran oder auch in Moskau) Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. Der Protestzug wird von den Behörden in aller Regel auch genehmigt. Wenn dann später – meist als Folge kühl geplanter Provokationen – die Polizei einschreitet und die Veranstaltung auflöst, gerieren sich die «Protestler» als Opfer der «Staatswillkür», stellen oft genug sehr gekonnt gemachte Videos von ihrem «Leiden» online und finden Zustimmung auch ausserhalb ihrer eigenen Blase. Die jüngsten Vorgänge in Hamburg und Berlin boten dafür erstklassigen Anschauungsunterricht – wenigstens für jeden, der es sehen und erkennen wollte.
Das Perfide an diesen Operationen ist, dass sie im Grunde leicht vorhersehbar, aber nicht so einfach in den Griff zu bekommen sind. Denn der Rechtstaat wird mithilfe seiner (richtigen) eigenen Prinzipien vor- und an der Nase herumgeführt. Diese Initiatoren (in aller Regel mit deutschem Pass und nicht selten schon hier geboren) wollen die Zerstörung dieses Staates und des darin freiheitlich verfassten Lebens – mit dem Ziel, eine absolut rückwärtsgewandte, ausschliesslich religiös-extremistisch verpflichtete Diktatur aufzubauen, für die der Iran Vorbild ist. Auf dem dafür eingeschlagenen Weg bedienen sie sich freilich ungeniert der «westlich-dekadenten» Freiheiten.
Nein, es ist wirklich nicht Ausdruck von Liberalität, Toleranz und Freiheitssinn, diesem Treiben mehr oder weniger tatenlos zuzuschauen. Der Vorwurf der Ignoranz träfe schon eher zu. Wahrscheinlich aber ist es eine Mischung aus Faulheit und Feigheit in einer satt und träge gewordenen Gesellschaft. Wenn sich diese bloss nicht täuscht. Die bevorstehenden Europa- und Landtagswahlen werden da höchstwahrscheinlich unangenehme Fragen aufwerfen.