Der oberste Schweizer Banker Patrick Odier spricht am Bankiertag von «Notstand». Der Präsident der Bankiervereinigung spricht von «Existenzgefährdung». Das Sprachrohr der Schweizer Banken meint damit die 11 auf der Folterbank der USA liegenden Banken. In Wirklichkeit betrifft das alle rund 320 Geldhäuser in der Schweiz. In Wirklichkeit betrifft das darüber hinaus die rund 5000 unabhängigen Vermögensverwalter in der Schweiz. In Wirklichkeit betrifft das den gesamten Finanzplatz Schweiz.
USA, Deutschland, Frankreich
Drei in Geldnöten steckende Staaten beissen sich immer grössere finanzielle Brocken aus Schweizer Finanzdienstleistern heraus. Lassen wir die Schuldfrage für einmal beiseite. Und konzentrieren uns darauf, dass es sich insgesamt um Milliardenbeträge handelt. Lassen wir Geldgier, Unfähigkeit und Dummheit für einmal beiseite. Und konzentrieren uns darauf, dass ein noch wichtigeres Gut als Geld, nämlich die fundamentalen Werte Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit in Gefahr sind.
Denn worauf beruht ein Geldgeschäft? Auf Vertrauen. Auf dem Einhalten geschlossener Verträge. Mit Kunden und Mitarbeitern. Wortbrüchigkeit und Verrat wird nicht kleiner oder legitim, wenn damit vergangene Illegitimitäten geheilt werden sollen. Wortbrüchigkeit wird nicht weniger gefährlich, wenn sie unter dem rechtsimperialistischen Druck ausländischer Mächte erfolgt. Verrat wird nicht erträglicher, wenn er nur das Fussvolk betrifft. Und die Kunden.
Der Weg in den Abgrund
Verrat und Wortbruch, Schlaumeiereien, Rechtsbruch, Aufgabe der Rechtssouveränität. Strategielosigkeit, Lösungsunfähigkeit, Perspektivlosigkeit. Hilfloses und, schlimmer noch, erfolgloses Taktieren. Das alles verlängert nur die Schlange der Staaten, die aus Schweizer Finanzdienstleistern das herausholen wollen, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht.
Dem Beispiel der drei ersten Staaten folgend stehen bereits Italien, Spanien, Russland, Indien, China, Brasilien bereit. Es gibt mehr als 200 Länder auf der Welt. Wird eine einzige Regierung sich diese einmalige Gelegenheit entgehen lassen? Wieso sollte sie? Wo doch der Finanzplatz Schweiz und sein Bundesrat im Chor sagen: der Nächste bitte.
Das Ende des Weges
Odier sagt nichts anderes, als dass der Finanzplatz Schweiz keine Strategie hat, wie er sich einer existenzbedrohenden Krise erwehren kann. Die Weissgeldstrategie ist ein Witz und keine Strategie. Die Abgeltungssteuer ist ein lebender Leichnam, der neben der Globallösung zuckt. Das retroaktive Eintreiben von Steuern für ausländische Staaten in der Schweiz ist ein Unding. Der Verrat an Kunden und Mitarbeitern, geduldet und unterstützt durch die Schweizer Regierung, führt in den Abgrund.
Es geht dabei längst nicht mehr um Vergangenheitsbewältigung. Es geht um das Verspielen der Zukunft. Es geht darum, dass ein Anleger nicht mehr darauf vertrauen kann, dass ein ihm gegebenes Wort auch gehalten wird. Dass ein Bankmitarbeiter nicht mehr auf die Fürsorgepflicht seines Arbeitgebers zählen kann. Das ist der Todeskuss für jede Bank.
Der schöne Schein
Aber es wird doch weiterhin geschäftet, verwaltet, gerechnet, geworben, es werden Hochglanzbroschüren und Anlagetipps verteilt. Der freundliche Berater nimmt doch noch den Telefonhörer ab, die Löhne und Boni werden pünktlich bezahlt. Die Bancomaten spucken weiterhin Geld aus, der Kontoauszug stimmt (meistens). Meetings werden abgehalten, Task Forces gebildet, New Business generiert, grossartige Strategien entwickelt. Und immer sind die Banken gut aufgestellt sowie für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet.
Heerscharen von Bankern wuseln geschäftig herum, die einen mit dem Blackberry am Ohr, die anderen mit dem Pochettli im Jackett. Da fällt es dem oberflächlichen Betrachter schwer, das schwarze Loch zu sehen, in das all dies hineinsteuert. Aber es ist schon ganz nah. Selbst der dümmste Banker spürt gelegentlich einen kalten Hauch. Hält einen Moment inne, dann quatscht er weiter in sein Smartphone oder zupft sich sein Pochettli zurecht.
Fehlentscheidungen und tödliche Irrtümer
Zukunftsgerichtete Entscheidungen bergen immer das Risiko, dass sie falsch sind. Ich kaufe ein Produkt für 5 Franken in der Hoffnung, es für 6 zu verkaufen. Dann muss ich es für 4 losschlagen. Künstlerpech. Aber: Ich biete ein Produkt an, von dem ich nicht erst seit gestern weiss, dass es heute und morgen unverkäuflich ist – und unternehme nichts. Verfalle in Schockstarre, murmle: Das darf doch nicht wahr sein.
Das ist tödlich. Und genau das ist die Haltung der Schweizer Banken. Selbst ihr oberstes Sprachrohr Odier weiss und sagt, dass es sich um eine Existenzbedrohung handelt. Nicht um ein Problem, einen Schwächeanfall, eine Delle, einen vorübergehenden Einbruch. Und alle wissen das nicht erst seit vorgestern, sondern seit 2008. Seit dem Sündenfall der UBS.
Die Schockstarre
Was haben wir seither vom Finanzplatz Schweiz, von seiner Regierung gehört? «Das Bankgeheimnis ist nicht verhandelbar. Mit einer „too big to fail“-Ausnahme ist das Problem erledigt. Da kommt nichts nach. Darüber müssen wir uns keine Sorgen mehr machen. Da ist alles auf gutem Weg. Das haben wir vertraglich neu geregelt. Das wird uns nicht mehr passieren. Das ist Vergangenheit.» Aber weil das alles falsch und unsinnig ist, Ausdruck einer unverständlichen Schockstarre, Vogel-Strauss-Politik, ist nichts vergangen. Heute sind alle Probleme so ungelöst wie vor vier Jahren.
Wer vier Jahre lang nichts gegen eine existenzbedrohende Gefahr unternimmt, ist verloren. Nur weiss er es offenbar noch nicht. Erst wenn die Blackberrys verstummen, die Pochettli aus der Tasche fallen und die Bildschirme in den Bankpalästen dunkel werden, beginnt Heulen und Zähneklappern. Nicht nur bei Bankern.