Statt sich aufs Altenteil zurückzuziehen, steigen pensionierte Publikumslieblinge jetzt wieder auf die Bühne.
Es ist dunkel draussen, kalt, die Weihnachtsbeleuchtung glitzert und Abertausende von Kaufwilligen sind in der Innenstadt unterwegs. Es käme einem nicht in den Sinn, dass Pandemie herrscht und dass eine neue Version von Covid unterwegs ist, wenn da nicht im Eingang der Zertifikats-Prüfer streng darüber wachen würde, wen er reinlässt und wen nicht. Katja Früh, Theater-, Fernseh- und Kolumnenautorin, wird durchgewinkt. Und jetzt sitzen wir in einer Ecke der Kronenhalle-Bar. Gedämpftes Licht, ruhige Gäste, warm, gediegen. Eine Oase.
So eine Oase hatten sich auch ein paar Schauspieler gewünscht, die in die Jahre gekommen sind und statt der Bühne nun ein anderes Zuhause suchen, eine Kuschelnische, um zusammen alt zu werden. Für sie reicht die Ecke in der Kronenhalle-Bar natürlich nicht. Zwei Nummern grösser sollte es schon sein. Ein ganzes Haus, in dem sie wohnen, leben und hin und wieder auch noch Theater spielen können. So was wie die Casa Verdi in Mailand, dieses legendäre Altersheim für jene, die ihr Leben auf der Bühne oder im Orchester der Scala verbracht haben.
Alters-WG für Schauspieler
«Adrian Marthaler gehörte zu den Initianten dieses Projekts», erzählt Katja Früh nun am Ecktisch in der Kronenhalle-Bar. Dem langjährigen Fernseh-Regisseur war diese Schauspieler-Alters-WG ein Anliegen. «Aber die Idee hat sich zerschlagen, nachdem sie das Haus, das sie ins Auge gefasst hatten, nicht bekommen haben. Es ist einfach nicht genug Geld zusammengekommen.»
Überlebt hat aber die Idee. Und wenn es schon kein Haus sein soll, dann wenigstens ein Theaterstück. Eines, in dem jene die Hauptrollen spielen, die jahrelang auf der Bühne des Pfauen standen oder in Basel oder sonstwo. Charaktertypen, die zu Publikumslieblingen geworden sind und die nun sang- und klanglos abtreten mussten, weil Jüngere gefragt waren. Nicht unbedingt vom Publikum, wohl aber von den neuen Regisseuren und Theaterleitern, denen vor allem junges Theater vorschwebt.
Urs Bihler gehört zu dem kleinen Ensemble, das sich zusammengefunden hat, auch Klaus Henner Russius, Maja Stolle und Suzanne Thommen. Hansrudolf Twerenbold ist dabei und der unvergleichlich schrullige Siggi Schwientek. Klaus Hemmerle führt Regie. Für diese Theater-Oldies hat Katja Früh ein Stück geschrieben. «Addio Amor» heisst es.
«Als die Crew um Adrian Marthaler die Schauspieler anfragte, ob sie an dem Projekt mitmachen wollen, haben alle gleich auf die erste Anfrage hin zugesagt. Als ob sie auf so etwas gewartet hätten», sagt Katja Früh, die erst etwas später zu dem Projekt gestossen ist. So gab es also bereits ein Ensemble und eine Grundidee für das Stück, als Früh sich ans Schreiben machte. «Ich habe mit allen Schauspielerinnen und Schauspielern lange Gespräche geführt und alle haben mir sehr viel erzählt, sie sind sehr offen gewesen.»
Dem Ensemble auf den Leib geschrieben
Katja Früh kannte sie von früher her, was den Zugang wohl auch erleichtert hat. «Sie haben aus ihrem Leben berichtet, welche Erkenntnisse sie daraus gezogen und was sie sich überlegt haben. Ich schreibe gern für Schauspieler, die ich kenne. Ich habe dann den Klang schon im Ohr, ich weiss, wie sie sprechen, und ich kann mir vorstellen, wie das wirkt, was ich ihnen gewissermassen auf den Leib schreibe. Aus diesen Lebensgeschichten habe ich eine Komödie gemacht. Oder eine Tragödie? Man kann eigentlich nicht genau sagen, was es geworden ist», meint Katja Früh.
Neben den älteren Herrschaften auf der Bühne gibt es auch eine junge Schauspielerin. Es ist Lisa Baerenbold, Katja Frühs Tochter, die nun die Betreuerin der Alten spielt. «Das ist zwar eher Zufall», meint Katja Früh fast entschuldigend. «Das war zunächst nicht so vorgesehen, sondern ein Wunsch des Regisseurs. Er wollte in dem Alters-Panoptikum noch eine junge Frau drin haben.»
Das Stück spielt an ein paar Tagen im Aufenthaltsraum dieser Schauspieler-Alters-Pension. «Das ist dramaturgisch relativ schwierig, weil alle Personen gleichzeitig in einem Raum sind, und die Geschehnisse auf der Bühne lassen sie mal hierhin, mal dorthin schauen. Wir sind jetzt in den Endproben und gespannt, ob das funktioniert.»
Vom Kulturmarkt zum Casinotheater und weiter
Gespielt wird übrigens zunächst im Kulturmarkt in Zürich. «Das ist ein phantastisches Haus», schwärmt Katja Früh. Dieses Gebäude ist eine turmlose reformierte Kirche in Wiedikon, die immer noch von einer italienischsprachigen Gemeinde genutzt wird. «Mittags ist es ein Restaurant, in dem Leute aus dem Quartier ziemlich günstig und gut essen und sich treffen können, abends gibt es Veranstaltungen.» Es war Adrian Marthalers Idee, das Stück dort aufzuführen. «Als wir das erste Mal dort hingekommen sind, um die Räumlichkeiten zu besichtigen, waren wir völlig verblüfft. So etwas findet man nirgends: grosse Proberäume, eine riesige Bühne und technisch ist auch alles vorhanden.»
Nach einer Reihe von Aufführungen in Zürich geht «Addio Amor» auf Reisen und wird auch noch an anderen Orten gezeigt. Vorgesehen sind unter anderem Gastspiele in Winterthur, Liechtenstein, Baden, Aarau und Chur.
Während «Addio Amor» nun seinen Weg über die verschiedenen Bühnen geht, ist Katja Früh bereits mit dem nächsten Projekt fast fertig. «Das Casinotheater Winterthur feiert sein 20-jähriges Jubiläum und führt ein Stück auf mit vielen Comedians wie Mike Müller, Viktor Giacobbo, Patrick Frey oder Lara Stoll. Das soll im März herauskommen und ich glaube, das wird ganz lustig. Ich bin aber auch gespannt, denn mit Kabarettisten zu arbeiten ist wieder anders als mit Schauspielern.» Weil sie sich gerade auch textlich selber noch mit einbringen wollen? «Sie sagen es», meint Katja Früh nur, lächelt und trägt es mit Fassung. Dann geht’s wieder raus in die Kälte und Katja Früh verschwindet in den Fussgängerströmen. Addio Katja!
Addio Amor: 1. bis 11. Dezember 2021, Kulturmarkt Zürich
dann an anderen Orten
Infos: www.addioamor.ch