Am Sonntag gingen in Paris mindestens 500‘000 Menschen dagegen auf die Strasse.
Ab Ende Januar wird der umstrittene Gesetzestext über die Homo-Ehe, der auch die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare vorsieht, in beiden Kammern des französischen Parlaments diskutiert werden. Für den neu gewählten sozialistischen Präsidenten, François Hollande, schien diese gesellschaftspolitische Reform im vergangenen Frühjahr nicht mehr als eine Pflichtübung, von der die meisten in seinem Umfeld glaubten, er könne sie ohne viel Federlesen über die Bühne bringen.
Doch von wegen.
Denn mitten im Ferienmonat August 2012 begann die Lobby der französischen Katholiken den Finger zu heben und machte in den Monaten danach und bis zur gestrigen Grossdemonstration zur Überraschung vieler deutlich, dass sie sehr wohl noch existiert - auch wenn Frankreichs Kirchen hoffnungslos leer sind und die wenigen verbliebenen Priester, vor allem auf dem Land, kaum noch wissen, wo ihnen der Kopf steht und wie sie manchmal ein Dutzend Kirchgemeinden gleichzeitig bedienen sollen.
Zu Mariä Himmelfahrt, am 15. August, ein Tag an dem ganz Frankreich alljährlich im sommerlichen Taumel versunken ist, holte die Hierarchie der katholischen Kirche das grosse Geschütz hervor.
Der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz und Erzbischof von Pairs, Kardinal André Vingt-Trois - ein Familienname, der ihn wohl zum Papst prädestinieren sollte - zögerte damals nicht, in einem Hirtenbrief seine Schäfchen aufzurufen, dafür zu beten, dass die Homo-Ehe in Frankreich nicht legalisiert werden möge.
Nach und nach machten dann auch die anderen Religionsgemeinschaften des Landes mobil und haben gestern entweder dezidiert zu der Demonstration aufgerufen oder klar zu verstehen gegeben, dass sie nichts dagegen hätten, wenn demonstriert wird - so etwa der Grossrabbiner, Gilles Bernheim, der Rat der Muslime Frankreichs oder die protestantische Kirche.
Drei Demonstrationszüge – mindestens 500‘00 Teilnehmer
Sie waren dann gestern von überall her gekommen, mehrere Zehntausend aus weit entfernten Regionen Frankreichs. Sie schwenkten Fahnen und Luftballons in Rosa und blau, man trug Lodenmäntel und ertrug die Techno-Musik der jungen Generation. Es war die eher besser situierte, obere Mittelschicht Frankreichs, die da sehr massiv mit bestem Schuhwerk auf die Strasse ging. Viele von ihnen zählten eher zum älteren Semester. Doch die katholischen Privatschulen, die insgesamt rund 2,5 Millionen Schüler unterrichten, hatten ganze Bataillone von Jugendlichen geschickt. Auffallend viele Familien waren mit ihren kleinen Kindern, oft in Orgelpfeiffen-Formation präsent, unter Spruchbändern wie: „Wir sind alle von Mann und Frau gemacht“ – oder: „Ein Vater, eine Mutter – es gibt nichts Besseres für ein Kind“.
Auch vertreten waren die militanten katholischen Integristen, die rechtsextreme Nationale Front mit Ausnahme von Parteichefin Le Pen und weit über hundert konservative Abgeordnete und Bürgermeister in ihren blau-weiss-roten Schärpen – von denen viele inzwischen ein Referendum zum Thema Homo-Ehe verlangen. Der schlecht gewählte UMP Chef Copé meinte, diese Demonstration sei ein Test für Präsident Hollande. Denn spätestens seit gestern sei klar, dass es Millionen Franzosen gibt, die über diese Reform sehr besorgt sind. Doch Präsident Hollande selbst hatte schon vor Tagen klargemacht, dass er nicht an einen Rückzieher denke – dieses Gesetz sei für ihn und Millionen Franzosen ein wichtiger Fortschritt, was die Gleichberechtigung angeht.
Maurice Szafran, der Direktor der liberalen Wochenzeitung „Marianne“, zeigte sich vom Ausmass dieser gesamten Bewegung des wertkonservativen Frankreichs in den letzten Wochen und Monaten überrascht. „Die Denker hinter dieser Bewegung, diejenigen die diese Bewegung im Grunde dirigieren, sind die Pfarrer und die Rabbiner im Land. Das ist ein echtes gesellschaftliches Phänomen und weit mehr als nur eine politische Angelegenheit. Diejenigen, die diese Bewegung ausgedehnt und am Leben erhalten haben, sind letztlich der Erzbischof von Lyon und der Erzbischof von Paris.“
Generalstabsmässige Planung
Schon in der Woche vor der gestrigen Grossdemonstration hatten brave Familienväter in Anzug und Krawatte nach der Arbeit an zahlreichen Metroausgängen in Paris hunderttausende Flugzettel verteilt für die gestrige Demo. Selbst im multikulturellen Pariser Stadtviertel Barbes standen sie neben den verzweifelten Drogenabhängigen am oberen Ende der Rolltreppe, wo sie auch so manchem Salafisten begegnen konnten und verteilten ihre Handzettel. Sämtliche katholische Kirchengemeinden der 11-Millionen-Region Paris waren zum Teil generalstabsmässig mobilisiert, um Zehntausenden Demonstranten aus der Provinz Übernachtungsmöglichkeiten zu bieten. Frankreichs Katholiken haben sich seit 30 Jahren – als es unter Präsident Mitterrand darum ging, eine Reform der katholischen Privatschulen zu verhindern - nicht mehr so intensiv engagiert wie für die gestrige Demonstration. Der Präsident der Föderation der katholischen Familien Frankreichs sagte zum Beispiel unumwunden, dieser Gesetzesvorschlag sei schlicht verrückt und man müsse ihn unbedingt kippen.
Selbst der Vorsitzende des Verbands der vom Staat finanzierten katholischen Privatschulen hat in einem Brief an die Rektoren dieser Anstalten, die rund 2,5 Millionen Schüler unterrichten, gefordert, das Thema Homo-Ehe zu diskutieren, um die Position der katholischen Kirche deutlich zu machen. An vielen dieser Privatschulen wurde erst gar nicht lange gefackelt. An einer mussten alle Schüler einer Konferenz beiwohnen, auf der ein Redner eine Stunde lang erklärte, warum die Homo-Ehe gegen die Natur sei und der Anfang vom Ende der Familie schlechthin – als würden Homosexuelle, die verheiratet sind und Kinder adoptieren, jeden braven Katholiken und alle anderen zweigeschlechtlichen französischen Paare daran hindern, selbst Kinder zu zeugen.
In einer anderen katholischen Privatschule erhielten alle Schüler und Eltern mit den Schulnoten der ersten drei Monate auch einen Aufruf, an der gestrigen Demonstration teilzunehmen. Gewiss - im laizistischen Frankreich hagelte es dafür zwar Kritik, doch Eric de Labarre, der Vorsitzende des Verbands katholischer Privatschulen, steht zu seinem Appell. Er sagt, es sei nötig klarzumachen, dass dieses Gesetzesvorhaben in der Zukunft ein Risiko darstelle für die Erziehung der Kinder und jungen Menschen in diesem Land.
Das Thema „gleichgeschlechtliche Ehe“ ist nicht nur ein Anstoss zur Renaissance der katholischen Lobby Frankreichs. Es sorgt auch für einen Riss, der quer durch fast allen Parteien des Landes geht.
Die konservative Opposition wollte die Demonstration am Sonntag zu einer Anti-Hollande-Kundgebung umwandeln, doch bei weitem nicht alle in der UMP-Partei sind gegen die Homo-Ehe. Selbst die rechtsextreme Nationale Front hat keine einheitliche Position. Und nicht alle Sozialisten stehen unumwunden hinter dem Gesetzesvorschlag.
Präsident Hollande hatte vor der Grossdemonstration schon klargemacht, er werde diese gesellschaftspolitische Reform auf jeden Fall durchziehen und die Justizministerin unterstrich, die Politik des Landes werde nicht auf der Strasse gemacht.
„Die Abgeordneten“, so Christiane Taubira, „haben ein Mandat ihrer Wähler, sie werden zu ihrer Verantwortung stehen und wenn sie meinen, dass diese Demonstration gegen die Homo-Ehe es rechtfertigt, den Gesetzestext zurückzuziehen, dann werden sie das tun, aber ich glaube nicht daran.“
Auch Präsident Hollande hatte schon Tage vor der Grossdemonstration klargemacht, dass er nicht an einen Rückzieher denkt und betont, dieses Gesetz sei für ihn und für Millionen Franzosen ein wichtiger Fortschritt hinsichtlich der Gleichberechtigung für Homosexuelle.
Der Präsident, der in den letzten Monaten schon bei manchen seiner Vorhaben umgekippt ist, kann es sich kaum leisten, auch beim Wahlversprechen der Homo-Ehe zurückzurudern. Er muss sich allerdings wohl fragen lassen, ob es politisch sonderlich geschickt war, dieses Thema gleich im ersten Jahr seiner Amtszeit aufs Podest zu heben – ein Thema, das die französische Gesellschaft offensichtlich stärker spaltet, als erwartet. Auch wenn bei Meinungsumfragen 56 bis 60 % der Franzosen sagen, sie seien durchaus für die Homo-Ehe.
Vor allem aber sollten Frankreich und seine politischen Verantwortlichen jetzt vielleicht einer anderen Zahl aus einer dieser Meinungsumfragen Aufmerksamkeit schenken: Zwei Drittel der Franzosen sind der Meinung, dass dieses Thema in der öffentlichen Diskussion der letzten Wochen viel zu viel Raum eingenommen hat.