Die Kulturbotschaft des Bundesrates hält es finanziell mit den Superlativen. Von 2016 bis 2019 soll die Förderung annähernd 900 Mio Franken kosten. Das sind 112 Millionen oder 14 Prozent mehr als in der Periode von 2012 bis 2015. Der Zuwachs liegt 6.4 Prozent über der Finanzplanung. Die Zahlen sorgen für rote Köpfe sparsamer Politiker und für lange Gesichter generös denkender Kulturschaffender, die den Sprung über die Milliardengrenze als gebührlich erachtet hätten. Die Vernehmlassung läuft bis zum 19. September. 2015 kommt die Botschaft vors Parlament.
Staatskultur durch die Hintertüre?
Zunächst interessanter als die Fokussierung aufs Finanzielle ist die Frage, ob sich die Kultur mit ihren unverzichtbaren Individualisten, Querdenkern und Visionären sowie mit der unüberschaubaren Zahl staatlicher und privater Förderinstanzen überhaupt in eine brauchbare Planung einbinden lässt. Eigensinn, Chaos und Anarchie gehören zum Wesen der Kultur. Da könnten sich der Bundesrat und vor allem der Chef des EDI, die in unserem föderalistischen Land eine "nationale Kulturpolitik" anstreben, rasch im Kampf gegen Windmühlen zermürben. Noch schlimmer: Sie könnten die Freiheit der Kultur im Namen eines alles andere als notwendigen Planungsdiktats einschränken und der Staatskultur die Hintertüre öffnen. Noch ist es eine Angst.
Technokratische Züge als Vorboten staatlicher Interventionsgelüste sind der Kulturbotschaft nicht fremd. Sie trägt die Handschrift von Funktionären, die ihre Passion für geregelte Details ausleben und den Eindruck erwecken, Kultur sei steuerbar und verwaltbar wie ein Bundesamt.
Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist die jüngste offizielle Medienverlautbarung zur Kulturbotschaft mit dem Titel "Die Kulturpolitik des Bundes wird gestärkt". Die Überschrift "Der Bund stärkt die Kultur" hätte ungute Gefühle vermieden.
Romantische Gemeinplätze
Sachgerechter als eine sich über 127 Seiten erstreckende Botschaft wäre die Formulierung weniger Prinzipien sowie die prägnant begründete Spartenzuteilung der Kredite gewesen. Mit dem Vertiefungsgrad übertreibt es die Botschaft krass.
Strategisch hätte die Aufzählung der wichtigsten Ziele - in der Verwaltungssprache "zentrale Handlungsachsen" - genügt. Sie lauten "kulturelle Teilhabe", "gesellschaftlicher Zusammenhalt" und - als ob die Bedeutungsunterschiede klar wären - "Kreation und Innovation".
In der genaueren Umschreibung verlaufen die drei "zentralen Handlungsachsen" teilweise parallel, kreuzen sich mehrfach und führen zu romantischen Gemeinplätze, auf denen Mehrheiten und Minderheiten kulturdurchtränkt ihre Gegensätze überwinden und sich identitätsstiftend am friedseligen Dialog erbauen.
Behauptungen wie "Wer am kulturellen Leben teilnimmt, wird sich der eigenen kulturellen Prägungen bewusst, entwickelt eine eigene kulturelle Identität und trägt so zur kulturellen Vielfalt der Schweiz bei" sind zwar fein gedrechselt, aber falsch. Denn die kulturelle Vielfalt verdanken wir auch und gerade Persönlichkeiten, die sich vom Kulturleben fernhielten, dieses ablehnten, starrköpfig waren und künstlerisch Grossartiges schufen.
Wölfe im Schafspelz
Zwischen Hunderten von richtigen und auch banalen Feststellungen und Folgerungen finden sich scheinbar harmlose Sätze, die der Verwaltung jedoch ein weites Feld für Auslegungen öffnen und deshalb Wölfe im Schafspelz sind.
Zum Beispiel "Das BAK engagiert sich für die Anerkennung und die Aufwertung aller Kulturen in der Schweiz." Das klingt schön. Nur: Womit, bei wem und mit welchem Nachdruck kämpft das Kulturamt für dieses Postulat? Gilt seine Beachtung als Bürgerpflicht? Sind "alle Kulturen" im Visier, allesamt und ausnahmslos? Kann es nicht genügen, dass sämtliche Nationalitäten in der Schweiz ihre Kulturen wenigstens gegenseitig anerkennen? Braucht es über dieses Wunder hinaus auch noch die gegenseitige Aufwertung? Im zitierten Satz steckt unheimliches Potenzial.
Gleicherweise als fatal verrät sich die Bemerkung, das Kunst- und Kulturschaffen "bietet Reibungsflächen zur Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und fördert Diskussionen über Werte und Normen der Gesellschaft". Es ist erfreulich, das kulturelle Recht auf Unruhestiftung auch in einer bundesrätlichen Botschaft lesen zu können.
Doch dem liberalen Bekenntnis folgt im Nachsatz flugs die Staatsräson: "So unterstützt es die Entwicklung grundlegender Werte wie Gleichheit und Demokratie und ist ein wichtiger Faktor des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der kulturellen Identitätsbildung." Das heisst ausgedeutscht, dass Kunst und Kultur nur so lange alles in Frage stellen dürfen, als sie Gleichheit, Demokratie, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Identitätsstiftung nicht in Frage stellen. Wenn eine Staatskultur nicht gewollt ist, warum nur setzt sich die Botschaft diesem Verdacht aus?
Eine Fülle von Detailmassnahmen
Aus den "zentralen Handlungsachsen" leitet die Botschaft sechs wichtige Ziele ab. Der Schatz an Kulturgütern soll erhalten, ein vielfältiges und qualitativ hochstehendes Kulturangebot gefördert, die kulturelle Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen verbessert, der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Vielfalt gestärkt, der kulturelle Austausch mit dem Ausland gepflegt und ein Beitrag zur Attraktivität der Schweiz als Bildungs- und Wirtschaftsstandort geleistet werden.
Das ist schlechthin alles, was die Förderung wenn nicht erreichen, dann doch ins Auge fassen kann, auch das Maximum dessen, was die Kultur wenn nicht restlos zu erbringen vermag, ihr doch aufgebürdet werden darf. Die Ziele lesen sich wie eine Generalmobilmachung der kreativen und subventionierenden Kräfte.
Die Totalplanung wird auf weiteren sechzig Botschaftsseiten fortgesetzt für die einzelnen Förderbereiche von der visuellen Kunst über die Literatur, den Heimatschutz und die Volkskultur bis zum Beitrag an die Stadt Bern. Eine Detailmassnahme folgt der andern.
Neuerungen
Als hauptsächliche Neuerungen wird die Förderung der Übersetzungen zwischen den Landessprachen, der italienischen Sprache ausserhalb der italienischen Schweiz, des Lesens, der zeitgenössischen Baukultur, des Kulturaustausches im Inland und der Fahrenden intensiviert.
Neu sollen Produzenten mit dem Ziel unterstützt werden, ihre Filme nicht im Ausland, sondern vermehrt im eigenen Land zu realisieren.
Beabsichtigt ist, die Kunstsammlung des Bundes und der Gottfried-Keller-Stiftung als "virtuelle Nationalgalerie" ins Internet zu stellen.
Monokausale Betrachtungsweise
Die Botschaft setzt Akzente, bestimmt jedoch keine Prioritäten. Sie reduziert sich mithin auf einen Katalog. Die neueren die Kultur beeinflussenden Faktoren wie die Individualisierung der Gesellschaft, die Globalisierung, Digitalisierung und der demografische Wandel werden eher defensiv als Bedrohung wahrgenommen und nicht offensiv als chancenbietende Veränderungen.
Die Botschaft benennt die Ziele beliebig interpretierbar und verunmöglicht eine präzise Evaluation. Was dem Teufel das Weihwasser, ist der Kulturförderung die Messbarkeit ihrer Wirkung. Die methodischen Schwierigkeiten sind für die Fahrten ins Blaue keine Entschuldigung.
Jedenfalls müsste die Tatsache, dass in der Kultur immer und unabhängig von den verfügbaren staatlichen Subsidien Hervorragendes entstand, den Glauben ans Allheilmittel der Kreditaufstockung erschüttern. Insofern mangelt der Botschaft, worauf sie fördernd hinaus will, nämlich das Innovative.
Sie beurteilt tatsächliche oder vermeintliche kulturelle Defizite und störende Entwicklungen generell als durch Geldknappheit verursacht, weshalb das Bundes-Füllhorn vergrössert und die Ausschüttung beschleunigt werden muss. Die Botschaft sichert der traditionell monokausalen Betrachtungsweise für weitere vier Jahre den kostspieligen Vorrang.