Total pünktlich kommt sie angesaust – und wundert sich selbst ein bisschen drüber. Denn zwischen der Probe und unserem Gespräch hat sie auf halbem Weg schnell noch eine Massage eingeschaltet … die Schultern, der Nacken … und draussen die Kälte, zumindest an diesem Tag noch … aber nun ist alles aufgelockert und Diana Damrau schält sich aus dem silbergrauen Daunenmantel heraus.
Jetzt wird es ernst
Diana Damrau ist ein Star. Sie tritt auf den ganz grossen Bühnen auf, an der Seite der berühmtesten Sänger, die ihrerseits wieder stolz sind, wenn sie als Partner der wunderbaren Damrau engagiert werden.
Nun tritt sie auf einer vergleichsweise kleinen Bühne auf, zumindest was die räumlichen Dimensionen betrifft. Im Opernhaus Zürich debütiert sie in einer neuen Rolle, als «Maria Stuarda» von Gaetano Donizetti. Kein leichtes Geträller, sondern ein Schwergewicht von Rolle. «Ich habe ‘Maria Stuarda’ ein paarmal als Zuschauerin gesehen und natürlich die DVDs angeschaut, die es davon gibt. Ich beschäftige mich also schon seit Jahren mit dem Stück.» Aus sicherer Distanz. Jetzt aber wird es ernst. «Wir spielen die überarbeitete Neufassung des Urtextes und die unterscheidet sich von einigen Interpretationen, die man kennt. Also zum Beispiel die erste Arie ist ganz anders aufgebaut. Im zweiten, schnelleren Teil kommen am Schluss noch viele Koloraturen dazu, die Gruberova, Sutherland oder Caballé in ihren Aufnahmen nicht hatten.» Dann lacht sie. «Naja, die eine oder andere Koloratur habe ich beim Hinhören trotzdem entdeckt …»
Zwei Diven, die sich ankeifen
Die Geschichte der Maria Stuart ist natürlich auch für die Oper ein gefundenes Fressen. Gleich nach dem Tod der Maria Stuart haben sich verschiedene Künstler mit dem Thema befasst. Auch Friedrich Schiller hatte den Stoff zu einem Drama verarbeitet und 1800 fand in Weimar die Uraufführung statt. 35 Jahre später wurde die Opernversion durch Gaetano Donizetti in der Mailänder Scala zum ersten Mal aufgeführt. Es geht um Maria Stuart, Königin von Schottland, und ihre Rivalin, Elisabeth I., Königin von England. Und das Drama endet mit der Hinrichtung von Maria Stuart.
«Im Stück, und folglich auch in der Oper, kommt eine Begegnung zwischen den beiden Königinnen vor, die es in Wirklichkeit gar nicht gab», erzählt Diana Damrau. «Aber es ist natürlich ein ganz toller Plot … Wer freut sich nicht, wenn sich zwei Diven auf der Bühne gegenseitig ankeifen …!» Diana Damrau lacht sich fast kaputt und ihr Lachen ist extrem ansteckend, trotz der düsteren Geschichte. «Theatralisch gesehen ist das ein Coup!»
Dann wird sie wieder ernst. «Man überlegt sich natürlich, wie das ist: Maria erfuhr am Abend vorher, dass sie durch ihre Cousine, Elisabeth I., zum Tode verurteilt wurde. Man kann nachlesen, dass sie darüber unglaublich erschüttert war, vor allem, weil Elisabeth das Urteil persönlich unterzeichnet hatte. Ja, was geht dann in einem Menschen vor … wie würde sich wohl Maria, die ja auch eine Königin ist, verhalten … bis zum letzten Moment macht sie Politik, auch ihren katholischen Glauben verfechtend. Da gibt es diese drei Pfeiler, auf denen Marias Geschick beruht: ihr Glaube, ihre Liebe zu Leicester, der ihre einzige Hoffnung ist, und ihr Geburtsrecht als Königin.» Diana Damrau versetzt sich tief in die Lebensgeschichte der Maria Stuart – und auch in die Musik. «Die Musik kannte ich ja schon, aber welche Feinheiten, welche Doppelbödigkeiten Donizetti hineingelegt hat, ist unglaublich. Neben der Konfrontationsszene zwischen den beiden Königinnen ist die grosse Szene im zweiten Akt, wenn Maria zum Schafott geht, das Kernstück der Oper. Da gibt es nur noch Gänsehaut und Spannung … also das ist gigantisch!»
Work in progress
Eine neue Rolle ist auch für Diana Damrau immer wieder eine Herausforderung. «Es ist Belcanto, da muss ich sehen, zu was meine Stimme fähig ist.» In der Uraufführung hat die legendäre Maria Malibran die Maria gesungen, sie war ein Mezzosopran. Joyce DiDonato, ebenfalls Mezzosopran, hat die Maria an der Metropolitan Opera gesungen und nächstes Jahr folgt ihr Diana Damrau in dieser Rolle an die Met, allerdings dann in der Sopranfassung. «Auf jeden Fall bin ich jetzt erst noch am Suchen, wie ich die Rolle gestalte und das ist auch mit der Premiere nicht abgeschlossen, das bleibt ‘work in progress’ ...!» Diana Damrau lacht … und man denkt: das wird schon klappen. Es sei jedenfalls keine Rolle, die am Anfang einer Karriere steht, da sollte man schon ein bisschen älter sein, es sei eine richtige Frauenrolle, und man sollte sich auch schon mit Belcanto befasst haben. «Insofern bin ich stimmlich in einem guten Fahrwasser, ich habe die Basis und weiss, wie ich damit umgehen kann.»
Und das ist gut so, weil es noch eine weitere Herausforderung gibt. «Wir singen heute fast einen Ton höher als die Sängerinnen und Sänger damals, als die Stücke für sie geschrieben wurden. Die Praxis hat es mit sich gebracht, dass heute jeder noch ein bisschen brillanter klingen will als der andere, dann dreht man halt immer noch ein bisschen höher und höher … (in Wien singt man übrigens am allerhöchsten). Durch diese Tonlage ist es ist fast nicht möglich, Stücke wie ‘Maria Stuarda’ ohne Strich zu singen, weil das brutal anstrengend wird.»
Nach welchen Gesichtspunkten sucht sich Diana Damrau denn die Rollen aus, die sie, wie jetzt Maria Stuarda, neu in ihr Repertoire aufnimmt? «Eigentlich spielt da alles zusammen. Ist das Stück schauspielerisch interessant? Und vor allem: Mag ich die Musik? Ich wurde immer wieder gefragt, warum ich die ‘Lulu’ nicht singe und antworte: Ich mag sie einfach nicht! Das sollen andere singen. Ich suche immer etwas – und das klingt jetzt vielleicht etwas doof – das mich inspiriert. Bei mir wird es mit Richard Strauss weitergehen, die ‘vier letzten Lieder’ singe ich bereits. Da geht es um die grossen Bögen, um den Gehalt und die Ruhe, die man vielleicht in jungen Jahren noch nicht hat, es geht darum, den Überblick und die Kontrolle zu bewahren und trotzdem feinfühlig zu bleiben und etwas gestalten zu können. Bei einem Koloratur-Sopran in Komödien ist Schnelligkeit alles, und da muss man schon aufpassen ... uffff … jetzt, bei den ernsteren Stücken, hat man eine Unmenge Zeit. Ich muss gar nichts machen. Das ist auch mal schön!» Und wieder lacht sie ihr unvergleichliches Lachen … ihr Markenzeichen, neben der Stimme natürlich …
Gesangssportliche Herausforderung
Regelmässig stehen bei Diana Damrau auch immer wieder Liederabende auf dem Programm. Erst kürzlich war sie zusammen mit Jonas Kaufmann auf Tour. Sind Liederabende für sie einfacher oder sogar schwieriger als Open? «Es ist beides schwer», sagt sie. «In der Oper kommen noch die Kostüme dazu und manchmal auch ‘sportlich’ anspruchsvollere Stücke.» Sportlich anspruchsvoller? «Ja, ‘gesangssportlich’! Beim Belcanto ist es meistens die erste grosse Arie, das ist ein sportliches Ereignis mit Koloratur-Feuerwerk und Durchhalte-Vermögen. Und am Schluss gibt es noch eine grosse Arie, aber mit mehr Zeit, damit man sie auch kräftemässig schaffen kann.»
Vor allem aber habe die Oper den Vorteil, dass man in einen Charakter schlüpfen kann. «Man ist irgendwie geschützter. Im Liederabend ist man exponiert. Und da sieht man einiges, wenn man ins Publikum schaut: schlafende Leute, kritisierende Leute, glückliche Leute, entspannte Leute und solche, die total dabei sind und an jedem Wort hängen oder den Text mitlesen und tuscheln: …uhhh, das ist falsch, falsch …!» Nichts entgeht ihr, wenn sie auf der Bühne steht. «Und man kann auch mal jemanden direkt ansingen!»
Familienzirkus auf Wanderschaft
Ansingen kann sie in Zürich ihren Ehemann auf der Bühne: Nicolas Testé ist ebenfalls Sänger. Allzu oft stehen sie nicht gemeinsam auf der Bühne, nehmen aber gern Engagements in der gleichen Stadt an. So kann sich immer einer um die beiden Söhne kümmern, die auch von einem Engagement zum anderen mitreisen. «Wir schauen halt, dass die Familie zusammenbleibt und das ist wirklich schwer. Ich bin aber ein Familienmensch. Ich würde ausflippen, wenn ich nur für die Oper leben würde! Es ist wunderbar zu sehen, wie die Kinder heranwachsen und die Welt entdecken.»
Und wie geht das mit der Schule? «Sehr gut», sagt sie. «Die beiden besuchen die französische Schule in Berlin, München, Paris, New York oder wie jetzt auch in Zürich und haben überall das gleiche Schulprogramm und an jedem Ort ihre Freunde.» Organisatorisch ist das allerdings nicht immer ganz einfach. «Wenn auch noch eine Nanny dabei ist und wir vier, dann ist das schon ein kleiner Zirkus, der auf Wanderschaft geht!» Diana Damrau lacht aus tiefstem Herzen …
Wenn die beiden Söhne etwas grösser sind und die Schule anspruchsvoller wird, soll der Familienzirkus allerdings etwas sesshafter werden. Dann will Diana Damrau das Hauptquartier in Zürich aufschlagen. «Wir sind schon dabei, zu planen und unsere Zeit in Zürich zu erweitern», verrät sie und wird dann wohl auch öfters auf der Bühne des Opernhauses stehen.
Na dann: «Härzlich willkomme in Züri!»
Gaetano Donizetti
«Maria Stuarda»
Opernhaus Zürich
Premiere: 8. April 2018