Exklusiv berichtete letzte Woche die Londoner Boulevardzeitung „The Sun“, Königin Elisabeth II. befürworte den Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union: „Queen backs Brexit“. Unter Berufung auf eine „hochrangige politische Quelle“ schilderte das Blatt, wie Elisabeth II. bei einen Lunch in Windsor Castle 2011 gegenüber dem damaligen Vizepremier und Führer der Liberaldemokraten Nick Clegg ihre „leidenschaftlichen Gefühle zu Europa“ geäussert habe: „Andere Gäste waren sprachlos.“
Buckingham Palace hat die Story der „Sun“, die dem Verleger Rupert Murdoch gehört, umgehend dementiert und bei der Independent Press Standards Organisation (Ipso) Klage eingereicht. Die Queen, bekräftigte ein Sprecher des Palasts, bleibe „politisch neutral“, wie sie es seit 63 Jahren gewesen sei: „Wir kommentieren keine Behauptungen, die auf unkorrekten, anonymen Quellen beruhen. Es ist Sache des britischen Volkes, über das Referendum zu entscheiden.“
Nick Clegg, der angebliche oder mutmassliche Empfänger der königlichen Botschaft zu Brexit, bezeichnet die Geschichte der „Sun“ via Twitter als „Unsinn“. Auf jeden Fall, sagt der Politiker, könne er sich nicht daran erinnern, was er wohl könnte, hätte sich die 89-jährige Monarchin tatsächlich derart drastisch geäussert.
Die Zeitung indes steht hinter ihrer Geschichte und lässt verlauten, die Story basiere auf zwei makellosen Quellen und sei auf „robuste, verständliche Art“ präsentiert worden. Der Autor des Artikels berichtet, er habe am Tag vor der Publikation sowohl den Chefsprecher des Palastes als auch Nick Clegg kontaktiert. Doch die Antworten, die Tom Newton Dunn auf seine Fragen erhielt, waren seinem Verlag zufolge „Nicht-Dementi Dementis“.
Der Ipso und ihrem Vorsitzenden, dem früheren Richter Sir Alan Moses, obliegt es nun, im vorliegenden Fall einen wohl stark beachteten Entscheid zu fällen. Es steht, wie so oft, Aussage gegen Aussage. Doch nur eine Version stimmt. Zum einen hat sich „The Sun“ wiederholt mit Buckingham Palace angelegt, das letzte Mal im Sommer 2015, als das Blatt ein 17-sekündiges Filmfragment öffentlich machte, das zeigte, wie die siebenjährige Elisabeth, wohl zum Spass, den Hitler-Gruss übt. Die Queen nannte die Publikation „enttäuschend“. Zum andern wurde 2014 eine Bemerkung der Königin zum Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands allgemein so interpretiert, dass sie den Schritt ablehnte. Der Palast dementierte.
„The Sun“ wird sich vor der Ipso wohl darauf berufen, dass sie ihre Quellen schützt. Buckingham Palace dagegen dürfte Zeugen präsentieren, die dementieren, gehört zu haben, dass Elisabet II. 2011 einen Austritt Grossbritanniens aus der EU bejahte – lange bevor der Termin für das Referendum (23. Juni 2016) feststand und der Begriff „Brexit“ geprägt wurde.
Die Ipso wird entscheiden müssen, ob die Zeitung gegen Klausel 1 des Ehrenkodexes verstossen hat, der „ungenaue, irreführende oder verfälschte Informationen oder Bilder“ untersagt, einschliesslich „Schlagzeilen, die vom Text nicht gestützt werden“. Für die Kontrollinstanz, die 2014 als Folge des durch Murdoch-Blätter verursachten Telefonabhörskandals (an dem auch „The Sun“ beteiligt war) eingesetzt wurde, ist der Fall eine „lose-lose“-Situation. Für welche Seite auch immer die Ipso sich entscheidet, die Verliererin wird sich im Recht wähnen. Palast oder Boulevard, das ist hier die Frage.