Fast kein Tag vergeht, ohne dass in den USA ein bekannter Politiker, Schauspieler, Manager oder Journalist als sexueller Belästiger geoutet wird. Noch rätseln Kommentatoren, wo der Ursprung dieser Enthüllungswelle zu orten ist. Blieben Verfehlungen seinerzeit für Bill Clinton oder unlängst für Donald Trump noch folgenlos, so treffen sie Prominente heute ungleich härter. Sie treten zurück, verlieren Rollen, geben Posten auf oder werden entlassen.
Die jüngste Enthüllung trifft den landesweit populären Fernsehjournalisten Charlie Rose, der auf CBS eine Morgensendung co-moderierte und auf PBS Personen der Zeitgeschichte interviewte – das allerdings so nett, dass ein Fernsehkritiker der „New York Times“ schrieb, es gebe kein aufgeblasenes Ego, das Rose nicht noch stärker aufpumpen könne. Noch 2015 hatte der 75-Jährige Studenten der Georgetown University geraten, wofür sie sich am Ende ihres Lebens erinnert sehen sollten: „Es ist nicht Ehre. Es ist nicht Prestige. Es ist Charakter. Es ist Integrität. Es ist Wahrhaftigkeit. Es ist gutes Verhalten.“
All die guten Eigenschaften sind nicht der Stoff, aus dem einst die Nachrufe auf Charlie Rose sein werden. CBS News und PBS haben ihn gefeuert. Zwar hat sich der mehrfach preisgekrönte Fernsehmann öffentlich bei den acht Frauen entschuldigt hat, die ihm heute sexuelle Belästigung vorwerfen: „Ich war stets der Meinung, dass ich aufgrund gegenseitiger Gefühle gehandelt habe, auch wenn ich jetzt merke, dass das nicht stimmte.“ Doch ein überzeugendes Mea culpa tönt anders, wie denn gemäss einem amerikanischen Psychologen kaum einer der übrigen prominenten Belästiger seine Opfer auch nur halbwegs adäquat um Verzeihung gebeten hat: „Die Entschuldigungen waren schrecklich.“
Eine positive Rolle im ganzen Schlamassel spielen immerhin die Medien. Sie haben sich nicht gescheut, auch über Mitglieder der eigenen Zunft, egal ob liberaler oder konservativer Geisteshaltung, ausführlich zu berichten. Dabei haben die Pressevertreter nicht von billigen News-Lecks profitiert, sondern akribisch recherchiert aufgrund der Aussagen von Frauen, deren Glaubwürdigkeit sie früher, auch aus politischen Erwägungen, noch in Frage gestellt hätten – siehe etwa Bill Clinton. Charlie Rose ist eine journalistische Tugend zum Verhängnis geworden, die er selbst als Fernsehmann zu selten praktiziert hat: der Drang, auch unangenehme Fragen zu stellen und ein Gegenüber aufgrund harter Fakten in Bedrängnis zu bringen.