Zuerst der nostalgische Rückblick. Als die Luft noch sauber und der Sex schmutzig war, machte ein Börsengang Sinn. Eine Firma hatte ein Geschäftsmodell entwickelt, das in der Praxis funktionierte. Nun brauchte sie finanziellen Schub, um zu expandieren. Ihre Besitzer wollten sich aber nicht von einem oder wenigen Grossinvestoren das Heft und zukünftige Profite aus der Hand nehmen lassen. Also gingen sie auf den Marktplatz, der seit dem 14. Jahrhundert Börse heisst. Hier treffen Unternehmer, die Geld benötigen, auf Investoren, die Geld anbieten. Allen Beteiligten ist dabei klar, dass es einen langen Atem braucht, wenn man wissen will, ob eine Investition in zukünftige Gewinnmöglichkeiten sich als sinnvoll oder als Flop erweisen wird. Saubere Sache.
Die erste Perversion
Was viele überraschen mag: Es ist einer Firma unbenommen, ohne Umweg über Banken an die Börse zu gehen. Es ist einer Firma unbenommen, Anteilscheine am Unternehmen, nichts anderes sind Aktien, auf jede beliebige Art, natürlich auch ausserhalb der Börse, unters Volk zu bringen. Würde sich bei einem sozialen Netzwerk mit immerhin 900 Millionen Mitgliedern geradezu aufdrängen. Wenn da die versammelten Bankster der Welt nicht mit aller Stimmkraft krähen würden: Um Himmelswillen, ganz schlechte Idee. Ihr braucht doch uns, um den Verkauf zu organisieren. Ihr braucht uns, damit ihr herausfindet, was ein einzelner Anteilschein Wert ist und wie viele überhaupt angeboten werden können. Und ihr braucht einen funktionierenden Marktplatz, wir empfehlen die modernste Börse der Welt, die Nasdaq. Richtiger Preis, freier Handel nach Angebot und Nachfrage, der flutscht, so geht das. Deshalb nennen wir das auch nicht mehr Börsengang, sondern wichtigtuerisch IPO, das schmeckt so schön nach Wissenschaft. Da bringen wir unser geballtes Fachwissen ein und bestimmen wie bei der Zahl Pi den genauen Wert des Anteilscheins auf den Bruchteil genau. Alles Pipifax.
Die zweite Perversion
Schon alleine an diesen schweisstreibenden und hochwissenschaftlichen Berechnungen des Preises und der Anzahl zu verteilender Aktien verdiente sich ein Bankenkonsortium mit 33 Beteiligten, die Creme de la Creme der Finanzbranche, schlappe 175 Millionen Dollar. Und die Nasdaq bietet ihre Dienstleistungen, ein rein computergestützter Handel, bei dem die einzige Schwachstelle, der Faktor Mensch, endlich ausgeschaltet ist, auch nicht gratis an. Sondern kassiert, up front versteht sich, fette Gebühren. Aber etwas Geld sollte es einem schon Wert sein, dass man mit dem einzig richtigen Ausgabepreis, 38 Dollar, auf dem besten Marktplatz der Welt, Nasdaq, mit dem Handel beginnen kann. Um Punkt 17.00 Uhr Schweizer Ortszeit. Pipifax.
Die dritte Perversion
Es ist auch nicht so, dass erst Freitag letzter Woche, wenn alles funktioniert hätte, um Schlag 17.00 Uhr der Handel mit Facebook-Aktien begonnen hätte. Natürlich wurden schon vorher ausgewählten Kunden, Grossanlegern, Fonds, Banken, grössere Pakete angeboten. Kann nach einer exakten wissenschaftlichen Bestimmung des Preises eigentlich nichts schief gehen. Im Gegenteil, wer für 38 Dollar kaufen kann, macht ja garantiert einen netten und schnellen Extraprofit nach Banksterart, wenn er seine Aktien angesichts einer sicheren überbordenden Nachfrage für 39, 40 oder gar 50 Dollar losschlagen kann. Pipifax.
Die vierte Perversion
Es ist auch nicht so, dass alle Bankster blöd sind. Wer sich vom Gedöns der Analysten nicht einlullen liess, wettete auf einen sinkenden Kurs. Kinderleicht: Ich verspreche dir, morgen Aktien für 38 Dollar zu verkaufen. Du spekulierst darauf, dass du sie sofort für 40 lossschlagen kannst, ich gehe davon aus, dass ich sie für 36 einkaufen werde. Was hat das mit dem Wert von Facebook, einem langfristigen Anlagehorizont, dem Erwarten zukünftiger Gewinne zu tun? Natürlich nichts, es ist das übliche Nullsummenspiel wie bei jeder Wette. Was einer gewinnt, verliert ein anderer, Wertschöpfung Null, nada. Pipifax.
Die fünfte Perversion
Wenn ich schon die Möglichkeit habe, zu spekulieren, wieso soll ich das eigentlich nur mit eigenem Geld machen? Für jedes Finanzinstitut ist bekanntlich Geld faktisch gratis. Ich besorge mir bei der Notenbank Kohle, muss dafür nicht mal mit der Schubkarre oder dem gepanzerten Geldtransporter vorfahren. Zwei, drei Klicks, und ich habe genügend Spielgeld, mit dem ich hebeln kann. Mache ich mit 10 eigenen und 90 geliehenen Franken nur zehn Prozent Gewinn, dann zahle ich die 90 Franken zurück und habe eine Eigenkapitalrendite von knapp 100 Prozent erzielt, soll mir mal einer nachmachen. Und weil ich so gut bin, ist es selbstverständlich, dass ich für diese übermenschliche Leistung persönlich mindestens 5 Prozent Bonus abkassiere, ist doch bescheiden. Oder noch besser, mein Bonus ist nicht gewinn-, sondern umsatzabhängig, dann kriege ich ihn auch, wenn meine Wette in die Hose gegangen ist. Schliesslich war meine Leistung wie auch immer übermenschlich. Pipifax.
Die letzte Perversion
Ob das Geschäftsmodell von Facebook in der Zukunft Gewinne generieren wird (oder nicht), weiss man im Rahmen eines in der Realwelt immer noch üblichen Payback-Zeitrahmens von fünf Jahren. So in zwei Jahren sollte man erste fundierte Indikatoren haben, ob das Teil nachhaltig funktioniert oder eben nicht. Da aber zwar wohlbezahlte, jedoch unfähige und hyperventilierende Analysten nur von Tag zu Tag denken und für sie die eine Woche, die Facebook nun an der Börse ist, wohl den maximal denkbaren Zeitrahmen darstellt, reden sie die Aktie mit der gleichen Energie runter, mit der sie sie vorher gehypt haben. Pipifax.