Er hat es diesmal zwar nicht selber erfunden, aber er hat kürzlich empört auf den Missstand hingewiesen – messerscharf und wortgewaltig, wie er das ja brillant beherrscht. Im April dieses Jahres beschwerte sich Roger Schawinski im Blog des Online-Portals persoenlich.com unter dem Titel „Ich will diese Schmuggelware nicht!“ über kiloweise Prospekte, die er jeweils am Sonntag mit seinen vier abonnierten Sonntagszeitungen aus dem Briefkasten zieht – und in unverhaltenem Zorn ungelesen entsorgt.
Schawinskis Sonntagsärger blüht indes den meisten Zeitungslesern die ganze Woche über. Ungeachtet der Sommerflaute, legt die unverlangte Prospektflut in jüngster Zeit noch zu.
So überquillt etwa das im Hause Tamedia erscheinende „Tagblatt der Stadt Zürich“ selbst im heissesten Juli seit Jahren (genau am 24. des Monats) förmlich von Beilagen. Es sind diesmal sechs, vom Letzipark über das Bauhaus und Conforama bis zum Media-Markt, dazu der Interdiscount gleich im Doppel. Vergleicht man den Auftritt von Trägerorgan und Beilagen, so ist schnell klar: Das Erste dient lediglich als Container für unerwünschte Reklame. Hier der mathematische Beweis: Die fragliche Ausgabe des „Tagblatts“ wiegt insgesamt 320 Gramm, ohne Beilagen sind es gerade noch 75; der Umfang der Zeitung beträgt 44 Seiten, der der sechs Beilagen zusammen 120.
Der hübsche Trick des Tages-Anzeigers
Auch dem gefälligen Gratismagazin „Via“, mit dem die SBB ihre Kunden beglücken, liegen selbst im werbearmen Monat Juli zwei dicke Extras bei: das Wellness- und Freizeitmagazin „Fensterplatz“ mit 32 Seiten und die Kundenzeitschrift „astreaApotheke“ mit 48 Seiten Umfang – lauter unverhüllte Produktewerbung. „Via“ selbst bringt es in dieser Ausgabe gerade noch auf einen Umfang von 32 Seiten.
Doch die unerwünschten Reklame-Beilagen sind leider nicht nur ein Gratiszeitungs-Phänomen. Der „Tages-Anzeiger“, eine Bezahlzeitung mit hohem professionellen Anspruch, hält sich mit überbordenden Prospektpaketen vergleichsweise zurück. Als Ersatz hat man sich dort einen hübschen Trick einfallen lassen: Man reichert das Blatt mit sogenannten „Sonderbeilagen“ an, die sich frech als inhaltlichen Mehrwert aufspielen. Da ist dann jedes Thema willkommen, einmal „Die Frau“ generell, dann spezifisch die „Gesundheit der Frau“ und als nächstes, wenn wir schon dabei sind, die „Mundgesundheit“; einmal „Herz und Kreislauf“, dann „Cash and Credit Management“ oder auch „Digital Lifestyle“; nach „40 Plus“ folgt garantiert „50 Plus“ und droht auch schon „60 Plus“. So beliebig wie die Themen ist ihre Aufbereitung: dürftige PR-Texte mit Kaufappell. Wer das Angebot nicht nutzen will, kann an seinem Briefkasten gerne einen zweiten „Bitte keine Werbung!“-Kleber anbringen. Helfen wird das nichts.
"Mit oder ohne Müll?"
Selbst das ach so hochkarätige samstägliche „Magazin“ aus dem gleichen Haus ist sich nicht zu schade, sich als Prospektesel anzudienen. Da kann unser Geist lange Nahrung wollen (die uns das Produkt in seiner Werbung zu liefern verspricht) – was wir aus dem sonst so stilbewussten Heft an unverlangten Werbebroschüren herausschütteln, versorgt uns exakt mit dem Gegenteil.
So entsorgen denn landesweit Hunderttausende von Zeitungslesern täglich unbesehen Berge unverlangter Reklame. Abgesehen natürlich von den Werbern und den Verlagsmanagern, die alles aufmerksam durchblättern, aber nicht etwa aus Kaufinteresse, sondern lediglich aus Marketinggründen. Dass das sonst kein Mensch tut, hat ihnen offenbar noch niemand gesagt.
Da war der ehemalige Tamedia-Portier Bruno Klingler, heute 70, näher am Volk. 20 Jahre lang verkaufte der gelernte Koch im Nebenjob frühmorgens im Zürcher HB Zeitungen, in seiner unverwechselbaren Erscheinung und mit seinem monotonen Ruf „Züri-Ziitig? – Tagi?“ eine geradezu legendäre Figur. Bevor er ihnen die gewünschte Zeitung in die Hand drückte, fragte Klingler seine Klienten jeweils: „Mit oder ohne Müll?“ Acht oder neun von zehn Käufern verzichteten nach seiner Aussage dankend auf den ganzen Beilagensalat. Der respektable Berg refüsierter Reklame ging unauffällig zur Entsorgung zurück an die Tamedia. Ob dort den Auftraggebern ein Preisnachlass gewährt wurde, ist nicht bekannt.
Wegen des massiven Abonnenten- und Inserateschwunds kämpft die bezahlte Presse um ihre Existenz. Das ist hinlänglich bekannt. Nur die notorische Schwatzbase Sven Epiney auf Radio SRF1 verweist noch immer jeden Morgen ungerührt auf die Stimmen aus dem „Schweizer Blätterwald“. Könnte dem Mann, der sich Redaktor nennt, vielleicht jemand sagen, dass in seinem vermeintlichen Blätterwald seit Jahren Kahlschlag herrscht?
Fällig wäre eine Bürgerinitiative
Diese Tatsache freut den zahlenden Zeitungsabonnenten, der um den Preis journalistischer Qualitätsarbeit weiss, am allerwenigsten. Deshalb hier ein Vorschlag zur Güte: Wenn die Zeitungsverleger selber nicht auf die Idee kommen, das in der Werbung offenbar reichlich vorhandene Geld in die richtigen Kanäle zu leiten, nämlich in ihr Blatt, dann müssen wir ihnen dabei tatkräftig beistehen. Fällig ist jetzt eine Bürgerinitiative, die Unterschriften sammelt und den Verlegern mitteilt, dass die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen ihre abonnierte Bezahlzeitung fortan nur noch ohne beigelegte Prospekte zu empfangen wünschen und andernfalls mit aufrichtigem Bedauern auf eine Fortführung des Abos verzichten. Am besten mit Kopie an den Verband Schweizer Medien.