Die israelische Bevölkerung einschliesslich der Siedler in der Westbank und auf den Golanhöhen sowie die Jordanier haben am 22. und 23. Januar gewählt. Waren hier mehr als 3,7 Millionen Bürger jüdischer und arabischer Herkunft aufgerufen, über die 120 Sitze in der 19. Knesset zu entscheiden, so liessen sich in Jordanien 2,3 Millionen Bürger registrieren, um über die Zusammensetzung des 150-köpfigen Unterhauses zu befinden.
In beiden Ländern keine neuen Realitäten
Die Wahl in Jordanien zum 17. Parlament hat zum voraussichtlich letzten Mal die Kräfte des politischen Beharrens auf den alten Machtstrukturen bestätigt. Die regimetreuen Wähler und die Angehörigen der beduinischen Stämme aus den ländlichen Räumen werden bei einer Wahlbeteiligung von offiziell fast 57 Prozent weiterhin die überwältigende Mehrheit im neuen Parlament stellen. Damit ist die palästinensische Bevölkerungsmehrheit in den Städten schwerlich repräsentiert.
Der Ausgang in Israel mit einer Wahlbeteiligung von über 67 Prozent kann nicht überraschen. Dass, wie behauptet wurde, der Rechtsruck durch ein Patt ersetzt worden sei, das zu neuen politischen Hoffnungen Anlass gäbe, ist unbegründet. Rechts hat es lediglich einen Stimmenaustausch zugunsten Naftali Bennetts «Jüdischem Haus» zu Lasten des Bündnisses aus Benjamin Netanjahus «Likud» und Avigdor Liebermans «Unser Haus Israel» gegeben.
Das sogenannte Mitte-Links-Lager mit Shelly Yachimovich (Arbeitspartei), Zahava Galon («Meretz») und Tsipi Livni («Die Bewegung») hat programmatisch keinen gemeinsamen Nenner gefunden. Die drei arabischen Parteien, die «United Arab List – Taal», die «Demokratische Front für Frieden und Gleichheit – Hadash» sowie die «Nationaldemokratische Versammlung – Balad» werden auch diesmal auf den Oppositionsbänken landen; ihrem Stimmenzuwachs unter jüdischen Wählern, der besonders «Hadash» zugutekam, stand eine als enttäuschend empfundene Wahlbeteiligung im arabischen Sektor gegenüber.
Eine Zweistaatenregelung ist so weit wie eh und je entfernt, nur Galon und Livni haben sich (letztere mit Einschränkungen) offen dazu bekannt. Nachdem die Mehrheit der jüdischen Israelis der Auseinandersetzungen um die palästinensischen Gebiete überdrüssig geworden ist, dominiert die Sozial- und Wirtschaftspolitik mit Forderungen nach dem Ende der «schleichenden Enteignung» des Mittelstandes durch den aufgeblähten Militär- und Sicherheitshaushalt. Nach der Absage an die politische Mitte hat Israel eine veritable Identitätskrise zu gewärtigen.
Israel: Unklare Aussichten für Regierungsbildung
Gleichwohl lassen die Wahlergebnisse einige Unwägbarkeiten erkennen. Da ist zunächst die Frage, ob der Listenverbindung «Unser Haus Likud» Beständigkeit beschieden ist. Lieberman, dem in Kürze ein Verfahren wegen Korruption und Amtsmissbrauch droht, hat früh angekündigt, dass seine Partei nach dem 22. Januar in die Selbständigkeit zurückkehren werde. Kündigt er die parlamentarische Fraktionsgemeinschaft auf, steht Shimon Peres vor der heiklen Entscheidung, wen er mit der Regierungsbildung beauftragen soll. Denn die stärkste Fraktion wäre dann Yair Lapids «Es gibt eine Zukunft».
Die zweite Unbekannte folgt auf dem Fuss. Wird sich die Arbeitspartei tatsächlich einem Kabinett unter Netanjahu verweigern? Kann es sich Bennett leisten, mit den ultraorthodoxen «Sefardischen Thorawächtern (Shas)» und der Partei «United Torah Judaism» auf der Regierungsbank zu sitzen, nachdem ihn der spirituelle «Shas»-Mentor Ovadia Yosef vor wenigen Tagen als den Anführer einer «Partei von Nichtjuden» beschimpft hat? Anlass der Beschuldigung war Bennetts Forderung nach Einführung der Zivilehe und des öffentlichen Verkehrs am Shabbat sowie der Kürzung der Kinderzuschläge für orthodoxe Familien. Kann Netanjahu auf Bennett als Minister setzen? Würde dies ihn nicht international den letzten Kredit kosten, nachdem er öffentlich für die Annexion von 60 Prozent der Westbank plädiert hat?
Die Konstanten israelischer Politik liegen offen zu Tage. Netanjahus Status-quo-Instinkt kommt die Unterstützung durch Lapid höchst gelegen, der – wenn er vom Staat Israel spricht – das Territorium zwischen Mittelmeer und Jordan meint; da unterscheidet er sich von Bennett nur in der kämpferischen Rhetorik. Eher dürfte dem politisch unerfahrenen früheren TV-Moderator (und damit der verlässlichen Regierungsmitverantwortung) zum Verhängnis werden, dass seine Partei über keinen stabilen Apparat verfügt und ihn mithin das Schicksal der Organisationsschwäche von «Kadima» ereilen könnte, die von 28 auf 2 Mandate abstürzte.
Abdullah II. kämpft um seine Monarchie
Ähnlich dramatisch bieten sich die Herausforderungen in Jordanien dar: Es geht um die Zukunft des Königreichs, ausgelöst durch die demographischen Ungleichgewichte, das Stadt-Land-Gefälle sowie die ökonomischen Belastungen. Abdullah II. ist in den vergangenen Monaten nicht müde geworden, an die staatsbürgerliche Loyalität seiner Untertanen zu appellieren, nachdem zwei der drei Tabus gefallen sind: Nach den Rufen, der König möge abdanken, und im Zuge des Missbehagens über das beduinische Gefüge im hohen Offizierskorps hat nur der Islam als unantastbare Bastion im kollektiven Selbstverständnis Bestand.
Deshalb erschien es folgerichtig, dass der politische Arm der Moslembrüder, die palästinensisch geprägte «Islamische Aktionsfront», als stärkste Formation im oppositionellen Lager zum Boykott der Wahlen aufrief, nachdem die unter dem Eindruck des «arabischen Frühlings» ausgerufene Epoche politischer Reformen, zu denen ein neuer Zuschnitt der Wahlkreise zugunsten der bevölkerungsreichen Städte sowie das Ende von Korruption und Klientelismus gehört hätten, keine befriedigenden Ergebnisse geliefert hat.
Heute stehen die sorgsam gehüteten Prärogativen des Königshauses – die Berufung des nunmehr 77. Ministerpräsidenten, die verordnete Bedeutungslosigkeit des Parlaments, das Privileg bei Gesetzentwürfen, die Befehlsgewalt über das Militär sowie der strikte Vorbehalt in der Aussenpolitik – am öffentlichen Pranger. Ein hohes Gefährdungspotential geht überdies von den mittlerweile rund 300’000 syrischen Flüchtlingen aus, das auf die territoriale und politische Integrität des Landes durchschlagen könnte. Ob Abdullahs Angebot einer konstitutionellen Monarchie den systemisch bedingten Stillstand überwindet, dürfte höchst zweifelhaft sein, zumal da sich der König nicht auf die Rolle des Moderators einlassen, sondern an manchen Machtbefugnissen festhalten will.
Nachwirkender Verzicht König Husseins auf die Westbank
Jenseits des Rufs nach der Verbesserung der Lebensbedingungen der zwei Millionen palästinensischen Flüchtlinge von 1948 und 1967 mit ihren Nachkommen, von denen insgesamt nur noch 17 Prozent in Lagern leben, wird mit grosser Gewissheit der als fatal bewertete Entscheid König Husseins vom Juli 1988 neu thematisiert werden. Er hatte auf die Souveränität über die Westbank verzichtet und sie der PLO zu übergeben, die seit den Osloer Vereinbarungen am israelischen Regierungshandeln scheitert. Theodor Herzls Ruf an die jüdische Diaspora «Wir sind ein Volk, ein Volk» hat die Palästinenser diesseits und jenseits des Jordans erreicht.
Damit gerät wieder einmal das regionale und internationale Umfeld in den Blick. Wird Saudi-Arabien beim Nachbarn einen Abschied vom königlichen Autoritarismus tolerieren? Werden die USA der Ankündigung Barack Obamas vom 21. Januar politische Taten folgen lassen, weltweit – und damit auch in Jordanien – demokratische Entwicklungen zu fördern, statt dem Königreich allein die Funktion als weiterer strategischer Stabilitätsanker zuzumessen? Wie kann das Land ohne die ständigen Finanzhilfen und Entwicklungszusagen überleben, solange der Entfremdungsprozess im Innern nicht gestoppt wird?
Mit Israel teilt Jordanien das Schicksal von Ungewissheiten, die die Fundamente unterspülen.