Jedes Lager verschanzt sich in seinem Schützengraben. Jeder, der eine andere Meinung hat, wird diskreditiert und zum Feind aufgebaut.
Die Debattenkultur ist uns abhandengekommen. Wir haben verlernt, andere Meinungen abzuwägen und sich eventuell von einem anderen Argument überzeugen zu lassen. „Nein, ich habe recht, nur ich.“ Überzeugen kann man längst nicht mehr.
Podiumsdebatten verkommen zur Karikatur. Die Redner hören einander gar nicht mehr zu. Sie warten nur auf ihre Einsätze, und dann legen sie los mit ihrer Meinung. Auf den Vorredner eingehen – denkste.
Jeder brüllt nur seine Meinung in die Runde. Politische Diskussionen bestehen nur noch aus einem Aneinanderreihen von Monologen. Warum verlieren die Arena und der Club Publikum? Weil man dieses Ritual, dieses Abspulen festgefahrener Standpunkte nicht mehr erträgt.
Da gibt es eine Partei, die alles, was ihr nicht in den Kram passt, als „undemokratisch“ und „gegen das Volk“ vom Tisch fegt – reflexartig und pauschal. Man ist also, wenn man anderer Meinung ist, nicht nur ein Feind, sondern ein Volksverräter. Oft geht es gar nicht mehr Inhalte, oft ist alles nur noch eine Machtdemonstration.
Früher hatten wir die Illusion, dass das bessere Argument gewinnt. Oder dass man beurteilt, auslotet, abschätzt und aus verschiedenen Argumenten eine Art Kompromissargument entwickelt: These, Antithese, Synthese. Das ist längst vorbei.
Mit Argumenten kommt man nicht mehr an die Leute heran. Gegen andere Meinungen ist man immun, sie prallen ab wie die Regentropfen an einem Regenmantel. Man will andere Argumente gar nicht erst hören. Man müsste ja zu einer intellektuellen Arbeit fähig sein, um auf sie eingehen zu können. Es ist bequem, sich nicht mit andern Standpunkten befassen zu müssen.
Differenzierung ist nicht gefragt, alles ist schwarz oder weiss. Dass jemand vielleicht immerhin zu zwanzig oder dreissig Prozent recht haben könnte, wird nicht akzeptiert. Nein, was nicht meiner Meinung entspricht, ist falsch, total und komplett.
Sobald ein Konflikt da ist, scheinen Menschen einen Teil ihres Urteilsvermögens zu verlieren. Wer eine andere Meinung hat, wird als Feind wahrgenommen und nicht mehr als Mensch – als Mensch, der vielleicht auch gute Gründe für seine Meinung hat.