„Sie wollte wie Greta Garbo sein“, erzählt uns die Fotografin. Die Bernerin Olga Winkelmann war stolz darauf, fotografiert zu werden. „Sie schminkte sich und warf sich vor der Kamera fast schon in Pose, ihre Augen funkelten.“ Und so hätte wohl Greta Garbo ausgesehen, wäre sie hundert Jahre alt geworden.
Katja Snozzi startete ihr Projekt Anfang 2014. Damals lebten in der Schweiz 1504 Hundertjährige und ältere.
Die Fotografin kontaktierte Alters- und Pflegeheime. Sie wollte wissen, ob Hundertjährige Interesse und Lust hätten, fotografiert zu werden. Der Tessiner Nationalrat Ignazio Cassis, Präsident der Organisation „Curaviva.ch“ (Verband Heime und Institutionen), half ihr dabei.
Das Interesse war gross. „Meist waren es dann Angehörige der Hundertjährigen, die sich mit mir in Verbindung setzten“, erzählt die Fotografin. „Ich wurde mit offenen Armen empfangen, die Leute freuten sich auf meinen Besuch. Viele erzählten mir ihre Lebensgeschichte, Schönes, Lustiges, Trauriges.“
„So vergisst man mich wenigstens nicht“, sagte eine der Porträtierten. Eine andere führte ein hartes Leben weit hinten in einem Tessiner Tal. Jetzt wohnt sie glücklich in einem Heim. „Sie glauben es nicht“, sagte sie der Fotografin“, „jetzt macht jemand sogar das Bett für mich.“
Katja Snozzi hat ein langes Fotografenleben hinter sich. Sie lebte überall und fotografierte überall. Sie war auf dem Kilimandscharo. Sie fotografierte in Angola für das IKRK, in Äthiopien und Bangladesh für das Schweizerische Rote Kreuz, sie war in Syrien, im Irak in Libanon, sie fotografierte in Grenada, als die USA gerade ihre Invasion starteten. Sie war akkreditierte Bundeshausfotografin, Kriegsfotografin, Starfotografin bei Ringier und betrieb eine eigene Fotoagentur.
Und jetzt also die Hundertjährigen. Sie traf Menschen, die geistig fit wie Junge waren. Aber sie begegnete auch müden, betrübten und traurigen Menschen. Die hundert hier gezeigten Facetten eines lange gelebten Lebens strahlen Schönheit, Würde und Weisheit aus. Und viel Fröhlichkeit.
Katja Snozzi verwendete für ihre Schwarz-weiss-Aufnahmen kein Kunstlicht. Alle Bilder wurden bei Tageslicht aufgenommen.
Katja Snozzis Art zu fotografieren sei erstaunlich, schreibt alt Bundesrätin Ruth Dreifuss in einem Vorwort zu dem grossartigen Bildband. „Im Laufe des Gesprächs mit der Fotografin wählt die fotografierte Person Haltung, Gestik und Mimik selbst“, schreibt Dreifuss. „Die Fotografin ist auf der Lauer, wartet den Moment grösster Authentizität ab.“ Dann drückt sie ab.
Die Bilder der 1947 geborenen Katja Snozzi sind nie indiskret oder voyeuristisch. Man spürt eine tiefe Achtung der Fotografin vor diesen Menschen. Wie hat sich das lange Leben auf ihren Gesichtern niedergeschlagen. „Es ist ihre Würde, die sie vermitteln möchte“, schreibt Dreifuss.
Die Texte des Buches sind in den vier Landessprachen verfasst. Neben dem Vorwort von alt Bundesrätin Ruth Dreifuss haben Iso Camartin, Alex Capus, Alberto Nessi und Amélie Plume sehr persönliche Texte zum Thema Alter beigesteuert.
Katja Snozzi
Jahrhundertmenschen
Scheidegger & Spiess
152 Seiten
100 sw-Abbildungen 23x30 cm
Zürich, 2016
ISBN 978-3-85881-518-7
ca. CHF 64.--
Die hundert Fotos werden ab dem 27. November in einer Ausstellung im Museum „Vincenzo Vela“ in Ligornetto bei Mendrisio (TI) ausgestellt.