Ein Abgang mit Aplomb sollte es wohl werden. Diese Schweizer Erstaufführung aus der Feder des früheren Intendanten der Salzburger Festspiele und Komponisten Peter Ruzicka ans Ende von Delnons neunjähriger Intendanz am Basler Theater zu setzen, passte auch gut zu seiner sich immer wieder mit aktuellen Stoffen querlegenden Spielplan-Strategie. Dies neben allen Grosserfolgen, die in dieser Intendanten-Zeit vor allem auf dem Gebiet der Oper errungen worden waren. Basel wurde in der renommierten Kritikerumfrage der Zeitschrift „Opernwelt“ sogar zweimal zum „Opernhaus des Jahres“ gewählt (2009, 2010) , dazu noch der hervorragende Basler Theaterchor zum „Chor des Jahres“ (2013). Produktionen des Schauspiels wurden nach Berlin eingeladen, und das Ballett konnte sich in der internationalen Ballettszene weiterhin gut behaupten.
Zerzaustes Abschiedsbouquet
Georges Delnon wird ab kommender Spielzeit Intendant der Staatsoper Hamburg – ein grosser Karrieresprung, für den ihm sein treues Basler Publikum nur gute Wünsche mit auf den Weg gibt. Das Abschiedsbouquet aber hatten sich Presse und Publikum wohl etwas harmonischer vorgestellt. Denn dieses ist allzu zerzaust, weder revolutionär (Basels Musikfreunde sind in Sachen Neuer Musik sehr gebildet und aufgeschlossen) noch mitreissend, nicht verpatzt, aber auch nicht wirklich geglückt.
Der Stoff, aus dem hier die Töne quellen, besteht aus Sequenzen zu tiefgründigen Seinsfragen, abgeleitet von Friedrich Hölderlins Briefroman „Hyperion“ sowie dem fragmentarisch gebliebenen Dramenprojekt „Empedokles“, welche vom Librettisten Peter Mussbach in die Welt eines vom Untergang bedrohten Theaters versetzt wurden. Die Auseinandersetzung der 13 Ensemblemitglieder samt ihrem – quasi als Moderator durch das Stück führenden – Regisseur mit der drohenden Zerstörung des Hauses und somit ihrer Existenz ist ein einleuchtender, wenn auch nicht neuer Kunstgriff.
Fragen über Gegenwart und Zukunft
Die Bühne als pars pro toto für die Gesellschaft: Nun, das hat man auch in Basel nicht zuletzt - und ins Absurde getrieben - in Thomas Bernhards „Der Theatermacher“ gesehen. Doch Ruzicka und sein Librettist Peter Mussbach wollen an der Seite Hölderlins tiefer graben, wollen „Fragen über unsere Gegenwart und Zukunft stellen. Gibt es Hölderlin, sein Denken, in uns?“ Er kenne keinen Dichter, der für uns Heutige ähnlich bedeutsam sein könnte. Der Denkansatz ist faszinierend und gibt Raum für eine gross angelegte musikalische Umsetzung. Diese ist bei Ruzicka gespickt mit – gewollten - Zitaten nicht nur musikalischer Natur wie Sequenzen von Alban Berg.
Die Regie von Vera Nemirova fühlte sich leider bemüssigt, die Arbeitsweise von Regisseuren zu zitieren, was manchmal ins Peinliche ausartete. Da floss noch mehr Theaterblut, da wurde noch orgiastischer Sex betrieben, da erschien ein Knabe in der Zwangsjacke als Sinnbild von erlösender, aber ohnmöchtiger Unschuld wie bei Calixto Bieito etc. etc. – bis man argwöhnt, dass hier mächtige Bilderfindungen aus zweiter Hand vorgeführt werden.
Das Basler Sinfonieorchester mit verstärktem Schlagwerk wurde der komplizierten Partitur, soweit das bei einem hier erstaufgeführten Werk zu beurteilen möglich ist, sehr gerecht. Da wurden sowohl die lyrischen als auch hochdramatischen Passagen eingängig herausgearbeitet. Dasselbe lässt sich von allen Protagonisten und dem Theaterchor sagen, die sowohl szenisch als auch musikalisch ausserordentlich gefordert waren. Es hätte der Stringenz und dem Ablauf des Werkes sicher gut getan, einige Kürzungen vorzunehmen. So hielt das Publikum aber auch die 2 1/4 Stunden ohne Pause tapfer durch und dankte für die grosse Bühnenleistung mit langem, höflichen Applaus.
Peter Ruzicka (im Programmheft): „Vielleicht vermittelt der musikalische Schluss von „Hölderlin“ ja die Botschaft, dass es möglich ist, etwas lebenswahrheitlich Positives durch die Widerständigkeit des beschädigten Lebens gleichsam „hindurchzuzweifeln“.“ Und Hölderlin (in Empedokles): „Wir sind wie junge Adler, die der Vater aus dem Neste / jagt, dass sie in hohem Äther nach Beute suchen.“
Neue Basler Intendanz ab 2015/16
Die Beute wurde leider nur zum Teil geschlagen. Doch Georges Delnon sei trotzdem gedankt für eine weitere Möglichkeit, sich mit – trotz aller Vorbehalte – hochrangigem zeitgenössischen Musiktheater auseinanderzusetzen. Als sein Nachfolger als Basler Theater- und Schauspieldirektor ab Spielzeit 2015/16 wurde der deutsche Regisseur Andreas Beck berufen, der u.a. zeitgenössisches Musiktheater mit Karlheinz Stockhausen weiterführen will. Neue Operndirektorin wird die Amerikanerin Laura Berman.
Nächste Vorstellungen: 7., 12., 16., 17. Juni