Kann man den zunehmend autoritär herrschenden Putin mit Stalin oder Hitler vergleichen? Sind Russlands kaltblütige Annexion der Krim im vergangenen Jahr und die anhaltend verdeckte Intervention Moskaus in der Ostukraine nichts anderes als eine konsequente Fortsetzung der traditionellen russischen Territorialexpansion? In der bewegten Debatte zum Ukraine-Konflikt werden solche Analogien zwar vorgebracht, aber sie bleiben natürlich nicht unwidersprochen.
Eine interessante Kontroverse um diesen Komplex haben unlängst zwei Osteuropa-Historiker in der NZZ geführt. Der Bremer Politologe Jörg Himmelreich vertrat in einem weit ausholenden Essay die These, dass Putin an einem gemeinsamen europäischen Haus nicht mehr interessiert und allein auf die Ausdehnung seines Machtsystems fixiert sei. Dieses historisch verwurzelte Herrschaftssystem werde Russland noch auf lange Zeit hinaus dominieren.
Dieser kategorisch formulierten Sicht der Dinge widersprach der renommierte Russland- und Ukraine-Kenner Andreas Kappeler. Er argumentierte, dass die russische Geschichte keineswegs nur absolutistisch dominiert, seine „koloniale Expanison“ durchaus keine russische Besonderheit und seine „Bedrohungsneurose“ historisch gewiss nicht durchwegs unbegründet seien. Auch im heutigen Russland gebe es demokratisch orientierte Bewegungen mit historischen Wurzeln, die man im Westen nicht einfach als irrelevant beiseite wischen sollte. „Denn Russland ist nicht zur Despotie verdammt.“
Der Historiker Karl-Dietrich Bracher hat einmal festgestellt, geschichtliche Vergleiche seien selbstverständlich immer möglich und legitim – gerade durch solche Vergleiche würden ja gleichzeitig auch die Unterschiede deutlich. Das gilt auch für Analogien etwa zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus, zwischen Hitler und Napoleon oder zwischen dem russischen und dem amerikanischen Imperialismus. Wer also Putin mit Stalin vergleichen will, muss neben gewissen Parallelen und Kontinuitäten ebenso klarstellen, was die beiden russischen Herrscher voneinander unterscheidet. Nur so kommt man der Wahrheit näher.