Mit 4‘673 Delegierten aus 50 Bundesstaaten und 15‘000 Medienvertretern war das viertägige Treffen in „Philly“ erneut ein Mega-Event - fürs Fernsehen gemacht. Es war „free media“, Gratiswerbung zur besten Sendezeit. Doch anders als der Parteitag der Republikaner in Cleveland eine Woche zuvor war die Show der Demokraten in der Wells Fargo Arena, wo die Basketballer der Philadelphia 76er spielen, kreativer choreografiert und hochkarätiger besetzt, mit potenten Rednern und populären Künstlern auf dem Podium, wenn auch vor weniger patriotischer Kulisse.
Es sprachen First Lady Michelle und Präsident Barack Obama, Vizepräsident Joe Biden, Ex-Präsident Bill Clinton und Tochter Chelsea, Senatorin Elizabeth Warren, Schauspielerin Meryl Streep, New Yorks früher Bürgermeister Michael Bloomberg und – fast am wichtigsten – Senator Bernie Sanders, vom hartnäckigen Konkurrenten zum pragmatischen Unterstützer mutiert. Dessen Anhänger wollen einer Umfrage zufolge im Herbst zu 90 Prozent für Hillary Clinton stimmen, derweil die übrigen zehn Prozent „Berniestas“ ihren Unmut in der Arena und auf den Strassen Philadelphias unüberhörbar äusserten. Doch wie sagte Sanders selbst: "Es ist leicht zu buhen. Es ist aber schwieriger, euren Kindern in die Augen zu schauen, die unter einem Präsidenten Trump aufwachsen würden.“
"Sie haben nichts geopfert"
Es sprach auch Khizr Khan, ein Immigrant aus Pakistan, dessen 27-jähriger Sohn Humayun, Hauptmann der US-Armee, am 8. Juni 2004 im Irak starb, als er vor den Toren seines Stützpunkts in Baquba versuchte, einen Selbstmordattentäter aufzuhalten. Seine Soldaten, die er rechtzeitig warnen konnte, überlebten den Bombenanschlag. Humayun Khan, posthum mit höchsten militärischen Ehren ausgezeichnet, liegt auf dem Soldatenfriedhof in Arlington (Virginia) begraben.
„Wenn es nach Donald Trump gegangen wäre, mein Sohn wäre nie nach Amerika gekommen“, sagte Khizr Khan, während ihn seine Frau Ghazala, ganz in Blau gekleidet, am Rednerpult schweigend flankierte. „Lassen Sie mich fragen, ob Sie die Verfassung der Vereinigten Staaten überhaupt gelesen haben? Ich kann Ihnen meine Kopie gerne ausleihen“, wandte sich Khan an Trump und zog eine verkleinerte Version des Verfassungstextes aus seiner Jackentasche: „Sie haben nichts und niemanden geopfert.“
"Ich bin wiederholt eingeschlafen"
Donald Trump reagierte, wie von ihm nicht anders zu erwarten war. Khizr Khan, sagte er in einem Interview mit dem Fernsehsender ABC, scheine „ein netter Kerl“ zu sein und er wünsche ihm „alles Gute“. Dessen Frau aber sei lediglich stumm dort gestanden: „Sie hatte nichts zu sagen, wahrscheinlich – vielleicht durfte sie nichts sagen, ich weiss es nicht.“ In einem Communiqué liess der republikanische Präsidentschaftskandidat verlauten, Hauptmann Khan sei ein „Held“, bekräftigte aber gleichzeitig seine Überzeugung, die Vereinigten Staaten sollten keine Muslime einwandern lassen.
Auch Hillary Clintons Rede zum Schluss des Parteitages in Philadelphia liess Donald Trump unbeeindruckt. „Ich habe das Gefühlt, dass sie es nicht schaffen wird. Das ist ein starkes Gefühl. Ich glaube nicht, dass sie das Zeug (zur Präsidentin) hat“, liess er eine Kolumnistin der „New York Times“ wissen: „Ich habe…ihre Rede gesehen. Das war harte Arbeit. Ich bin wiederholt eingeschlafen. Sie ist besser als ein Schlafmittel. Sie hat Bernie (Sanders) nur knapp geschlagen. Das System ist manipuliert. Es ist schrecklich.“
Misstrauen
Dabei war Hillary Clintons Rede kürzer als die ihres republikanischen Gegenspielers. Statt 76 Minuten sprach sie in Philadelphia lediglich 56 Minuten lang. Und statt ein düsteres Untergansszenarios zeichnete die Demokratin das hoffnungsfrohe Bild eines Landes, in dem nach wie vor alles möglich ist: „Ich werde eine Präsidentin für Demokraten, Republikaner und Unabhängige sein. Für jene, die zurück geblieben sind, für jene, die vorwärts kommen wollen und für jene, die Erfolg haben. Für jene, die mich wählen, aber auch für jene, die das nicht tun. Für alle Amerikanerinnen und Amerikaner.“
Den Umstand, dass ihr in Amerika eine Mehrheit der Wählenden nicht vertraut, sprach Hillary Clinton nicht direkt an. Ein Grund für das öffentliche Misstrauen, ausser ihrer 40-jährigen Präsenz im politischen Rampenlicht, mag darin liegen, wie widerwillig und zögerlich sie die Affäre um die Emails bewältigt hat, die sie als Aussenministerin auf einem privaten Server ablegte und auf die russische Hacker unter Umständen zugreifen können.
"Sie verspricht alles und verändert nichts"
Auch die schlechte Stimmung im Lande, von der Donald Trump so massiv profitiert, erwähnte Clinton nicht prominent. „Es gibt zu viel Ungleichheit, zu wenig soziale Mobilität, zu viel Leerlauf in Washington, zu viele Bedrohungen zu Hause und draussen in der Welt“, sagte sie: „Aber ziehen Sie nur kurz in Rechnung, was für Stärken wir Amerikaner mobilisieren können, um diese Herausforderungen zu bewältigen.“ Schön gesagt, wenn auch wenig konkret.
Heute halten Clinton in den USA lediglich noch 30 Prozent der Befragten für ehrlich, während das unglaubliche 43 Prozent im Falle des erwiesenen Serienlügners Trump tun. Laut einer Umfrage von NBC/Wall Street Journal bevorzugen 56 Prozent der Befragten einen Kandidaten, der den Regierungsstil im Lande nachhaltig verändert, auch wenn die Folgen dieser Veränderung unvorhersehbar sind. 41 Prozent indes favorisieren jemanden, der vorsichtig und Schritt für Schritt politisiert. Wie hiess es in einem Fernsehspot, den Barack Obama 2008 gegen Hillary Clinton laufen liess: „Sie verspricht alles und verändert nichts. Es ist an der Zeit, einen Neuanfang zu wagen.“
Beschränktes Lob
Robby Mook, Clintons Wahlkampfleiter, erklärt das mangelnde Vertrauen in die demokratische Kandidatin mit dem Umstand, dass sie es versäumt habe, ihre Person und ihre Leistungen publikumswirksam zu kommunizieren. Sein Job sei es nun, das bis zum 8. November nachzuholen: „Hillary Clinton ist ein Arbeitstier und keine Show-Frau. Statt viele Pressekonferenzen abzuhalten, hat sie jeweils lieber die nächste Aufgabe angepackt. Das hat seinen Preis. Zwar erreicht man eine Menge und hilft vielen Leuten, aber die Öffentlichkeit erfährt nicht so viel davon.“ Bezeichnend auch, dass Clinton jüngster Wahlkampfslogan „Stronger Together“ wenig emotional ist als Trumps Motto „Make America Great Again.“
Auch die Leitartikler der “New York Times“, im Übrigen klar im Lager der Demokraten, lobten Hillary Clinton nach dem Parteitag nur eingeschränkt: „Während vier Jahrzehnten hat sich Mrs. Clinton für die Anliegen von Kindern und Armen eingesetzt. Sie hat sowohl privat wie beruflich Schläge eingesteckt, die andere nicht wieder hätten aufstehen lassen, und sie hat auch welche ausgeteilt. Nur wenige Politiker, und ihr Gegner mit Sicherheit nicht, haben jene intellektuellen Fähigkeiten, die sie im Wahlkampf in die Waagschale werfen kann.“
100 Tage Zeit
Die „Times“ räumt ein, dass es Hillary Clinton als Frau schwer gehabt habe, die sprichwörtliche Glasdecke zu durchbrechen, die Amerikanerinnen bisher in Politik und Gesellschaft zurückgehalten hat: „Als sich Mrs. Clinton 2008 zum ersten Mal um den Einzug ins Weisse Haus bewarb, hat sie den historischen Aspekt ihrer Kandidatur ausser Acht gelassen; dieses Mal hat sie ihn ausdrücklich umarmt. Trotzdem war während dieses Parteitages nicht zu übersehen, dass eine latente Unsicherheit bestehen blieb, wie Mrs. Clintons Fähigkeiten, ihre Erfahrung und ihre Weiblichkeit zu einem attraktiven Angebot verpackt werden können, während Demokraten und ihr eigner Mann unschlüssig schwanken, ob sie sie als Mutter und Gattin oder als potenzielle Oberbefehlshaberin porträtieren sollen.“
Noch bleiben Hillary Clinton 100 Tage, um die Gunst von Amerikas Wählerinnen und Wählern zu gewinnen. Sie muss die Leute überzeugen, nicht nur gegen Donald Trump, sondern für sie zu stimmen. Auf dem Papier zumindest stehen ihre Chancen nicht schlecht: Die demokratische Partei spricht heute breitere Bevölkerungsschichten an, als die konservativen Republikaner es tun, deren Basis – ältere weisse Männer – ständig schrumpft. Machten in den USA im Jahr 2000 Nicht-Weisse 23 Prozent der Wählerschaft aus, sind es dieses Jahr bereits 31 Prozent. Schwarze, Hispanics und Junge dürften mehrheitlich Clinton wählen, falls es ihr gelingt, sie in genügender Zahl zur Urne zu bewegen. Dagegen wird die weisse Arbeiterklasse wohl überwiegend Trump bevorzugen.
„A sore loser“
Als nächste Meilensteine im US-Wahlkampf stehen drei Debatten zwischen den Präsidentschaftskandidaten sowie eine Debatte unter den Vizes bevor. Der erste verbale Schlagabtausch zwischen Hillary Clinton und Donald Trump geht am 26. September an der Hofstra University in Hempstead (New Jersey) über die Bühne, der zweite am 9. Oktober an der Washington University in St. Louis (Missouri) und der dritte am 19. Oktober an der University of Nevada in Las Vegas. Die TV-Debatten werden von einer einzelnen Moderatorin oder einem einzelnen Moderator geleitet und dauern jeweils 90 Minuten, abends von 09.00 bis 22.30 Uhr. Die Moderatoren allein wählen die Fragen aus, die den Debattierenden nicht zum Voraus bekannt sind.
Gegen den Terminplan hat Donald Trump bereits protestiert. Zwei der drei Debatten, argumentierte er, würden mit Spielen der National Football League (NFL) zusammenfallen, d.h. vor allem seine potenziellen Wähler, die Football der Politik vorziehen, vom Zuschauen abhalten. Sowohl die überparteiliche Kommission, welche die Daten der Debatten festlegt, wie auch die NFL haben dementiert, die Termine zum Nachteil Trumps festgelegt zu haben. Denn die Daten sind bereits seit September 2015 bekannt. So ist Trump zur Abwechslung selbst, was er anderen gern vorwirft: „a sore loser“- ein schlechter Verlierer.