Der Zirkus Trump hat seine Zelte in Cleveland abgebrochen und geht auf Tournee durchs ganze Land. Sein Motto: „Make America Great Again“. Der viertägige Auftritt in der Quicken Loans Arena am Erie See war nur mässig erfolgreich, weil sowohl die Dramaturgie des Programms als auch die Inszenierung einzelner Nummern zu wünschen übrig liessen. Einige Auftritte wie etwa jener von Trumps Frau Melania, als Höhepunkt gedacht, missrieten gründlich, weil andere, in diesem Fall Barack Obamas Frau Michelle, dieselbe Nummer schon viel besser gezeigt hatten.
Melania Trumps Rede war in Teilen einer Rede der First Lady aus dem Jahre 2008 abgekupfert, ein Plagiat, das eine Sprecherin des Präsidentschaftskandidaten wie folgt zu vertuschen versuchte: „Die Vorstellung, dass Michelle Obama die englische Sprache erfunden hat, ist absurd.“ Es war ein selbst verschuldeter Fehltritt, der Amerikas Fernsehkomikern Stoff für beissende Satiren lieferte wie etwa die brillante Parodie Melania Trumps durch die Broadway-Schauspielerin Laura Benanti auf CBS. Was die hehre Botschaft des Eröffnungsabends in Cleveland – „Make America Safe Again“ – weitgehend vergessen liess: Statt sich zu fürchten, lachte Amerika. Es war für Trump, zur Abwechslung, „free media“ (Gratispublizität) der unerwünschten Art.
Zirkus Trump
Statt unterwürfig über Donald Trumps Krönungsmesse zu berichten, wandten sich die Medien süffigeren Themen zu, die das Programm des Treffens so nicht vorgesehen hatte. War die Berichterstattung über Parteitage für Journalisten früher mühsame Pflicht, mutierte sie in Cleveland plötzlich zur lustvollen Kür. Endlich, twitterte ein Moderator des Fernsehsenders NBC, sei es wieder spannend geworden, einen Parteikongress abzudecken. Ein Theaterkritiker der „Washington Post“ kam zum Schluss, der republikanische Parteitag sei mehr improvisierte Farce als politischer Event: „Send in the Clowns“.
Andere Artisten des Zirkus Trump waren schlicht schlecht: frühere Politiker, aktuelle Hinterbänkler, verwelkte Schauspieler, abgetakelte Showgrössen. Wer einen guten Ruf zu verlieren hatte, zeigte sich in Cleveland nicht. Und wer wie Trumps Konkurrent Ted Cruz trotzdem auftrat, spielte nicht die vorgesehene Rolle: Der Senator aus Texas, einer der unpopulärsten Politiker des Landes, weigerte sich, Trump im Wahlkampf gegen Hillary Clinton Unterstützung zuzusichern und so Karriere über Gewissen zu stellen. Was Cruz empörte Buhrufe der republikanischen Delegierten eintrug und ihm ein kurzes, zufriedenes Lächeln abrang.
Hillary, Hort allen Übels
Was niemand erwartet hatte: Düsteren Prognosen zum Trotz blieb es auf den Strassen Clevelands ruhiger als in der Quicken Loans Arena selbst. Zwar gab es einzelne Demonstrationen, aber nicht jene gewalttätigen Zusammenstösse, für die sich Polizei und Medien gewappnet hatten. Dafür brachten in der Arena Delegierte ihrem Unmut wiederholt lautstark Ausdruck, am zornigsten dann, wenn es darum ging, Hillary Clinton, die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten und für Trumps Parteigänger der Hort allen Übels, zu verunglimpfen: „Lock her up!“ – Bringt sie hinter Gitter! Ein Redner verstieg sich gar zur Behauptung, die frühere First Lady sei die Verkörperung des Teufels.
Dabei wäre das Gewaltpotenzial in Cleveland gegeben gewesen. Laut einer städtischen Verordnung war es verboten, Wasser- und Spielzeugpistolen, Messer, Tennisbälle, Seile, Klebband, Regenschirme mit Metallspitzen, Gasmasken, Glühlampen und anderes Material in die Umgebung der Quicken Loans Arena zu bringen. Ausdrücklich gestattet aber waren, in Ohio von Gesetzes wegen, richtige Schusswaffen. Geladene, offen getragene Pistolen ja, Tennisbälle nein: Amerikas alltägliche Absurdität.
Keine positive politische Agenda
So zeigten sich denn die Republikaner in Cleveland zwar geeint, aber lediglich in ihrem kranken Hass auf Hillary Clinton. Eine positive politische Agenda war nicht einmal ansatzweise zu erkennen. Auch in Donald Trumps 76-minütiger Rede nicht, mit welcher der Parteitag in der Quicken Loans Arena pompös und mit einem Feuerwerk über dem Erie See zu Ende ging. In Anlehnung an Richard Nixons Versprechen von 1968, nach Jahren demokratischer Herrschaft im Lande wieder „Recht und Ordnung“ herzustellen, zeichnete Trump, „der Kandidat der Apokalypse“ (so die „Washington Post“), ein Porträt Amerikas, das düsterer nicht hätte sein können.
Es war das Zerrbild eines Landes, dessen Errungenschaften durch illegale Einwanderer und islamische Terroristen bedroht werden, dessen Städte in einem von Drogen gespeisten Sumpf von Verbrechen versinken und dessen einst blühende Wirtschaft als Folge der Globalisierung zerstört am Boden liegt. „In der wichtigsten Rede seines Lebens, die er 401 Tage nach dem Start seines unwahrscheinlichen Rennens um den Einzug ins Weisse Haus hielt, tönte Mr. Trump noch immer wie jener einfallslose Mann, der seinen Wahlkampf mit einer Talfahrt auf der Rolltreppe des Trump Tower begonnen hatte“, schrieb ein Reporter der „New York Times“: „Er beschwor das Chaos und versprach Lösungen über Nacht.“
Falsche Fakten
Die „Washington Post“ nahm es, unter anderen, auf sich, die Behauptungen in Trumps messianischer Botschaft auf ihren Wahrheitsgehalt zu checken. Die Rede sei, so das Blatt, ein Kompendium von Endzeit-Statistiken, die bei näherem Hinsehen einer Prüfung nicht standhielten: „Zahlen werden aus dem Zusammenhang gezerrt, Daten manipuliert und manchmal sind die Fakten falsch.“ Und falls die Fakten dummerweise positiv seien, wie etwa die Arbeitslosenrate von unter fünf Prozent, so versäume der Kandidat schlicht, sie zu erwähnen.
Ein Beispiel: „Er beschreibt eine aussergewöhnlich gewalttätige Nation, überschwemmt von Mördern, wenn in Tat und Wahrheit die Verbrechensrate seit dem Höhepunkt der Crack-Epidemie im Jahre 1991 um die Hälfte gesunken ist.“ Auch treffe nicht zu, dass sich die Zahl der Polizisten, die im Dienst getötet wurden, sich innerhalb eines Jahres um fast 50 Prozent verdoppelt habe. In Wirklichkeit seien es acht Prozent.
Appell an die niedrigen Instinkte der Menschen
Am Ende hielten selbst die anonymen Leitartikler der „New York Times“ mit ihrer Kritik an Donald Trump nicht zurück. Seit er mit seiner rassistischen Behauptung, Präsident Barack Obama sei nicht in den Vereinigten Staaten geboren worden, zum politischen Faktor geworden sei, habe der republikanische Kandidat versucht, sich Vorteile zu verschaffen, indem er an die niedersten Instinkte der Menschen appellierte, Sündenböcke und Verschwörungstheorien erfand, maliziöse Attacken auf jene unternahm und initiierte, die nicht seiner Meinung sind: „Er ist ein böser Bote für einen legitimen Anspruch: Dass eine verknöcherte Partei sich dazu aufraffe, das Los arbeitender Leute zu verbessern, statt nur einer Elite zu dienen.“
Donald Trumps Nomination, so die „Times“, sei auch ein Referendum über die republikanische Partei, abgeliefert von Arbeitenden, die Politiker satt hätten, die zwar ihre Stimmen wollten, aber für sie nichts täten: „Obwohl er die Gelegenheit gehabt hätte, die leeren Slogans und die Selbsterhöhung des Vorwahlkampfes mit soliden Vorschlägen zu ersetzen, die das Vertrauen der Amerikanerinnen und Amerikaner verdienen, hat Mr. Trump klar gemacht, dass er stattdessen die Wählenden erschrecken will, damit sie ihn unterstützen…“.
„Ich allein“
Es ist eine Interpretation der Stimmung im Lande, die sich auch Hillary Clinton zu Herzen nehmen muss. Jüngste Umfragen zeigen sie und Donald Trump erneut fast gleichauf. Ihre Kandidatur, anders als von ihrem Umfeld erhofft, ist alles andere als ein Selbstläufer, was wohl auch die Wahl ihres Vizepräsidentschaftskandidaten zum Wochenende zeigt. Denn das wirtschaftliche Malaise im Lande draussen ist real. Jahrzehnte angebotsorientierter Wirtschaft, ungebremster Globalisierung und schamloser Umverteilung von Besitz von unten nach oben zeitigen Folgen. Zumindest ein Teil Amerikas, vermeintlich von allen Seiten bedroht, will sich zurückziehen, sich isolieren. Seine Forderung: „Build that wall! Build that wall!“
Hillary Clinton hat sich nach monatelanger Suche nicht für einen unkonventionellen Vize, sondern für einen sicheren Wert entschieden – für den 58-jährigen Senator und früheren Gouverneur Tim Kaine aus Virginia, der ihr im November unter Umständen hilft, einen bei Präsidentenwahlen erfahrungsgemäss umstrittenen Südstaat zu gewinnen. Der bodenständige Katholik Kaine, Sohn eines Schweissers, dürfte auch dazu beitragen, Clintons Defizit unter weissen Männern zu verringern.
Donald Trumps Wahlkampforganisation hat auf Tim Kaines Ernennung umgehend reagiert. In Anlehnung an „Crooked Hillary“ nennt sie den demokratischen Vizepräsidentschaftskandidaten „Corrupt Kaine“. Der Senator habe sich während seiner Amtszeit als Gouverneur und Vizegouverneur in Virginia mit üppigen Geschenken bestechen lassen. Kaine, so ein Sprecher Trumps, sei „ethically challenged“, eine politisch korrekte Umschreibung von skrupellos – ganz im Gegensatz zu Kandidat Trump, der als selbsternannter Retter der Nation über jegliche Zweifel erhaben ist. „Ich allein“, sagte Donald Trump in Cleveland, „kann alles zum Bessern wenden.“