Der 58-jährige Fotograf der „Washington Post“ wusste um die Risiken, die ein Einsatz in Liberia beinhaltete. Er trug einen Schutzanzug und bediente die Kamera mit dicken Gummihandschuhen. Doch stand für ihn ausser Frage, seinen Beruf auch unter lebensgefährlichen Umständen auszuüben: „Die Geschichte muss erzählt werden; so bewegt man sich mit zarter Sorge, vorsichtig, ohne allzu aufdringlich zu werden.“
Noch im Oktober hatte er für seine Zeitung festgehalten, was es für ihn bedeutete, in Liberia zu fotografieren: “Es ist ausserordentlich schwierig, sich nicht als empfindsamer Mensch zu fühlen, wenn du über die Ebola-Krise berichtest. Manchmal ist die Härte einer grauenhaften Szene schlicht nicht zu übertünchen…Ich glaube aber, dass die Welt, die schrecklichen und unmenschlichen Folgen von Ebola sehen muss.“
Herzinfarkt
Doch am Ende war es nicht die Seuche, die Michel du Cille tötete, sondern wohl die Intensität seines Engagements. Der Fotograf erlitt während eines Fussmarsches im Salala-Distrikt einen Herzinfarkt und wurde über Naturstrassen in ein zwei Stunden entferntes Spital transportiert. Doch dort kam jegliche Hilfe zu spät. Du Cille war erst zwei Tage zuvor nach einer Absenz von vier Wochen ins Land zurückgekehrt, um erneut über die Auswirkungen des tödlichen Virus zu berichten.
„Respekt ist oft das Letzte, was die Welt einer toten oder sterbenden Person geben kann“, hatte er in der „Post“ geschrieben: „Doch scheint die Kamera selbst diese Würde zu verletzen, die ich so zu geben hoffe…Was hat das Bild einer Frau, die gestorben ist und unbeachtet, nicht zugedeckt und allein am Boden liegt, während die Leute vorbeigehen und den Blick abwenden, mit Würde zu tun?“
"Wie nahe gehe ich an ein Sujet ran?"
Michel du Cilles Einsatz in Salala war sein letzter in Afrika. Er war noch gegen das Ende Bürgerkrieges (2003) in Liberia gewesen und hatte „ein Land in Ruinen“ erlebt: „Der Kampf der Menschen ums tägliche Überleben war damals mit Händen greifbar. Heute, da sich Liberias Wirtschaft nach Jahren des Bürgerkrieges zu erholen beginnt, pulsiert der Alltag im hektischen Rhythmus Afrikas, und der Ebola-Virus tötet weiter und scheinbar immer schneller.“ Der amerikanischen Gesundheitsbehörde (CDC) zufolge sind in Liberia bisher 3177 Menschen an Ebola gestorben. 7719 Personen wurden vom Virus infiziert.
Michel du Cille verhehlte nicht, dass er bei seiner Arbeit Angst verspürte: „Angst führt zu einem inneren Disput: Wie nahe gehe ich an ein Sujet heran, um eine packende Aufnahme zu machen? Ist das Risiko einer Infektion zu gross, wenn ich zu nahe herangehe? Angst ist beim Fotografieren ein ständiger Begleiter. Sie führt und erinnert einen daran, übermässig vorsichtig zu sein, um nicht infiziert zu werden.“
"Wasche die Sohlen deiner Schuhe"
Die Regeln bezüglich Ebola, berichtete der Fotograf, seien einfach: „Berühre niemanden, und lasse niemanden dich berühren. Wasche die Sohlen deiner Schuhe mit einer Chlorlösung. Wasche häufig deine Hände mit jener Chlorlösung, auch wenn du nichts berührt hast. Das Waschen wird zur Gewohnheit.“
Solche und ähnliche Erkenntnisse aus seiner 40-jährigen Berufstätigkeit wollte der in Jamaica geborene Amerikaner im Herbst angehenden Journalisten der Syracuse University (New York) weitergeben. Doch ein überängstlicher Student schlug Alarm und die Universität lud du Cille im letzten Moment vom geplanten Workshop aus. Obwohl der Fotograf nach seiner Rückkehr aus Liberia alle Vorsichtsmassnahmen des CDC und der Médecins Sans Frontières minutiös befolgt, d.h. während 21 Tagen fast stündlich seine Temperatur gemessen und sich erst dann wieder unter die Leute gemischt hatte sowie erneut an die Arbeit gegangen war.
"Einen der besten Fotografen der Welt"
Die Universität, meinte der Fotograf, habe ihren Studenten „einen Bärendienst erwiesen“ und künftigen Medienschaffenden die Gelegenheit verwehrt, von Erfahrungen aus erster Hand zu profitieren: „Ich hätte ihnen erzählen können, wie wichtig und notwendig es ist, Bilder zu machen, welche die menschliche Erfahrung dokumentieren, während der Alltag unter der Bedrohung von Ebola weitergeht.“
Derweil sind Michel du Cilles Arbeitskollegen bei der „Washington Post“ bestürzt über seinen unerwarteten Tod.“ Wir haben einen beliebten Mitarbeiter und einen der besten Fotografen der Welt verloren“, sagte Chefredaktor Marty Baron. Du Cille war 1988 als Bildredaktor vom „Miami Herald“ nach Washington gekommen, wo er 2007 zum Direktor für Fotografie avancierte. Doch vor zwei Jahren kehrte er voll in seinen angestammten Beruf zurück und fotografierte für die „Post“ unter aus Afghanistan, wo er mit Glück den Kugeln der Taliban entrann.
Erst das Vertrauen, dann die Arbeit
Für die „Washington Post“ hatte Michel du Cille 2008 seinen dritten Pulitzerpreis gewonnen – für die Aufnahmen einer investigativen Reportage-Serie, welche die unwürdigen Bedingungen dokumentierte, unter denen verwundete Veteranen im Armeespital Walter Reed in Washington DC hausten. Die aufwändige, 12-teilige Serie erregte in Amerika grosses Aufsehen und führte zu mehreren Untersuchungen über die unwürdigen Praktiken der US-Veteranenbehörde.
Die ersten beiden Pulitzers gewann der Fotograf beim „Miami Herald“ 1985 für die Berichterstattung über eine Schlammlawine nach dem Ausbruch des Vulkans Nevado del Ruiz in Kolumbien und 1987 für die Dokumentation des Alltags Rauschgiftsüchtiger in den Schwarzenvierteln Miamis. Der zuständige Redaktor fragte damals du Cille nach ein paar Wochen, wie die Aufnahmen denn liefen: „Er sagte, ‚Noch keine Bilder. Ich habe meine Kamera noch nicht mitgenommen. Erst kommt das Vertrauen, dann die Arbeit.“
Michel du Cille fotografierte in Liberia nicht nur Elend und Tod. In der Hauptstadt Monrovia, in der es oft regnet, fotografierte er auch, von erhöhter Warte, die lokale Natur: „Ich habe tolle Aufnahmen vom Meer gemacht, vom Postkarten-würdigen Sonnenuntergang. Es ist das Bild einer Stadt in der Krise, die weiterlebt, als ob alles normal wäre, und die auf Würde hofft.“
"... plage die Starken"
Michel du Cille, erzählt ein früherer Kollege, der heute für das „National Geographic“ arbeitet, habe stets Empathie für seine Sujets über alles gestellt, und so fotografiert, dass Leute, die seine Bilder anschauten, auch für die Leute und mit den Leuten in den Bildern fühlten. Es sei für ihn unverzichtbar gewesen, einen emotionalen Rapport aufzubauen, bevor er zu fotografieren begann – wie damals bei der Geschichte über „Crack“-Süchtige in Miami oder zuletzt heute bei der Berichterstattung über Ebola in Liberia. Er sei, sagte du Cille von sich selbst, ein Journalist alter Schule. Sein Credo, dem Journalisten Finley Peter Dunne (1867-1936) aus Chicago nachempfunden: „Comfort the afflicted and afflict the comfortable“ – Tröste die Schwachen und plage die Starken!
Quellen: „The Washington Post; „The New York Times“; “TIME”, „National Geographic“; “National Public Radio” (npr); Wikipedia