Im NZZ-Archiv bin ich auf einen Artikel vom 13.3.2008 gestoßen, der auf die Gedenkstunde im Parlament zur Machtübernahme der Nationalsozialisten damals vor 70 Jahren Bezug nimmt. Ich schrieb damals: „Es war die Nationalratspräsidentin, Barbara Prammer, die von allen Rednern die klarsten Worte fand. Sie bezeichnete den 12. März 1938 als eine der entscheidenden Bruchstellen der österreichischen Geschichte – und damit als einen zentralen Bezugspunkt in den Auseinandersetzungen um das Selbstverständnis der Zweiten Republik.“
Eine Ausnahme, die keine bleiben sollte
In einem Parlament, in dem ein Martin Graf – „Alter Herr der rechtsextremen Burschenschaft „Olympia“ - als dritter Nationalratspräsident amtieren konnte, in einem Land, das Jahrzehnte brauchte, um sich zu einer einigermaßen klaren und aufrechten Haltung bezüglich seiner Rolle im Nationalsozialismus durchzuringen, war ein unzweideutiger Positionsbezug, wie ihn Barbara Prammer eingenommen hatte, leider eher die Ausnahme.
Dies auch in ihrem aktiven Rollenverständnis als Nationalratspräsidentin. Dass sie stets Höchstwerte in den Beliebtheitsskalen verzeichnete war kein Zufall – es zeugt davon, dass sie mit ihrer integren Persönlichkeit weit über ihre vielgeschmähten Mit-Politiker aller Parteien hinausragte. Sie versuchte, dem österreichischen Parlament, dem im Gegensatz zur Schweiz neben der Exekutive relativ wenig politisches Gewicht zukommt, Bedeutung zu geben. Dass sie sich konsequent für die Renovierung des vom Zahn der Zeit angenagten Prachtbaus an der Ringstraße einsetzte, war durchaus symbolisch. Als erste Frau an der Spitze des Nationalrats war sie eine Ausnahme, die keine Ausnahme bleiben sollte. Ebenso darf die von ihr betrieben Aufwertung des Parlaments keine Ausnahme bilden; dies sollte die Regel werden.
„Zu dick aufgetragen“
Wer die sympathische und stets so bescheidene Nationalratspräsidentin kannte, der muss sich wundern über den Pomp des Staatsaktes, mit dem Nation von ihr Abschied nahm. Zumal Barbara Prammer schon anlässlich der wortreichen Würdigungen zu ihrem 60. Geburtstag im Januar bemerkt hatte, diese seien doch eigentlich „zu dick aufgetragen“ gewesen. In ihrem Sinne waren jene obligaten Staatsrituale kaum – und der Verdacht liegt nahe, dass hier die österreichische Politik auf Kosten der Verstorbenen eine Ersatzhandlung vollzogen hat:
Nach der schier unglaublichen Häufung von Korruptionsfällen der letzten Jahre, gefolgt von einem dramatischen Vertrauensschwund gegenüber Politikern und Politik überhaupt, wurde Prammer posthum zur Projektionsfigur. Damit wurde sie zum Vorbild für künftige Politiker-Generationen. Die wohlgesetzten Lobesreden auf die Verstorbenen dürfen allerdings nicht von der Tatsache ablenken, dass Barbara Prammer mit ihrer Integrität die Ausnahme und nicht die Regel in der österreichischen Politikerzunft darstellte.
(Dieser Beitrag ist zuvor in den „Vorarlberger Nachrichten“ erschienen)