Kaum nimmt das Projekt konkretere Formen an, schlägt dem Präsidenten , vor allem von Seiten der französischen Historiker, geballte Skepsis entgegen. Fast ist so etwas wie ein Historikerstreit entbrannt .
Dass der Protest gegen das geplante Museum der französischen Geschichte seit Monaten nicht abreissen will, liegt wohl in erster Linie daran, dass Präsident Sarkozy in dieser Angelegenheit schlicht ein Glaubwürdigkeitsproblem hat. All zu häufig hat er, von Anfang seiner Präsidentschaft an, Frankreichs Geschichte reichlich unmotiviert und eher beliebig für eigene, ideologische Zwecke eingesetzt. „Er hat“, betont der Historiker Henri Rousso, „die Geschichte in den letzten Jahren derart oft instrumentalisiert, dass das Misstrauen jetzt einfach instinktiv ist“.
Geschichte politisch missbraucht
Noch am Tag seines Einzugs in den Elyseepalast im Mai 2007 begab sich Nicolas Sarkozy zum Beispiel im Bois de Boulogne auf jene Lichtung, auf der im August 1944 35 junge Widerstandskämpfer von den Nazis erschossen worden waren. Wenig später kam er auf den schnell wieder verworfenen Gedanken, dass einige tausend französische Schüler der 6. Klasse, die im Normalfall 11 Jahre alt sind, symbolische Patenschaften für von Nationalsozialisten ermordete jüdische Kinder übernehmen sollten. Niemand verstand, was der Präsident sich dabei gedacht hatte und niemand konnte sich vorstellen, dass er auch nur einen Moment die Elfjährigen im Auge hatte, die da plötzlich eine Patenschaft für einen Toten übernehmen sollten.
Selbst die Auschwitz Überlebende und Parteifreundin, Simone Veil, zeigte sich von dem Vorschlag schockiert. Fast im selben Atemzug verlangte der Präsident , dass alljährlich in den Schulen Frankreichs der bewegende Abschiedsbrief verlesen wird, den der 17 jährige kommunistische Widerstandskämpfer, Guy Moquet, an seine Mutter geschrieben hatte, bevor er von den Nazis exekutiert wurde. Frankreichs Lehrer weigerten sich reihenweise, dieser Aufforderung nachzukommen. Denn auch da verstand niemand, was der Präsident im Sinn hatte. Warum Guy Moquet, warum gerade jetzt, aus welchem Anlass, in welchem Kontext ?
Ausgerechnet ein Präsident, der alles getan hatte, um die Wähler des rechtsextremen Jean Marie Le Pen auf seine Seite zu ziehen, dem dies auch weitgehend gelungen war und der letztlich dank dieser Stimmen die Wahl 2007 gewonnen hatte, ausgerechnet er will sich nun im Licht des französischen Widerstandes sonnen ?
Der Zorn der alten Widerstandskämpfer
Und schliesslich hatte Nicolas Sarkozy auch - ohne Abstimmung mit den Veteranen und den Verbänden der ehemaligen Widerstandskämpfer - das Hochplateau von Glières in den französischen Alpen auserkoren, einen der emblematischen Orte des französischen Widerstands gegen die deutschen Besatzer, um einmal jährlich dorthin zu pilgern und der Resistance zu gedenken. Doch schon beim ersten Besuch hatte sich Präsident Sarkozy derartig unwürdig verhalten, man könnte auch sagen, er hat sich schlicht daneben benommen - war lachend, Schulter klopfend und Spässe machend am Gedenkort erschienen - dass jedem klar war, es ging dem Präsidenten allein um den Schein vor den Fernsehkameras und nicht um die Sache.
In den Augen vieler war es eine Anmassung, dass der Präsident des Glimmers , der Freund des französischen Börsenindexes und des Geldadels, der nach seiner Wahl zu allererst die Reichsten der Reichen bediente , indem er eine Höchststeuergrenze einführte, dass ausgerechnet dieser Präsident es wagte, sich in die Tradition des französischen Widerstands einreihen zu wollen und die Werte dieses Widerstands für sich in Anspruch zu nehmen. Ehemalige Widerstandskämpfer waren damals so empört, dass sie seitdem einmal jährlich im Sommer am selben Ort eine Gegenveranstaltung abhalten unter dem Motto: „Bürger im Widerstand – gestern und heute“. Im letzten Sommer waren mehr als 3 000 Menschen erschienen.
Nicht zufällig hatte Präsident Sarkozy Ende 2009 erneut einen anderen symbolischen Ort der Résistance gewählt - das Hochplateau des Vercors bei Grenoble- um die Gründung des künftigen Museums der französischen Geschichte offiziell anzukündigen. „Wir müssen“, sagte er, „ auf unsere Geschichte stolz sein und das Erlernen der Geschichte Frankreichs zu einer Priorität für die Kinder in unseren Schulen machen. Deswegen habe ich an dem Gedanken festgehalten, ein Museum der französischen Geschichte zu schaffen, das alle Kinder unserer Schulen besuchen werden. Es wird das modernste Museum überhaupt werden, nicht der Vergangenheit verhaftet sein, sondern lebendig und wird Geschichte mit Blick auf die Zukunft lehren.“
Reaktion der Historiker
Als Antwort unterzeichneten neun namhafte Historiker Frankreichs, unter ihnen Jacques Le Goff, einen Aufruf, in dem sie das Museum vehement ablehnten. Sie sehen in der Initiative des Staatspräsidenten in erster Linie ein rückwärts gerichtetes ideologisches Vorhaben, das in engem Kontext mit der heftig kritisierten Diskussion über Frankreichs Nationale Identität steht. Diese Diskussion hatten der Präsident und sein Minister für Immigration, Integration und Nationale Identität im letzten Jahr vom Zaun gebrochen. Der Historiker Nicolas Offenstadt, einer der Unterzeichner des Aufrufs, sprach Präsident Sarkozy jede echte Beziehung zur Geschichte ab. Für den Präsidenten sei Geschichte nur dazu da, um die nationale Einheit aufzuwerten, einen klassischen, nationalen Roman zu erzählen. Jedes kritische Verständnis von Geschichte sei ihm fremd. Wörtlich sagte Nicolas Offensadt:
„Er macht von der Vergangenheit politisch Gebrauch, im Sinne seiner Politik der Nationalen Identität. Er will das ewige Frankreich, das Frankreich der Könige und der Präsidenten zelebrieren, im Sinne der Debatte, die er über die Nationale Identität des Landes führen liess. Ich würde sagen, dieses Museum ist nicht mehr als das historische Schaufenster der von Nicolas Sarkozy betriebenen Politik der Nationalen Identität.“
Die Historiker geisseln das Projekt eines Hauses der französischen Geschichte sogar als gefährlich und als Fortsetzung eines neonationalen Diskurses derer, die heute in Frankreich an der Macht sind, als Symbol eines Frankreichs, das sich auf sich selbst zurückzieht. Es sei erstaunlich, schrieben sie, dass man das Projekt eines „ grossen , historischen Museums des 21. Jahrhunderts“ auf die Geschichte Frankreichs beschränken wolle in Zeiten, da die Globalisierung und Europa eine immer wichtigere Rolle spielten.
Untergebracht werden soll das künftige „Haus der französischen Geschichte“ nicht in einem Neubau – dafür sind die Staatskassen zu leer - nur rund 60 Millionen Euro stehen zur Verfügung - sondern in einem Teil der Räumlichkeiten des französischen Nationalarchivs, einem historischen Gebäudekomplex im alten Pariser Marais-Viertel, der sich auf einer Fläche von drei Hektar erstreckt.
Das Konzept für das Museum aber bleibt, auch nach mehreren Expertenberichten, immer noch recht vage, das Deutsche Historische Museum in Berlin wird als Referenz genannt, der dortige Direktor wurde in das Komitee zur Ausarbeitung des französischen Projektes geladen.
Die Seele Frankreichs
So manchem Historiker aber war bereits 2008, in einem ersten Grundsatzpapier zum Konzept des Museums, eine Formulierung im Hals stecken geblieben, die da lautete: Das Museum solle „die Seele Frankreichs veranschaulichen“.
Für Historiker wie Arlette Farge ist dieser Terminus mehr als problematisch. „Das ist ein extrem rückschrittlicher Diskurs, im Vergleich zu dem, worüber wir heute in den Geschichts- und Sozialwissenschaften arbeiten. Es ist nicht an uns, den Franzosen zu erklären, was die französische Seele ist. Es geht vielmehr darum darzulegen, welche Ereignisse dazu geführt haben, dass Frankreich so ist, wie es heute ist und in der Zukunft sein wird.“
Jean Francois Hébert dagegen , bisher Präsident des Schlosses von Fontainebleau, jetzt Projektleiter für das Haus der französischen Geschichte, versteht die Aufregung der Historiker nicht. „Als man das Centre Pompidou vor über 30 Jahren geschaffen hat,“ betont er, „hat man ihm vorgeworfen, es wolle bestimmen, was zeitgenössischen Kunst ist. Es hiess, man werde dort nur Künstler sehen, die dem Präsidenten gefallen. Nichts davon stimmt heute. Die kulturellen Einrichtungen unseres Landes haben gewisse Garantien und akzeptieren politische Einflussnahme schlicht nicht, das wäre auch der Tod des Projektes.“
Und doch bleibt die Skepsis. Ein Präsident, der - wie schon seine Vorgänger - "sein" Museum will, ist für Frankreich an sich nichts Ungewöhnliches. Doch ein Präsident, der im Zusammenhang mit der französischen Kolonialgeschichte erklärt hat, man könne von den Söhnen nicht verlangen, dass sie sich ständig dafür entschuldigten, was ihre Väter getan haben und der im Senegal in einer Rede vor Studenten an der Universität Dakar davon gesprochen hatte, dass der afrikanische Mensch nicht genügend Teil der Geschichte geworden sei, der steht automatisch im Verdacht , im künftigen Museum nur die heldenhafte, gesäuberte und konturenlose Geschichte seines Landes sehen zu wollen, frei von weniger glorreichen Aspekten wie Sklaverei, Kolonialzeit oder Kollaboration während der deutschen Besatzung.
Frankreichs Kulturminister, Frederic Mitterrand , verteidigte jüngst das Projekt mit dem etwas schlichten Argument, Frankreich verliere sein Gedächtnis, dem müsse abgeholfen werden. Wenn es nach seinem und Präsident Sarkozys Plan geht, wird das „Haus der französischen Geschichte“ 2015 seine Pforten öffnen.